Menu
A+ A A-

»Vorteile einer laufenden Bewirtschaftung«

Foto: Der Flussregenpfeifer beweist, dass Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben Lebensräume für Tierarten sein können, die anderswo verloren gegangen sind. Foto: Der Flussregenpfeifer beweist, dass Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben Lebensräume für Tierarten sein können, die anderswo verloren gegangen sind.

Christof Kuhn, zuständig für Unternehmenskooperationen und Sponsoring bei BirdLife, im Gespräch über die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Naturschutz in Österreich.

(+) plus: Seit wann gibt es Kooperationen von Unternehmen mit BirdLife? Wie sehen diese prinzipiell aus?

Christof Kuhn: Wir haben seit gut zehn Jahren Kooperationen laufen. Vom anfänglich reinem Logo-Sponsoring haben wir uns entfernt, da heutzutage eher Wert auf aktive Kooperationen gelegt wird. Wir freuen uns, dass wir als Experten herangezogen werden und mit Organisationen zusammenarbeiten können, die eine große Hebelwirkung in ihrem Sektor haben. Man muss einfach Synergie-Effekte finden, und es passt sicherlich auch nicht jedes Unternehmen dazu. Wenn es aber klappt, können wir auch auf unser weltumspannendes Netzwerk zurückgreifen. BirdLife hat weltweit 7.000 Mitarbeiter, rund zwei Millionen Mitglieder und 14 Millionen Spender. Damit werden auch internationale Kooperationen für Unternehmen interessant.

(+) plus: Welche Projekte gibt es derzeit mit der österreichischen Wirtschaft?

Kuhn: In einer Zusammenarbeit mit ­REWE geht es um den Erhalt ökologisch wertvoller Lebensräume. Mit der Regionalmarke »Da komm ich her!« ist die Kooperation auch am Point-of-Sale sichtbar. Für jeden verkauften Artikel geht ein Cent an die Initiative »Blühendes Österreich« für die Sicherung von naturbelassenen Flächen. Ein weiteres Projekt ist derzeit eine Versuchsstrecke der ÖBB in Kärnten zum Schutz des Uhus vor Stromschlägen mithilfe von speziellen Abdeckungen bei Isolatoren und Leitungen. Eine besonders erfolgreiche Zusammenarbeit gibt es mit dem Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid. Die APG stellt auf Hochspannungsmasten Nistplattformen für den Sakerfalken zu Verfügung. Der Sakerfalke mag es dort, er sucht sich die höchsten Punkte in einer Landschaft. Mittlerweile nis-ten die meisten österreichischen Brutpaare dieser Greifvogelart auf APG-Masten. Mit dem Forum mineralische Rohstoffe wiederum werden Maßnahmen in Sand- und Kiesgruben umgesetzt, die von BirdLife fachkundig betreut werden.

(+) plus: Artenschutz in der Kiesgrube? Das mutet wie ein Widerspruch an.

Kuhn: Nur auf dem ersten Blick. Von der Öffentlichkeit werden Abbaustätten oft als Wunden in der Landschaft wahrgenommen. Dieses Bild hat teilweise seine Berechtigung, ist aber immer von der Umgebung und dem Standort abhängig. In der Tier- und Pflanzenwelt gibt es Spezialisten, die genau jene Lebensräume brauchen, die anderswo verloren gegangen sind. So braucht der Flussregenpfeifer für die Nahrungssuche und zur Eiablage offene, große Schotterflächen. Er baut kein Nest, sondern legt seine gut getarnten Eier in Sand und Kieselsteine. Dieser Lebensraum ist in Öster­reich vielleicht noch entlang der Quellflüsse der Leitha oder in Tirol am Lech zu finden. Es hat sie früher vor allem entlang der Donau über hunderte Quadratkilometer gegeben. Durch Einstauen und Eindeichungen sind diese Flächen verloren gegangen. Ohne Schotter- und Kiesgruben wäre der Vogel wahrscheinlich in Österreich bereits ausgestorben.

(+) plus: Stört denn der laufende Betrieb in den Gruben nicht die Tierwelt?

Kuhn: Nicht unbedingt. Der Flussregenpfeifer ist ja auch Veränderungen seines Reviers durch Hochwasser gewohnt. Er passt sich auch an gewisse Betriebsaktivitäten an und fliegt zur Nahrungssuche einfach jene Stellen in einer Grube an, wo gerade nicht abgebaut wird. Ein Nest, in dem gebrütet wird, sollte man jedoch mit einem Absperrband kennzeichnen. Damit ist der Baggerfahrer gewarnt und kann dann zirka sechs Wochen daran herumfahren – die Brutzeit des Flussregenpfeifers ist relativ kurz, die Jungvögel sind schnell flügge. Und der Vogel ist ja auch nicht blöd: Stellen, an denen jeden Tag der Bagger fährt, vermeidet er ohnehin.

