Sonntag, Dezember 08, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Johann Mery, Leiter Technik bei Wiener Wohnen, wie Lohn- und Sozial­dumping auf Gemeindebau-Baustellen möglichst verhindert werden sollen, warum das Best- nicht zwingend besser als das Billigstbieterprinzip ist und wie Wiener Wohnen in ­Sachen Facility Management aufgestellt ist.

Report: Die Stadt Wien stellt allein für die aktuell in Bau befindlichen Sanierungen Förderungen im Ausmaß von 174,2 Millionen Euro zur Verfügung. Wie kann Wiener Wohnen sicherstellen, dass seriöse Firmen zum Zug kommen bzw. es zu keinem Lohn- und Sozialdumping auf Gemeindebau-Baustellen kommt?

Johann Mery: Am Beginn dieses Themas steht das Bundesvergabegesetz, das mit seinen Rahmenbedingungen und Reglements hinsichtlich Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Befugnis sicherstellen soll, dass geeignete Unternehmen beauftragt werden. Und natürlich soll damit auch sichergestellt werden, dass die Preislandschaft stimmt. Wiener Wohnen bindet hier zusätzlich externe Sachverständige mit ein, die überprüfen, ob die Preise auch tatsächlich auskömmlich sind. Wir prüfen die Kalkulationsblätter sehr detailliert. Außerdem legen wir durch Anwendung des Preisaufschlag- bzw. Preisnachlassverfahrens einen angemessenen Preiskorridor fest. Und die Unternehmen müssen ihre Kalkulationsgrundlagen sehr genau offen legen, damit wir sicher gehen können, dass zu auskömmlichen Preisen gearbeitet wird. 


Report: In der Vergangenheit hat Wiener Wohnen einige schlechte Erfahrungen mit privaten Unternehmungen gemacht ...

Mery: Das ist richtig. Aber sowohl die Art der Vertragsgestaltung als auch die Struktur des Unternehmens kann sich heute schneller den sich rasch ändernden Umständen anpassen. Problematisch wird es immer dort, wo man als Auftraggeber die Übersicht verliert, wer die eigentlich die ausführenden Unternehmen sind. Da kämpfen wir schon immer noch mit dem gesetzlich gedeckten Subunternehmertum. Denn damit ist es immer noch möglich, sich dem Wahrnehmungskreis des Auftraggebers und den aufwendigen Prüfmechanismen zu entziehen.

Wir haben heute sowohl in der Vergabe als auch in der Abwicklung sehr strenge Prüfkriterien. Mit der Vergabe endet die Auftragsbeziehung nicht, sondern sie startet erst richtig. Vor zwei Jahren haben wir in unserem Tochterunternehmen Wiener Wohnen Kundenservice die Qualitätskontrolle gegründet. Das ist eine Art Second-level-Abwicklungskontrolle, die über Stichproben bei einzelnen Bauabwicklungen einen Querschnittsüberblick zeigt und Auffälligkeiten systematisch feststellt. Damit wird es für Unternehmen immer schwieriger, unter dem Wahrnehmungskorridor durchzutauchen. Eine besondere Herausforderung ist natürlich  die Administration von 330.000 Einzelaufträgen pro Jahr. Hierauf legen wir besonders Bedacht. 


Report: Was sind die häufigsten Auffälligkeiten, die Sie feststellen? Sind das das Unterlohnung, Schwarzarbeit oder vielleicht Qualitätsmängel?

