Der digitale Wandel macht auch vor Verkauf und Service nicht Halt. Doch um Kunden dauerhaft zu gewinnen, zählt der emotionale Moment beim Kauf mehr als technologische Finessen und Algorithmen. Sogar im Webshop ist Empathie möglich.
Tolles Design, bahnbrechende Funktionen oder eine hervorragende Benutzerfreundlichkeit galten lange Zeit als Erfolgsrezept vor allem für digitale Produkte. Inzwischen wissen wir: Das Alleinstellungsmerkmal ist meist nach kurzer Zeit Schnee von gestern. Die Konkurrenz zieht schneller nach, als so mancher Entwicklungsschritt dauerte. Auch über den Preis kann sich kein Unternehmen am Markt langfristig abheben – zu homogen sind die Leistungsangebote mittlerweile.
Selbst problemfreie Nutzung führt nicht zwangsläufig zu begeisterten Kunden. »Emotionsdesign« erklärt deshalb Stefanie Lutz vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart zum »neuen Paradigma der Produktentwicklung«: »Nicht erst seit dem Siegeszug des iPhones wissen wir, dass Nutzer emotionale Bedürfnisse an ihr Produkt haben. Entscheidend ist deshalb für die Entwicklung eines neuen Produkts: Löst es positive Emotionen aus? Denn erst dann wird eine emotionale Bindung an das Produkt erzeugt, die Nutzungsfrequenz und -dauer erhöht und Kunden sind bereit, ein Produkt in ihren persönlichen Netzwerken weiter zu empfehlen.«
Genau diese Feedbackkultur ist es jedoch, die viele Unternehmen zweifeln und verzweifeln lässt. Anfangs noch beeindruckt von der immensen Breitenwirkung sozialer Medien, lässt die Begeisterung der Verantwortlichen mit den ersten negativen Bewertungen und Kommentaren merklich nach. Dazu kommt die schwindende Loyalität: Sogar zufriedene Kunden werden rasch abtrünnig – Alternativen warten schließlich an jeder Ecke und mit jedem Mausklick.
Individualisierte Kommunikation
Die deutsche Agentur Serviceplan identifizierte in ihrer gemeinsam mit GfK präsentierten diesjährigen Consumer-Studie drei Typen von KonsumentInnen – Driver, Follower und Resistors –, die jeweils unterschiedlich stark auf Trends reagieren. Alle drei sind ähnlich häufig in der Bevölkerung vertreten, ihre Werteprofile differieren allerdings deutlich: Trenddriver sind in der Regel tendenziell jünger, single und/oder kinderlos und in hohem Maß premiumorientiert. Bei Trendfollowers und -resistors steht das Zuhause im Mittelpunkt, beide agieren beim Shopping sehr preisbewusst.
Bild oben: Christoph Hack, BrandTrust: »Bekannt sein schafft nicht zwangsläufig Anziehung und Begehren.«
Marken, die bei Trenddrivern überdurchschnittlich gut positioniert sind, gewinnen nachweislich Marktanteile. Diese sogenannten »Growth Brands« besetzen neue Trends auch früher. Marken, die vorwiegend Trendresistors ansprechen, verlieren dagegen (»Burnout Brands«). Signifikante Unterschiede gibt es auch in der Mediennutzung, vor allem im Online-Bereich. Während früher die jeweilige Zielgruppe mit einer Kampagne gut erreicht werden konnte, ist es heute unerlässlich, mehrere Kanäle zu bespielen. Noch komplexer wird es, wenn die Mediaplanung das unterschiedliche Lebensumfeld und den emotionalen Werte-Fit der Marke berücksichtigt. »Die Ansprache der Konsumenten wird immer persönlicher. Man geht weg von der Massenproduktion zu einer individualisierten Produktion«, sagt Serviceplan-Chef Peter Haller. Die Serviceplan-Tochter Plan.Net Connect entwickelte beispielsweise für die 4,5 Millionen Lufthansa-KundInnen in 78 Ländern individuell zugeschnittene Newsletter mit spezifisch ausgewählten Inhalten.
Kunden zu Fans machen
»Auch hochzufriedene Kunden verhalten sich heute zunehmend illoyal, da Produkte und Leistungen in ihrer Wahrnehmung immer austauschbarer werden«, sagt Roman Becker, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens forum!. Durch häufige Kontakte könnten Beziehungen aber emotional aufgeladen werden. Ob der Kontakt persönlich, telefonisch oder auf digitalem Weg erfolgt, sei für den »Herzblutfaktor«, so Becker, unerheblich. Emotionale Kundenbindung entstehe immer dann, wenn ein Unternehmen »durch fokussierte und orchestrierte Leistungserbringung und Kommunikation die zentralen Bedürfnisse seiner Kunden an allen Kontaktpunkten besser bedienen kann als jeder Wettbewerber«.
