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Börsenblick 2011

Schuldenkrise, schwacher Konsum, stotternde Konjunktur – es geht nur langsam bergauf. Wie Analysten die Entwicklung auf den Kapitalmärkten einschätzen, hat Report(+)PLUS nachgefragt. c


An der Wiener Börse gibt es dieser Tage Grund zur Freude: Der ATX feiert sein 20-jähriges Bestehen. Am 2. Jänner 1991 startete der Index der 20 liquidesten österreichischen Aktien bei 1.000 Punkten, zum Jahresende 2010 lag er bei 2.830 Punkten. In den vergangenen 20 Jahren lieferte der ATX im Durchschnitt eine jährliche Performance von 9,5 Prozent. Aber auch den aktuellen Vergleich mit anderen Börsenplätzen muss Wien nicht scheuen. Trotz des schwierigen Umfelds lag der durchschnittliche monatliche Aktienumsatz 2010 bei rund sechs Milliarden Euro.

Große Unsicherheit herrscht jedoch nach wie vor bei IPO-fähigen Unternehmen hinsichtlich eines Börsegangs. »Dies betrifft allerdings nicht nur den Finanzplatz Österreich, sondern Börsen in ganz Europa«, meint Heinrich Schaller, Vorstand der Wiener Börse. 2011 will man deshalb die Aufmerksamkeit der Unternehmen auf das Thema Eigenkapitalfinanzierung lenken. »Hier besteht gerade in Österreich großer Nachholbedarf, denn derzeit liegen die heimischen Unternehmen mit ihrer Eigenkapitalausstattung im europäischen Vergleich nur im letzten Drittel«, so Schaller.

Für das Börsenjahr 2011 rechnet die Wiener Börse mit großem Interesse an Unternehmensanleihen. Analysten sehen jedoch auch Aktieninvestments zunehmend positiv. Besonders günstig dürften sich Rohstoffe entwickeln. Nach Regionen profitieren vor allem die stabileren Länder im CEE-Raum sowie anhaltend stark die Emerging Markets. Für Irritationen auf den Finanz- und Währungsmärkten werden weiterhin die hohen Staatsverschuldungen einiger Länder sorgen – vor dem Hintergrund der flauen Konjunktur bleibt vor allem die Eurozone verletzlich.

 

Die Fragen:

1. Der ATX verzeichnete 2010 mit einem Plus von rund zehn Prozent ein durchschnittliches Aktienjahr. Welche Werte haben Sie dennoch überrascht?

2. Die Situation einiger EU-Staaten ist prekär. Werden Ihrer Einschätzung nach weitere Rettungspakete ­nötig sein?

3. Die meisten CEE-Staaten weisen deutlich geringere Verschuldungsraten auf als der Durchschnitt der EU bzw. Euro-Zone. Wie werden sich die Märkte entwickeln?

4. Nach jüngsten Prognosen werden die USA 2011 das höchste Haushaltsdefizit der G7-Länder verzeichnen. Die Emerging Markets ziehen davon. Wird sich diese Kluft noch vergrößern?

5. Österreich profitiert von der vergleichsweise geringen Staatsverschuldung. Wie sehen Ihre Erwartungen für 2011 aus? Wo sollten Anleger investieren?

 

Die Antworten:

 

\"Friedrich>> Friedrich Mostböck, Head of Group Research Erste Bank AG <<


1. Der ATX schnitt gegenüber vielen anderen etablierten Börsen deutlich besser ab. Überrascht haben mich vor allem »globale Player« im ATX, welche im heurigen Jahr die Performanceliste anführen (Schoeller Bleckmann, RHI, Andritz und Semperit).

2. Weitere konzertierte Maßnahmen seitens Regierungen und Notenbanken werden auch nicht für das Jahr 2011 auszuschließen sein. Jedenfalls wird die Finanzmärkte die Problematik hoher Staatsschulden längerfristig (3–5 Jahre) begleiten. Die Problematik hoher öffentlicher Schulden ist aber eine globale und nicht nur auf die europäische Situation beschränkt.
3. Die Märkte sollten durch die geringeren Verschuldungsraten weniger stark negativ belastet sein. Zum anderen rechnen wir für den Durchschnitt CEEs mit einem deutlich höheren BIP-Wachstum gegenüber der Eurozone (2011e: 2,9 vs. 1,3, 2012e: 3,8 vs. 1,5). Also mehr als jeweils doppelt so viel. All das wird in Summe wohl eine weitere Besserentwicklung der Märkte in CEE ermöglichen.

4. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich Emerging Markets und Schwellenländer infolge ihres kompetitiven Vorteils bei noch dazu viel geringeren Ausgangsniveaus (Aufholbedarf bei Einkommen, Infrastruktur, Vorsorge etc.) weiter besser entwickeln werden.