Mery: Das Thema lohnkostendeckender Preis können wir schon im Vergabeverfahren gut kontrollieren. Deswegen ist es uns auch so wichtig, die Auskömmlichkeit der Preise zu überprüfen. Da lässt sich schnell feststellen, ob jemand mit Löhnen kalkuliert, die unter dem Kollektivvertrag liegen. Vor Ort können wir mit Ausweiskontrollen feststellen, ob auch wirklich die richtigen Mitarbeiter auf der Baustelle sind. Damit wollen wir auch sichergehen, dass es zu keinen Weitergaben an nicht genehmig­te Subunternehmen kommt, die natürlich wieder eine eigene Preiskalkulation haben. Die Möglichkeiten, das Subunternehmertum zu verhindern, sind rechtlich endend wollend, aber natürlich ist es unser Recht, zu wissen, wer auf unseren Baustellen arbeitet. Damit wollen wir auch sicherstellen, dass die eingesetzten Materialien den Qualitätskriterien entsprechen. Von den 300 Technikern, die für Wiener Wohnen tätig sind, haben wir 200 an vorderster Front und die werden wie gesagt noch von rund 50 Technikern aus der Qualitätskontrolle unterstützt.  


Report: Auch auf Produktebene sehen sich heimische Hersteller verstärkt mit Billigimporten aus dem Ausland konfrontiert, die oft nach Jahren deutliche Mängel zeigen. Welche Produkte kommen auf den Baustellen von Wiener Wohnen zum Einsatz? 

Mery: Die ersten Gemeindebauten stammen aus dem Jahr 1921 und sind immer noch in bester Nutzung. Das gelingt natürlich nur, wenn Produkte mit einer entsprechenden Qualität zum Einsatz kommen. Unserem Selbstverständnis entsprechend ist auch das Thema Nachhaltigkeit ganz wichtig. Wir verzichten nicht auf Qualität, um kurzfristige Einsparungen zu realisieren. Da sind wir auch den Richtlinien der Stadt Wien unterworfen wie etwa dem ÖkoKauf-Programm. Dieses städtische Beschaffungsprogramm stellt sicher, dass Waren und Dienstleistungen modernen ökologischen Anforderungen entsprechen. Außerdem sind wir im Zuge der Bauausschreibungen, oder wenn es um neue Materialien geht, in sehr engem Kontakt mit der MA39, die beim Thema Nachhaltigkeit sehr am Puls der Zeit ist. 

Wir können also bei den Ausschreibungen ganz klare Qualitätskriterien fixieren und überprüfen dann natürlich die Einhaltung auf der Baustelle. Man kann aber festhalten, dass vor allem auf unseren Großbaustellen das Problem der falschen Produktverwendung kein allzu gravierendes ist, weil durch unser engmaschiges Kontrollnetz die Wahrscheinlichkeit, nicht erwischt zu werden, äußerst gering ist. 


Report: Die Stadt Wien gilt in Insiderkreisen nicht als großer Befürworter des geplanten Umstiegs vom Billigst- auf das Bestbieterprinzip. Wo sehen Sie die Nachteile bzw. was wäre aus Sicht von Wiener Wohnen die beste Lösung? 

Mery: Schon die Bezeichnung beider Lösungen führt etwas in die Irre. Beide Prinzipien haben absolut ihre Berechtigung und ihren Sinn. Und je nach Anwendungsgebiet ist das eine oder andere die bessere Lösung. Die eigentliche Kernfrage ist, ob ich als Auftraggeber in der Lage bin, die Leistung so detailliert zu beschreiben, dass ich die jeweiligen Angebote auch tatsächlich vergleichen kann. Wir haben Anwendungen für beide Prinzipien. So kommt etwa bei Architektenleistungen natürlich ein gewisser Ideenwettbewerb mit ins Spiel, beim einfachen Tausch eines Dachziegels entscheidet aber der Preis.  


Report: Kritiker befürchten auch, dass durch die steigende Komplexität die Anzahl der Einsprüche deutlich ansteigen wird.  

Mery:  Wir haben heute schon die Situation, dass Teile der Wirtschaft den Rahmen der Vergaberechtsschutzmittel auf kreative Art und Weise auszureizen versuchen. Jedes Vergabeverfahren bietet potenzielle Angriffspunkte und natürlich werden diese Punkte mit steigender Komplexität auch mehr. Damit wird der interne Ressourcenaufwand höher und die Einspruchsgeneigtheit steigt. 


