Smarte Fabriken verändern nicht nur die Produktionsprozesse. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen vor neuen Herausforderungen.
Kaum ein Begriff beflügelte in den letzen Jahren die Ideen so sehr wie »Industrie 4.0«. Von einer »vierten Revolution« – nach Dampfmaschine, Fließbandproduktion und Automatisierung – war die Rede. In diesem neuen Zeitalter durchlaufen Produktionsteile selbsttätig die gesamte Fertigung und sind dabei stets abrufbar und optimierbar. Individualisierung, früher ein Widerspruch zur Massenproduktion, gilt nun als Credo für die Technologie der Zukunft: Flexibel können Kundenwünsche effizient erfüllt und trotzdem kostendeckend erzeugt werden.
Aber wo bleiben in diesen vollautomatisierten, von Computern gesteuerten Produktionsketten die Mitarbeiter? Obwohl heute kein Experte von einer menschenleeren Fabrik ausgeht, sind der höhere Automatisierungsgrad und selbststeuernde Systeme vermutlich mit dem Verlust von Arbeitsplätzen verbunden – allerdings nicht in allen Bereichen. Teilweise wird es zu einer Verlagerung zu qualifizierteren Tätigkeiten, vor allem in den Bereichen Kontrolle, Planung, Instandhaltung und Prozesssteuerung, kommen.
Auch in der Industrie 4.0 wird es aber weiterhin klassische manuelle Prozesse geben, die nicht durch Maschinen ersetzbar sind. Das gilt besonders für die Anforderungen durch niedrige Stückzahlen. Hier stößt die digitalisierte Automatisierung rasch an ihre wirtschaftlichen Grenzen. Neben der effizienten Verkettung von Prozessen und Systemen ist nämlich Flexibilisierung gefragt – ohne den Menschen als Erfahrungsträger und Entscheider geht es nicht. Starre Lösungen, die ihre Wirkung nur in der Massenproduktion entfalten, sind bei großer Produktvielfalt und immer kürzeren Produktlebenszyklen unrentabel.
Bild: Peter Post, Festo Deutschland: »Der Mensch ist unwahrscheinlich flexibel.«
Der Wissenschafter Dieter Spath beschreibt in der Studie »Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0«, herausgegeben vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart, die hohe Komplexität und die Schnelllebigkeit der Produkte als größte Probleme: »Die Automatisierung hat gerade in der Flexibiltät ihre Grenzen. Wenn wir vollautomatisch hochflexiblen Output erzeugen wollen, überschießt die Komplexität. Deshalb werden wir besser abgegrenzte, konsequent auf einen Themenbereich zugeschnittene Automatisierung mit flexibler Verknüpfung durch Menschen einsetzen.«
Peter Post, Leiter Corporate Research and Technology bei Festo Deutschland, sieht genau hier den Vorteil menschlicher Fähigkeiten: »Der Mensch ist unwahrscheinlich flexibel und kann innerhalb kürzester Zeit eine wahnsinnige Fülle von Aufgaben beherrschen. Maschinen sind oftmals statisch. Die Aufgabe, für die sie ausgelegt sind, können sie gut. Aber eben nur diese eine. Diese beiden Welten gilt es näherzubringen.« Vor allem taktile und sensorische Fähigkeiten seien technologisch nur sehr aufwendig zu realisieren. Auch in der Fähigkeit zu Assoziationen zeige sich die Überlegenheit des Menschen.
Lernlabor
Laut einer Umfrage des IT-Dienstleisters CSC unter 900 Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz fehlen in knapp der Hälfte der Betriebe schon jetzt die nötigen Fachkräfte, die mit IT-Wissen und Fertigungs-Knowhow die vierte industrielle Revolution gestalten könnten. Komplexere und weniger standardisierte Arbeitsinhalte erfordern permanentes Umdenken. Die höhere Marktdynamik wirkt sich auf alle internen Prozesse aus.
Bild: Sabine Seidler, TU Wien: »An realen Industriemaschinen Entwicklungen testen«.
Statt Generalisten heranzuzüchten, geht man im Personalmanagement wieder zur stärkeren Spezialisierung der Mitarbeiter über, die künftig in interdisziplinären Teams individuelle Lösungen erarbeiten. An die neuen Herausforderungen müssen auch die Lehrpläne, Studiengänge und Berufsprofile angepasst werden. Ein typischer Industrie 4.0-Beruf ist beispielsweise der Produktionstechnologe, der über grundlegende Kompetenzen der Prozessorientierung verfügt. Diese Umwälzungen stehen jedoch noch am Anfang.