Außerdem gibt es in jeder Kies- und Sandgrube immer wieder ruhende Bereiche, in denen einige Jahre nicht abgebaut wird. Es gibt auch Vögel, die annähernd senkrechte Sandwände brauchen. Der Bienenfresser oder die Uferschwalbe beispielsweise brauchen zum Brüten steile Sand- oder Lösswände, in denen Sie Schutz vor Füchsen finden. Ihre Lebensräume waren früher steile Flussufer, die es kaum mehr gibt. Deshalb ist es auch wichtig, dass solche Wände – die mit den Jahren verwachsen und verflachen – immer wieder neu angerissen werden.

Es sind positive Beispiele, in denen die laufende Bewirtschaftung einer Grube sogar Vorteile für die Tierwelt schafft. Das gilt auch für Insekten wie den Sandlaufkäfer, der auf vegetationsarmen Flächen Nahrung sucht, die Heidelibelle, die gerne bei kleinen Lacken jagt, und bestimmte Heuschreckenarten. Das betrifft auch Amphibien wie die Gelbbauchunke, die an Feuchtstellen lebt. Sie war früher wesentlich häufiger, ihr Bestand geht aber seit Jahren stark zurück. Dann gibt es verschiedene Kammmolcharten, die fast ausschließlich im Wasser leben. Oder die Zauneidechse: Sie ist allseits bekannt, ihr Bestand geht aber ebenfalls seit Jahren zurück.

Bestimmte Pflanzenarten – Gräser und Kräuter – wachsen auf humusarmen Rohböden, sogenannten Pionierstandorten. Sobald sich mit der Zeit eine Humusschicht bildet, werden sie von anderen Arten überwuchert und die Pflanze verschwindet wieder. Daher ist es hilfreich, dass der Boden immer wieder abgeschoben wird. Natürlich bringt das auch Zerstörung mit sich. Aber Zerstörung kann auch wieder zu neuem Leben führen. Wenn dies prioritäre und besonders geschützte Arten betrifft, auf die man in einer Region oder auch in Europa nur noch selten trifft, ist das umso besser.

(+) plus: Was sind die größten Faktoren für den Verlust von Lebensraum in Österreich?

Kuhn: Viele Flächen gehen durch die fortschreitende Verbauung für immer verloren. Die Städte wachsen mit ihren Speckgürteln weiter und verschlingen ehemaliges Bauernland. Auch durch die intensive Landwirtschaft geht vieles kaputt. Werden Wiesen zu oft gemäht, bevor sich Blüten bilden und Blumen aussämen können, dann verschwinden diese Blumen. Damit geht Insekten, Schmetterlingen und Bienen Nahrung verloren. Manche Hummelarten haben sich im Laufe einer Koevolution auf bestimmte Blütenarten spezialisiert. Vielen insektenfressenden Vögeln fehlt dadurch wiederum die Nahrung. Dann kommen noch Pestizide im Ackerland ins Spiel, die ebenfalls viel ruinieren. Seit gut hundert Jahren werden auch Feldraine immer weiter verkleinert oder ganz umgebrochen, Sträucher und Einzelbäume am Feldrand entfernt. Das waren immer wichtige Inseln, in denen sich Tiere verstecken und zurückziehen konnten.

Feuchtwiesen werden entwässert, Trockenwiesen – die ebenfalls eine wertvolle ökologische Bedeutung haben – wurden bewässert. Vielerorts haben wir heute in der Landschaft ein Einheitsgrün, das in der Regel das Gegenteil von Biodiversität ist. Die fettgrüne Löwenzahnwiese, die viele Städter anspricht, ist eine »ökologische Wüste«. Der Löwenzahn ist ein Überdüngungszeiger, wenn zu viel Stickstoff aufgebracht wird.

(+) plus: Wie schwierig ist Ihr Job, Unternehmenskooperationen zu knüpfen? Wie aufgeschlossen ist die Wirtschaft?

Kuhn: Es gibt schon viele Unternehmen, die grundsätzlich interessiert sind – Stichwort Corporate Social Responsibility. Viele können sich aber noch wenig darunter vorstellen und organisieren vielleicht im Rahmen von Team-Building-Maßnahmen einzelne Tagesaktivitäten. Wichtiger ist für uns aber der Aufbau von langfristigen Kooperationen, in denen das gesamte Handeln einer Firma in gewissen Bereichen auf Naturverträglichkeit ausgerichtet ist. Wenn also ein Unternehmen beispielsweise übers Jahr Abwasser produziert, ist die beste Maßnahme die Reduktion dieses Abwassers oder der Giftstoffe darin. Bei einer Kies- oder Sandgrube geht es um die Gestaltung des täglichen Betriebs mit Artenschutz-Maßnahmen, die zu keinen oder nur geringen monetären Einbußen führen. Oft sind es einzelne interessierte Mitarbeiter, die solche Projekte anstoßen. Die Mitarbeiter im Außendienst haben die Berührungspunkte mit der Natur.


Facts

Wie viele heimische Vogelarten gibt es?

1993 gab es 239 Brutvogelarten in Österreich. Seit damals sind bereits einzelne Arten ausgestorben. Unter Berücksichtigung von Durchzüglern und gelegentlichen Irrgästen steigt die Zahl der Vogelarten, die von den »Birdern«, den aktiven Beobachtern bei BirdLife, gesichtet worden sind, auf 417.

back to top