So ruft BMW das Prinzip »Freude am Fahren« an allen Kontaktpunkten – beim Produkt, beim Händler, beim Service, aber auch über die digitalen Kanäle – in Erinnerung und kreiert dadurch eine »Fan-Kultur«. Diese Fans sind die wertvollsten Kunden, wirken sie doch in ihren Netzwerken als Multiplikatoren. Ihre Sympathie gewinnt man nicht über monetäre Anreize, sondern durch Einbindung in Entscheidungsprozesse, etwa als ausgewählte Testpersonen für Produkt-innovationen oder als Gäste bei Previews.
In Torschlusspanik versuchen viele Unternehmen, alle Kanäle gleichzeitig zu bespielen – was oft mehr schlecht als recht gelingt. Entscheidet man sich für die Omnichannel-Strategie, sollten Online- und Offline-Angebote jedenfalls konsistent sein. Gerade digital affine Kundengruppen setzen hohe Erwartungen in eine transparente und funktionierende Verzahnung der Kanäle. Bietet beispielsweise ein Mobilfunkbetreiber jeweils unterschiedliche Preise oder Konditionen, verärgert das die Kunden. Kommunikation muss immer glaubwürdig sein. Denn Vorsicht: Im Zeitalter der Digitalisierung haben Lügen noch kürzere Beine – alles ist nachprüfbar, in Echtzeit.
Bild oben: Stefan Häseli, Kommunikationsexperte: »Chatbots können Feinheiten nicht wahrnehmen.«
»Eine durchgängige Digitalstrategie ist künftig der Schlüssel zum Erfolg«, erklärt Jürgen Horak, CEO von Dimension Data Austria. »Unternehmen, die rechtzeitig auf eine intelligente Omnichannel-Strategie mit nahtlosen Übergängen zwischen allen Kommunikationskanälen gesetzt haben, sind heute High Performer. Sie konnten etablierte Marktführer überholen, weil sie ihren Kunden eine reibungslose und personalisierte Customer Journey bieten können.« Bislang läuft die Entwicklung jedoch schleppend, nur 7 % der Unternehmen haben ihre Kanäle miteinander verknüpft – Big Data ist unter diesem Aspekt nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.
Verkäufer als Beziehungsmanager
Auch wenn Kundenbeziehungen heute schon zu großen Teilen über das Internet ablaufen: Die zentrale Bindung besteht noch immer zwischen den Menschen. Der Verkäufer fungiert also quasi als Beziehungsmanager.
Völlig zu Recht setzen Kunden inzwischen voraus, dass ihre Ansprechperson über den Status des Auftrags und die Eckdaten eines Termins Bescheid weiß. Selbst ein Servicetechniker im Außendienst kann in einem optimalen System via Smartphone auf alle relevanten Informationen zugreifen. Kann ein Problem nicht sofort gelöst werden, ist es über interne Chatlines möglich, Know-how von Kollegen einzuholen. Sales-Experten empfehlen, den Kunden wie einen guten Freund zu behandeln. Nicht der Verkauf steht im Mittelpunkt, sondern eine kluge, ehrliche Empfehlung, die einen Mehrwert für ihn bringt.
Kundenbefragungssysteme, die lediglich die Zufriedenheit und die Bereitschaft zur Weiterempfehlung messen, liefern diesbezüglich nur eine Momentaufnahme. Modernes Customer Experience Management (CEM) verfolgt deshalb das Ziel, über den Mehrwert hinaus ein positives, emotionales Erlebnis zu bieten, das aus Kunden treue und begeisterte Markenbotschafter macht. Im Gegensatz zu CRM-Systemen (Customer Relationship Management), bei denen die Kundenbeziehung aus technischer Sicht gesteuert wird, bedeutet das einen Perspektivenwechsel. Die subjektiven Wünsche des Kunden sollen erfasst und in eine einmalige Erfahrung geführt werden.
Einzigartige Kundenreise
Wichtig ist dabei, stets ein konsistentes Bild zu vermitteln. Bei jedem individuellen Kundenkontakt (»Touchpoint«) müssen Markenwerte und Unternehmensidentität übereinstimmen und von den MitarbeiterInnen mitgetragen werden.
Im Schnitt nutzen Kunden bis zu sechs verschiedene Kanäle, um Unternehmen zu Servicefragen, Problemen oder Beschwerden zu kontaktieren. Einfache, transparente und effiziente Prozesse bilden die Basis für ein positives Kauferlebnis. Eine kostenpflichtige Hotline oder eine Website, die nicht für mobile Endgeräte konfiguriert ist, sorgen dagegen für Verärgerung.