5. Österreich sollte von der geringeren Verschuldung und durch die Vorteile der Ausrichtung nach Zentral- und Osteuropa wieder verstärkt profitieren können. Die KGV-Bewertung ist nach wie vor attraktiv und das Gewinnwachstum deutlich zweistellig. Anleger sollten in Blue Chips wie OMV, RHI, VIG und voestalpine sowie in Wachstumswerte wie Semperit oder Kapsch TrafficCom investieren.



\"christoph>> Christoph Raninger, Vorstand Bawag P.S.K., Ressort Corporates & Financial Markets <<

1. Der ATX konnte sich im Vergleich mit anderen europäischen Börsen an vorderster Front behaupten, was durchaus die Attraktivität des Handelsplatzes Wien reflektiert. Hinter den Erwartungen blieben Intercell und bwin. Im Gegensatz dazu überraschte die Schoeller Bleckmann Oilfield Services positiv und führt mit knapp 90 Prozent Kursgewinn die ATX-Performanceliste an. Auch Andritz (rund 70 Prozent plus) konnte vom heimischen Konjunkturaufschwung, aber auch von der Positionierung in China und anderen Emerging Markets profitieren. Auch weitere Zykliker wie der Feuerfestkonzern RHI oder der Stahlkonzern voestalpine zählten zu den Gewinnern im ATX.

2. Das hoffe ich natürlich nicht. Jedes Land ist gesondert zu betrachten. Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass das Ansteckungsrisiko seit der Irland-Hilfe noch weiter zugenommen hat. Die Situation könnte sich speziell für Spanien und Italien verschärfen. Denn sollten die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen weiter stark ansteigen und sich damit die Refinanzierung am Kapitalmarkt drastisch verteuert oder sie sogar unmöglich macht, müssen betroffene Länder letztlich um Hilfe ansuchen.

3. Polen hat die Finanzkrise wohl am besten überstanden und dürfte auch 2011 das stärkste Wirtschaftswachstum erzielen.Auch Tschechien, Slowakei sowie Estland erleben einen robusten Aufschwung. In den anderen CEE-Staaten kommt die Erholung eher zögerlich voran. Die Höhe der Staatsverschuldung ist in diesen Ländern zwar nicht dramatisch. Allerdings stehen hohe Budgetdefizite, außenwirtschaftliche Ungleichgewichte und Strukturschwächen einer kräftigen Expansion vorerst entgegen. Mittelfristig sollte sich allerdings erneut ein stärkeres Wachstum als im Euroraum einstellen. Auch die Währungen der CEE-Staaten dürften tendenziell auf­werten.

4. Die Emerging Markets gelten bereits seit einigen Jahren als treibende Kraft des globalen Wachstums. Vor allem die südostasiatischen Volkswirtschaften verzeichnen merkliche Outputsteigerungen. Die USA betreiben klassisches »Deficit Spending«, d.h. sie stimulieren die Konjunktur durch Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen. Die Finanzmärkte akzeptieren diese Politik offensichtlich, denn die Renditen für US-Treasuries sind im internationalen Vergleich nach wie vor sehr niedrig. Die USA haben einen wesentlichen Vorteil: einen einheitlichen, sehr liquiden und damit sehr effizienten Kapitalmarkt. Dagegen sind die einzelnen Anleihenmärkte im Euroraum mit wenigen Ausnahmen sehr klein, nicht in Bezug auf die Währung, aber in Bezug auf den Emittenten.

5. Österreichs Staatsverschuldung und Budgetdefizit sind im internationalen Vergleich zwar unbedenklich, in den nächsten Jahren sind Sparmaßnahmen zur Budgetkonsolidierung jedoch unumgänglich. Die daraus entstehenden wachstumshemmenden Impulse werden jedoch relativ gering ausfallen. Österreich hat eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten im Euroraum, und die Arbeitsmarktsituation dürfte sich im heurigen Jahr weiter verbessern. Die Inlandskonjunktur könnte 2011 deutlich an Schwung gewinnen und die geringere Dynamik in der Exportwirtschaft kompensieren.

\"peter>> Peter Brezinschek, ­Chefanalyst von Raiffeisen ­Research <<

1. Die europäische Konjunkturentwicklung zeigte sich im Jahresverlauf etwas stärker, als man zu Beginn erwarten konnte. Vor diesem Hintergrund präsentierten sich insbesondere Industrietitel stark, auch solche, die nicht im ATX an der Wiener Börse notieren. SBO, RHI, Andritz, Palfinger und Zumtobel erzielten im vergangenen Jahr Kurszuwächse zwischen 47 und 93 Prozent. Die Aktie von Kapsch TrafficCom verdreifachte sich als Folge von Großaufträgen und der Erwartung, dass noch weitere folgen werden. Der Smartphone-Boom beflügelte AT&S in einer positiv überraschenden Deutlichkeit.