Als Lernlabor dient auch die in der Seestadt Aspern errichtete »Demofabrik«, betrieben von der TU Wien, die im August 2015 in Betrieb ging. Hier werden Prototypen und Produkttechnologien, Verfahrenstechnologien und -prozesse bis zur Marktreife entwickelt und erprobt, damit sie später von den beteiligten Unternehmen in ihre reguläre Produktion übertragen werden können. »An realen Industriemaschinen und Logistik-systemen können Studierende und WissenschaftlerInnen neue Entwicklungen testen und Forschungsprojekte umsetzen, ohne eine laufende Produktion zu stören«, erläutert TU-Rektorin Sabine Seidler.
20 Partnerunternehmen sind an Bord, darunter Siemens Österreich, GGW Gruber und Emco. Gemeinsam mit ihnen plant die TU u.a. die »variantenreiche Serienfertigung« – eine neue Produktionsform, in der Kunden individuelle Einzelstücke vom Fließband erhalten, z.B. maßgeschneiderte Prothesen oder persönlichen Bedürfnissen angepasste Autos. Auch individualisierte 3D-Drucker will man entwickeln, gilt doch 3D-Druck als Schlüsseltechnologie. Bis 2017 soll in unmittelbarer Nachbarschaft eine eigene Fabrikshalle, errichtet von der Wirtschaftsagentur Wien, entstehen. Drei weitere Pilotfabriken sind auf Initiative des Technologieministeriums (BMVIT) in Planung.
Bild: Aziz Huskic, FH Oberösterreich: »Transferzentrum für Klein- und Mittelbetriebe«.
In Wels ist ein Kompetenzzentrum für intelligente Produktion in Planung. Die FH Oberösterreich will die Kompetenzen in den Bereichen Metallbearbeitung, 3D-Druck und Digitalisierung bündeln und zugänglich machen. »Das Ziel ist, ein Transferzentrum für Klein- und Mittelbetriebe zu werden«, sagt FH-Professor Aziz Huskic, Leiter der Abteilung Production Engineering. Nicht nur große Kooperationspartner wie Voestalpine und Fronius sollen profitieren, sondern auch KMU. Eingebunden sind die FH-Standorte Hagenberg und Steyr sowie die TU Graz und die JKU Linz. Bis zum Sommer werden drei Roboter und eine fünfte 3D-Druck-Anlage angeschafft.
Gläserne Arbeitskräfte
Die enge Vernetzung von Mensch und Maschine ruft auch Sicherheitsexperten auf den Plan. Millionen von gesammelten Daten machen Unternehmen gegenüber feindlichen Zugriffen von außen verwundbar. Vor allem mittelständische Unternehmen sind mit der Datenfülle oftmals überfordert, von ausreichendem Schutz kann keine Rede sein. Aber auch die Arbeitskräfte werden in den digitalisierten Produktionsabläufen zu gläsernen Mitarbeitern. Zeit, Ort und Art ihrer Tätigkeit sind nahezu lückenlos nachvollziehbar. Ohne Zustimmung des Betriebsrats ist der Einsatz dieser Technologien arbeitsrechtlich untersagt.
Bild: Demofabrik Seestadt Aspern: Lernlabor für 20 Partnerfirmen. (Foto: Zinner)
Die Möglichkeit, Personalkapazitäten effizienter zu planen und die Fehlerhäufigkeit in Arbeitsabläufen zu reduzieren, könne – so die Argumentation der Arbeitnehmervertreter – zum Nachteil der Mitarbeiter eingesetzt werden. Auf Basis der gespeicherten Daten wäre beispielsweise eine Leistungsbeurteilung per Knopfdruck möglich. Ein weiterer Punkt ist die Arbeitszeitregelung. Das Wertschöpfungspotenzial kann nur vollständig genutzt werden, wenn flexible Arbeitsmodelle wie Gleitzeit eine optimale Abstimmung bringen. Auch hier wird es ohne Einbindung der Mitarbeiter nicht gehen, im Gegenzug könnten aber etwa Weiterbildungsangebote forciert werden. Philipp Maier, Partner bei der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, rät deshalb zu einer konstruktiven Basis: »Unternehmen sollten in einem frühen Stadium einer digitalen Umstellung das Einvernehmen mit dem Betriebsrat suchen und den Weg der technologischen Innovation möglichst gemeinsam mit diesem gehen.«