Wie Analysen ergeben haben, gibt es letztlich kein einheitliches Schema, wie Kunden zu ihrer Kaufentscheidung gelangen: Jeder Konsument gestaltet seine ganz persönliche, womöglich wirklich »einzigartige« Kundenreise.
Das Beratungsunternehmen BrandTrust hat für eine Kontaktpunkt-Studie die 65 führenden Marken aus den Segmenten Banken, Handel und Sportartikel untersucht. Das auffallendste Ergebnis: Die Bedeutung von Werbung nimmt sukzessive ab. Der Mensch – also der Verkäufer bzw. Berater – ist trotz der zunehmenden Digitalisierung des Kaufprozesses der wichtigste Kontaktpunkt für die Kaufentscheidung. Dieser Meinung schlossen sich in Deutschland
32 %, in der Schweiz 39 % und in Österreich sogar 52 % der rund 2.000 befragten Endkunden an.
Die Markenbildung passiert großteils in der Nachkaufphase über Weiterempfehlung, Wiederkauf und Vertiefung der Bindung. 76 % der Marketingbudgets konzentrieren sich aber auf die Vorkaufphase, kritisiert Christoph Hack, Executive Brand Consultant bei BrandTrust: »Auch wenn es sich viele Unternehmen auf die Fahne schreiben: Es fehlt zumeist das übergeordnete, das kunden- und damit markenzentrierte Denken und Handeln.« Teure Imagekampagnen werden zwar wahrgenommen, verpuffen aber ohne Auswirkung, weil damit kein persönliches Erlebnis verknüpft ist. »Nur bekannt zu sein, hat noch niemandem nachhaltig geholfen. Bekannt sein schafft nicht zwangsläufig Anziehung und somit Begehren«, erklärt Hack.
Roboter mit Tücken
Die persönliche Kommunikation von Mensch zu Mensch schwindet zunehmend. E-Mail- und Telefonkontakte sind zwar noch stark verbreitet, sinken aber kontinuierlich (Telefon: minus 15 % seit 2015). Sie bieten jedoch neben dem Face-to-face-Gespräch die beste Gelegenheit, die Kommunikation individuell zu gestalten. Dass routinemäßig abgefragte Telefonleitfäden bei Kunden weniger gut ankommen, sollte sich in Callcentern längst herumgesprochen haben. Selbst E-Mails lesen sich freundlicher, wenn auf sterile Floskeln à la »Wir danken für Ihr Interesse« verzichtet wird.
Automatisierte Lösungen wie Web Chats oder Chatbots sind dennoch auf dem Vormarsch. Sie suggerieren individuelle Kommunikation, wählen tatsächlich aber aus einer Fülle automatisierter Antworten. Das kann unterhaltsam sein und funktioniert oft erstaunlich gut, besonders bei simplen, wiederkehrenden Standardfragen. Die virtuellen Kommunikationsroboter sind lernfähig und können auch für interaktive Tätigkeiten, z.B. die Reservierung von Tickets, eingesetzt werden. Die niederländische Fluggesellschaft KLM stellt nach der Buchung alle wichtigen Flugdaten sowie mögliche Verspätungen via Facebook-Messenger bereit. Beim Versandhaus Zalando berät Chatbot Emma beim Styling und schlägt passende Kleidung vor.
Das hat mitunter seine Tücken. Noch ist künstliche Intelligenz nicht so ausgereift, dass sie den Nimbus der Unpersönlichkeit abstreifen kann. Dialogprogramme stoßen recht bald an ihre – bzw. unsere menschlichen – Grenzen, wie der Schweizer Kommunikationsexperte Stefan Häseli analysiert: »Woran es hapert, ist die Emotion. Natürlich kann ich dem Kundeninformationssystem sagen, dass etwas nicht funktioniert. Aber wie verärgert ich bin, kann das System nicht erfassen. Ein Wort wie ›super‹ kann zynisch, nichtssagend, lobend oder begeistert wirken – je nachdem, wie es ausgesprochen wird.«
Um die Unterschiede zu erkennen, brauche es keine Intelligenz, sondern Einfühlungsvermögen: »Chatbots können diese Feinheiten nicht wahrnehmen. Der Kunde sagt ›super‹, das bedeutet, ›der Kunde ist zufrieden‹ – so speichert es das System ab. Egal, wie zynisch-beleidigend es gemeint war.« Was überdies nie vergessen werden sollte: Der Kunde bleibt ein Mensch, nicht sein digitaler Zwilling.