2. Wir gehen davon aus, dass Ängste um die Finanzierungsfähigkeit von Ländern wie Portugal und Spanien im ersten Halbjahr 2011 wieder aufkommen werden und dass Portugal gezwungen sein könnte, so wie Irland auf EU/IWF-Finanzierung über den »Schutzschirm« zurückzugreifen.

3. Tatsächlich hat von den CEE-Staaten nur Ungarn eine öffentliche Verschuldung, die das Maastrichtkriterium von über 60 Prozent des BIP überschreitet. Während sich die am weitesten entwickelten Staaten in Zentraleuropa bei einer Verschuldung von etwa 54 Prozent des BIP in 2012 einpendeln, liegen die Staaten in SEE mit unter 40 Prozent und GUS mit nur um die 13 Prozent deutlich darunter. Trotzdem ist auch in einzelnen CEE-Ländern (Polen, Rumänien, Slowakei) das Budgetdefizit stark angestiegen. Mit klaren Sanierungsmaßnahmen und dem Vorteil eines höheren BIP-Wachstums in den nächsten Jahren sollte eine Ansteckung mit dem südeuropäischen Schuldenvirus vermieden werden.

4. 2011 wird sich diese Kluft vonseiten der USA klar vergrößern. Die USA zählen zu den wenigen Industriestaaten, die 2011 ihr Haushaltsdefizit nicht reduzieren, sondern sie haben sogar zusätzliche fiskalische Maßnahmen zur Konjunkturbelebung beschlossen. Ab 2012 dürften dann zwar auch die USA daran gehen, ihr Defizit zu reduzieren – das dürfte aber nur recht langsam und auf einem sehr hohen Niveau von rund zehn Prozent des BIP geschehen.
Die Verschuldungssituation der Emerging Markets dürfte sich weiterhin verbessern: Erstens waren die Stimulierungsprogramme – mit Ausnahme Chinas, wo die offiziellen Verschuldungszahlen bei etwas über 20 Prozent des BIP liegen – nicht so hoch angesetzt und wurden zum Teil auch schon wieder zurückgenommen. Zweitens erleichtern die historisch nach wie vor niedrigen, wenn auch steigenden Zinsen den Schuldendienst. Und drittens der wichtigste Aspekt: Das hohe Nominalwachstum wird in den nächsten Jahren einen zügigeren Schuldenabbau und eine geringere Neuverschuldung ermöglichen.

5. Wir gehen für 2011 in Österreich mit 2,5 Prozent von einem deutlich stärkeren BIP-Wachstum als im Durchschnitt der Eurozone aus. Im Zuge dessen erwarten wir steigende Kapitalmarktrenditen und raten, insbesondere von langen Laufzeiten bei Staatsanleihen Abstand zu nehmen. Unternehmensanleihen sind ertragreicher und daher von uns favorisiert. Um dennoch von der relativ robusten österreichischen Konjunktur zu profitieren, bietet sich der österreichische Aktienmarkt an. AT&S, Kapsch Traffic, RHI, Rosenbauer, Verbund und voestalpine zählen zu unseren Empfehlungen.


>> Thomas Neuhold, Leiter Aktienresearch Österreich der Bank ­Austria UniCredit  <<

1. Positiv überrascht hat 2010 insbesondere die starke Performance vieler österreichischer Industrietitel, die großteils hohe zweistellige Kurszuwächse verzeichnen konnten, z.B. SBO (+92%), RHI (+81%), Andritz (+70%) oder Semperit (+47%). Eine deutlich besser als zu Jahresbeginn erwartete globale wirtschaftliche Entwicklung sowie durchwegs positive Überraschungen bei den Unternehmensergebnissen haben diese Aktien beflügelt.

2. Auch wenn Portugal möglicherweise Hilfe von Seiten der EU benötigt, sind keine weiteren Rettungspakete notwendig, da die derzeit (vorläufig großteils theoretisch, da noch nicht refinanziert) zur Verfügung stehenden Mittel aus EFSM (European Financial Stability Mechanism) und EFSF (European Financial Stability Facility) ausreichen sollten. Sollte sich die Situation insgesamt noch verschärfen, so ist aus heutiger Sicht nicht klar, wie dies dann technisch (Eurobonds, generelle Garantie) abgewickelt würde.

3. Grundsätzlich profitieren die meisten EU-Mitgliedsstaaten aus CEE von einem geringeren Niveau ihrer Staatsverschuldung, auch von der sich wiederbelebenden Wirtschaft. Dies sollte sich 2011 positiv auswirken, allerdings sind auch diese Länder gegenüber einer möglichen negativen Entwicklung in der Eurozone nicht immun.