Report: Wie sollte das Bundesvergabegesetz Ihrer Meinung nach aussehen?

Mery: Die momentanen Rahmenbedingungen, die sowohl das eine als auch das andere zulassen und es dem Auftraggeber überlassen, was zur Beschaffung das ideale Instrument ist, ist nach unserer Sicht durchaus aufrechterhaltenswert. 


Report: Wie sehen die Ausschreibungskriterien für den neuen Gemeindebau in der Fontanastraße aus?

Mery: Das ist derzeit noch in Konzeption. Darüber kann man jetzt noch nicht viel sagen. Darüber wird es im Laufe der nächsten Wochen Klarheit geben.


Report: Vor zwei Jahren wurde Wiener Wohnen von einem Handwerkerskandal erschüttert, bei dem die Stadt Wien durch Fehlverrechnungen um mehrere Millionen Euro geprellt wurde. Wie wird sichergestellt, dass sich derartiges nicht wiederholt?

Mery: Zum einen: Dort, wo Verdacht entstanden ist, tun wir alles, damit keine Schädigung für das Unternehmen bleibt. Und des Weiteren haben sich die Vertragsbedingungen deutlich gewandelt. Wir fördern ein breites Feld an Auftragnehmern. Durch kleine Losgrößen versuchen wir auch dem Baugewerbe den Zugang zu Teilen der großen Verträge zu ermöglichen. Das schafft für uns einen Preiswettbewerb und zeigt sehr schnell Auffälligkeiten bei der Preisgestaltung einzelner Auftragsnehmer. Bei der Preisprüfung achten wir wie erwähnt ganz penibel auf eine auskömmliche Preisgestaltung. Daran anschließend folgt die Qualitätskontrolle vor Ort, die im Zuge der damaligen Ereignisse eingerichtet wurde. Diese deutlich schärferen Kontrollen haben sich natürlich auch in der Branche herumgesprochen. Die Bereitschaft zur fairen Zusammenarbeit ist deutlich gestiegen. 

Ab Jahreswechsel werden wir zudem auch bei kleinteiligen Leerwohnungsinstandsetzungen neue Abwicklungszugänge pilotieren. Ziel ist es auch hier, die Ressourcen im Abwicklungsprozess direkt zu erhöhen. 


Report: In den knapp 2000 Wiener Gemeindebauten wohnen rund 500.000 Menschen. Wie wird sicher gestellt, dass dieser enorme Bestand bestmöglich betrieben wird? 

Mery: Ich habe mich mit diesem Thema in den letzten zehn Jahren sehr intensiv auseinandergesetzt und mitgeholfen, das Thema Facility Management aufzubauen. Es geht bei Wiener Wohnen heute um eine  ganzheitliche Betrachtung. Wir sind davon abgegangen, Investitionsentscheidungen nur aufgrund eines Kriteriums zu treffen. Wir stellen die Kundensicht in den Fokus und die Technik teilweise bewusst in die zweite Reihe. Wir sehen uns heute ganz klar als Dienstleis­ter am Menschen im Gebäude und nicht mehr das Gebäude als Selbstzweck. Der Gemeindebau ist zwecklos, wenn er nicht genutzt wird. Dafür haben wir an der Unternehmensspitze eine Immobilienportfoliogruppe eingerichtet, um bei großvolumigen Investitionsentscheidungen sicherzustellen, dass neben technischen und wirtschaftlichen Aspekte auch die Kundensicht miteinbezogen wird. 

Neben der ganzheitlichen Betrachtung bauen wir aktuell eine zweite FM-Säule auf, die sich um die Steuerung der Ausgaben kümmert. Da geht es um die Leis­tungsbilder der einzelnen Wohnhausanlagen. In einem Portfolio von rund 2000 Häusern muss der überwiegende Teil der Immobilien gesund sein, dann entwickelt sich auch das Kerngeschäft von Wiener Wohnen weiterhin in eine gesunde Richtung.

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