Mit 20 bis 30 Tonnen pro Kopf ist der jährliche Verbrauch von Rohstoffen bei Europäerinnen und Europäern zehnmal so hoch wie jener in Afrika oder Asien. Der hohe Konsum in Europa wird dabei zunehmend durch Rohstoffentnahme und -verarbeitung in anderen Weltregionen gedeckt. Laut WU-Wissenschafter Stefan Giljum verschärft Europa dadurch Umweltprobleme wie Klimawandel, Entwaldung oder Wasserknappheit und begibt sich besonders im Bereich der fossilen Energieträger und metallischen Rohstoffe in eine starke Abhängigkeit. Er untersucht in einem großangelegten Forschungsprojekt an der WU, wie viele natürliche Ressourcen die Produktion und der Konsum von Gütern und Dienstleistungen benötigen und welche Auswirkungen die Globalisierung auf unsere Ressourcennutzung hat.
In das globale Wirtschaftssystem werden jede Sekunde Rohstoffe in einer Menge eingespeist, die etwa der Ladung von einhundert LKWs entspricht. Über ein ganzes Jahr gerechnet ergibt dies 90 Milliarden Tonnen an Rohstoffen, die aus dem Bergbau, der Ölförderung oder der Land- und Forstwirtschaft stammen. Durch die Globalisierung entfernen sich dabei die Orte des Rohstoffabbaus und der Herstellung von Produkten zunehmend von jenen des Konsums. In einem vom European Research Council (ERC) geförderten Projekt untersuchen Stefan Giljum, Leiter der Forschungsgruppe „Nachhaltige Ressourcennutzung“ und sein Team am Institute for Ecological Economics der WU, woher die Rohstoffe für die in Europa konsumierten Produkte stammen und welche ökologischen und sozialen Folgen ihr Abbau auf der Erde nach sich zieht. „Um die Entnahme von Rohstoffen in allen Ländern weltweit zu quantifizieren, sammeln wir statistische Daten aus verschiedensten Quellen und koppeln sie an wirtschaftliche Modelle, die globale Wertschöpfungsketten für alle Produktgruppen abbilden“, erklärt Stefan Giljum, „Dadurch können wir den Fluss von Rohstoffen vom Extraktionsland über die verschiedenen Verarbeitungsschritte bis hin zur Endkonsumentin bzw. zum Endkonsumenten verfolgen.“
Steigende Importraten, wachsende Abhängigkeit
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass der Anteil Asiens an der globalen Rohstoffentnahme insbesondere nach dem Jahrtausendwechsel stark zugenommen hat. 2013 waren bereits 61 Prozent aller weltweit entnommenen Rohstoffe asiatischen Ursprungs, mit einem deutlich ansteigenden Trend. Im Vergleich dazu war der Anteil Europas mit nur acht Prozent sehr gering. Die in Asien abgebauten Rohstoffe werden einerseits für die Herstellung von Produkten für den Eigenbedarf der Länder genutzt, aber auch viele andere Teile der Welt profitieren von ihnen. „Länder wie China haben sich in den letzten Jahren zu den weltweit wichtigsten Exportnationen für eine große Anzahl von Produkten entwickelt, so etwa für Elektronik- und Haushaltsprodukte, Textilien und Spielwaren. Diese werden zum Großteil nach Europa oder Nordamerika exportiert“, erläutert Giljum, „Diese beiden Kontinente sind daher auch jene Weltregionen, welche die höchste Importabhängigkeit aus dem Ausland aufweisen.“ In Europa ist die Abhängigkeit laut Giljum insbesondere bei zwei Rohstoffgruppen besonders groß. Zum einen bei fossilen Energieträgern, weil Europa über 70 Prozent des benötigten Erdöls und Erdgases, etwa für Industrie, Verkehr oder Heizung, importiert werden. Der zweite Bereich mit noch größerer Abhängigkeit sind die metallischen Rohstoffe mit einer Importrate von über 85 Prozent. Betroffen sind davon alle Produkte mit hohem Metallanteil, wie etwa Autos, Haushalts- und Elektronikprodukte. „In einigen Fällen, wie beispielsweise bei seltenen Metallen, wie sie in der Elektronikindustrie eingesetzt werden, liegt der Importanteil Europas sogar bei 100 Prozent“, so Giljum.
Globale Auswirkungen des Konsums sichtbar machen
Je komplexer und internationaler die Produktionskette eines Alltagsgegenstands, desto weniger ist KonsumentInnen bewusst, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen unser Konsum in anderen Weltregionen hat. So erfordert beispielsweise die Herstellung eines Mobiltelefons 30 verschiedene Rohstoffe aus unterschiedlichen Herkunftsländern. „Mein Ziel ist es, die globalen Verbindungen zwischen Produktion und Konsum aufzuzeigen. Dadurch möchte ich eine empirische Grundlage liefern, um gezielte Politikmaßnahmen für nachhaltige Supply Chains zu entwickeln“, so Giljum. Im Rahmen des fünfjährigen ERC-Projektes werden Stefan Giljum und sein Team erstmals die ökologischen und sozialen Bedingungen innerhalb der Rohstoffabbauländer in Verbindung mit dem Konsum von Produkten in Europa bringen. „Denn für die ökologischen Auswirkungen unseres Konsums, etwa auf die Wasserknappheit, macht es einen großen Unterschied, ob importierte Metalle aus sehr trockenen Regionen wie etwa der Atacama-Wüste in Chile stammen, oder aus gemäßigten Klimazonen, in denen Wasser ausreichend vorhanden ist“, erklärt Giljum.
Die Forschung liefert wichtige Schlussfolgerungen für die Realisierung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise auf globaler Ebene. „Globalisierung und internationaler Handel sind derzeit in einer Weise organisiert, in denen Rohstoffe aus Ländern mit einem geringen Pro-Kopf-Konsum dorthin geliefert werden, wo bereits ein hoher Pro-Kopf-Konsum besteht“, so der Wissenschafter. Der Handel verstärkt somit globale ökologische Ungleichheiten. Um den materiellen Lebensstandard der Bevölkerung in Regionen mit großer materieller Armut wie etwa Sub-Sahara Afrika oder Südasien zu heben, müsste der Ressourcenkonsum dort jedoch ansteigen. „In einer Welt, die ökologisch bereits an ihre ‚planetaren Grenzen‘ stößt, kann dieses Wachstum nur dann realisiert werden, wenn gleichzeitig der Rohstoffkonsum in den Hochverbrauchsregionen, wie etwa Europa, sinkt. Das Wissen um die negativen Folgen der Rohstoffentnahme in Lieferländern sollte daher genutzt werden, um Abbaubedingungen zu verbessern und die Ressourceneffizienz in internationalen Produktionsketten zu erhöhen.“