4. Die Wirtschaft in den entwickelten und in den Emerging Markets wächst mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Die westlichen Industrienationen weisen ein vergleichsweise geringes Wachstum auf, während die Emerging Markets solide Wachstumsraten von nahezu zehn Prozent zeigen. Einige Schwellenländer, wie China und Indien, haben sogar schon die erste Phase von Zinsanhebungen hinter sich gebracht. Auch die geringen öffentlichen Verschuldungsquoten sprechen für die Emerging Markets. Langfristig bleiben die positiven Faktoren dort bestehen: große und junge Bevölkerung, steigende Ausbildungs- und Einkommensniveaus. Während die Emerging Markets 80 Prozent der Bevölkerung, 75 Prozent an Land und 66 Prozent aller ausländischen Devisen stellen, beträgt die Marktkapitalisierung gerade einmal 31 Prozent weltweit. Nach einer Studie von Goldman Sachs sollen die Emerging Markets im Jahr 2030 mehr als die Hälfte der weltweiten Marktkapitalisierung auf sich vereinigen. Bei der Wirtschaftsleistung konnte 2010 China den Nachbarn Japan überholen und belegt nun den zweiten Platz hinter den USA.

5. Österreich hat einen deutlich geringeren Bedarf bei der Haushaltssanierung, da sowohl das strukturelle Defizit als auch die Verschuldung günstiger ist als in vielen anderen Ländern der Eurozone. Bei der Anlageentscheidung spielen jedoch primär internationale Faktoren eine Rolle. Wir erwarten für 2011 für Aktien eine volatile Seitwärtsbewegung mit einer positiven Grundtendenz. Die Unternehmensgewinne entwickeln sich solide, und die Aktienbewertungen sind nach wie vor vernünftig, insbesondere im Vergleich zu Anleihen. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor eine Reihe von ungelösten Problemen, insbesondere die hohe Verschuldung vieler Industrieländer, die immer wieder zu Kurskorrekturen an den Märkten führen wird. Aufgrund der vergleichsweise geringen Staatsverschuldung in Österreich sollte der Wiener Aktienmarkt auch 2011 zu den besseren westeuropäischen Aktienmärkten zählen.

\"uwe>> Uwe Lang, Berater der Swissinvest Vermögensverwaltung, Herausgeber der »Börsen­signale« <<

1. Dass sich die Stahlproduzenten wie voest­alpine so schnell wieder erholen würden, war sicher eine Überraschung. Diese Aktie bleibt vermutlich weiter im Aufwärtstrend und ist immer noch gut kaufenswert.

2. Ich denke, die Regierungen in Europa und auch die EZB haben jetzt genug getan, um einerseits wieder Vertrauen in eine künftige solide Haushaltspolitik der Euro-Staaten zu schaffen als auch Zeichen zu setzen, dass die Gemeinschaftswährung und die europäi­sche Solidarität unumkehrbar sind.

3. Wenn mit den CEE-Staaten die Länder Osteuropas gemeint sind, die sich nach dem Ende der Sowjetunion der Marktwirtschaft zugewandt haben, so sind diese sehr unterschiedlich einzuschätzen. Ungarn weist beispielsweise eine sehr hohe Verschuldungsrate auf. Ungarische Aktien gehören derzeit zu den Titeln, die innerhalb Europas zusammen mit Griechenland am schlechtesten im Trend liegen. Eine Besserung ist momentan nicht in Sicht. Sehr viel besser sieht es bei Polen und den baltischen Staaten aus. Ihre Unternehmen haben sich innerhalb Europas durchaus dem Niveau angepasst.

4. Man sollte die USA und die Flexibilität ihrer Unternehmen keinesfalls unterschätzen. Vermutlich wird die US-Konjunktur im Laufe des Jahres 2011 wieder deutlich anziehen. Die Emerging Markets bleiben auch abhängig von der Wirtschaftskraft der USA.

5. Mit einem durchschnittlichen Kurs-Umsatz-Verhältnis von 0,93 sind die österreichischen Unternehmen noch keineswegs überteuert. Erst bei rund 25 Prozent höheren Kursen wären wir bei den historischen Hochs von 2000 oder 2007. Zumindest in der ersten Jahreshälfte 2011 dürfte es an der Wiener Börse daher weiter nach oben gehen, freilich unter der Bedingung, dass nicht unerwartete Konkurse von Staaten oder Großbanken die Weltbörsen belasten. Interessante Werte sind Zumtobel, voestalpine, Sano-Chemia und Mayr-Melnhof.

 

 

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