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Ein Karriereknick ist kein Beinbruch

Kündigung, Karenz, Krankheit – ein Karriereknick kann schnell aufs Abstellgleis führen. Mit der richtigen Strategie wird aus dem vermeintlichen Rückschlag die Chance zu einem beruflichen Neubeginn.

Swarovski streicht in Wattens 1.100 Stellen, Böhler-Uddeholm entlässt 15 Prozent der Stammbelegschaft, beim Maschinenbauer Engel in Schwertberg drohen 400 Kündigungen. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, und längst sind nicht nur Leiharbeiter oder kleine Angestellte von den Einsparungen betroffen.
Schon die in den letzten Jahren immer beliebteren Merger warfen jede Menge mittlerer Führungskräfte auf den Arbeitsmarkt, die sich kurz zuvor noch am Beginn einer großen Konzernkarriere wähnten. Durch die Firmenfusion gab es dann häufig zwei Leute für einen Posten – genau einen zu viel. Vor Kündigungen schützen weder eine hervorragende Ausbildung noch jahrelange Erfahrung. Im Gegenteil: Gerade lang gediente Mitarbeiter sind oft die teuersten. Laut »Hernstein Management Report 2008«, für den 300 Führungskräfte in Großbetrieben in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt wurden, gaben 37 Prozent der Manager an, schon selbst mindestens einmal von einem Karriereknick betroffen gewesen zu sein – Führungskräfte in Österreich deutlich häufiger als ihre deutschen oder Schweizer Kollegen.

Ich arbeite, also bin ich
Ein Bruch in der Karriere kann jeden treffen. Und so sind auch die Reaktionen und Folgen dieses Ereignisses – unabhängig von Ausbildung, Beruf und Status – durchaus ähnlich. Vor allem eine Kündigung empfinden viele als massive Kränkung, Absagen auf Bewerbungen und Scheitern bei Beförderungen kratzen am Selbstbewusstsein. Auch das Gefühl, nach überstandener längerer Krankheit oder Karenz überflüssig zu sein, kann eine Negativspirale in Gang setzen. Aggression, Wut, Angst, aber auch Ohnmacht und Resignation wechseln einander ab.
Besonders Arbeitslosigkeit wird mit persönlichem Versagen gleichgesetzt, auch wenn häufig wirtschaftliche Faktoren dafür ausschlaggebend sind. Der Mensch definiert sich über die Arbeit und mit dem Arbeitsplatz geht ein Teil der Identität verloren: Beschrieb man bisher die eigene Person zumeist über die Berufsbezeichnung und Schilderungen aus dem Arbeitsalltag, fehlt diese Komponente nun völlig.
So ist es wenig verwunderlich, dass der Großteil der Betroffenen zunächst mit Schock reagiert. Gerade Mitarbeiter, die sich für das Unternehmen physisch und psychisch verausgabt haben, erwischt es manchmal eiskalt. Aufgrund ihres überproportionalen Einsatzes glauben sie sich ihres Jobs sicher, umso traumatischer ist dann eine Kündigung.
Für andere wirkt der ungeplante Einschnitt dagegen wie ein Befreiungsschlag. Trotz Unzufriedenheit oder permanenter Überlastung hätte man vermutlich noch lange Zeit unter diesen Bedingungen weiter gearbeitet. Hier setzt Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek an, die ihren KlientInnen in Krisen- und Umbruchssituationen zu einer Regenerationsphase rät: »Diese Zeit sollte man für sich nutzen – alles, was man schon längst tun wollte, aber immer aufgeschoben hat. Gesundheit, Beziehungen, Kinder, Freunde können wieder mehr Raum einnehmen und für mehr Lebensqualität sorgen.« Dies ist umso wichtiger, da Familie und Freunde in Krisenzeiten Kraftquelle und Rückzugsort gleichermaßen sind. Andererseits »wirken einschneidende berufliche Situationen auch häufig klärend auf private Beziehungen«, so der Psychologe und Autor Uwe Kern: Bereits kriselnde Partnerschaften zerbrechen unter der zusätzlichen Belastung, intakte Beziehungen werden weiter gestärkt.

Lebenskünstler
Für den Vermögensberater Roman Plachy bedeutete die Kündigung den Sprung ins Ungewisse – und war dennoch selbst gewählt. Insgesamt acht Jahre lang hatte er für den Finanzdienstleister Ertrag & Sicherheit (E&S) »wie in einem Hamsterrad« ge­rackert. Anfänglich von dem Geschäftsmodell begeistert, unterschätzte er die starren Vorgaben des Strukturvertriebs: »Das Reizvolle war, selbst etwas aufzubauen. Die Geschäftsleitung hat uns immer gepredigt, mach dich selbstständig – in Wirklichkeit war ich dadurch aber erst recht abhängig.« Als er zu dieser bitteren Erkenntnis gelangte, war es bereits zu spät. Den sicheren Job mit Firmenbeteiligung bei einem Tiroler Automationsunternehmen hatte er zugunsten eines aufreibenden 15-Stunden-Tages mit Finanzierungsberatungen aufgegeben. Die intensive Arbeit trug zwar bald Früchte; nach fünf Jahren hatte Plachy bereits rund 30 Mitarbeiter unter sich, verdiente in manchen Monaten mehr als 10.000 Euro. Dass der vermeintlichen Freiheit als gewerblicher Vermögensberater im Strukturvertrieb enge Grenzen gesetzt sind, zeigte sich aber, als sich Plachy mit einigen Kollegen zu einer Bürogemeinschaft zusammenschloss. So viel Eigeninitiative war der Geschäftsleitung ein Dorn im Auge. Sie torpedierte jede neue Idee der Gruppe, die zuletzt nicht einmal Meetings oder Präsentationen in den eigenen Räumlichkeiten abhalten durfte. Nach drei Jahren, von den 65 Mitarbeitern hatten bis auf sechs alle frustriert das Team verlassen, warf auch Plachy entnervt das Handtuch: »Diese Zeit hat sehr viel Substanz gekostet. Du musst täglich deine Leute motivieren, wirst selbst ausgesaugt, bekommst aber von oben keine Unterstützung.«
Mit seiner neu gegründeten Firma Finance Solutions versucht er, in der Projektentwicklung für Umwelttechnologie Fuß zu fassen, u.a. befindet sich eine Müllverbrennungsanlage in Kroatien bereits »in der Pipeline«. Bis das Projekt tatsächlich realisiert wird, hängt der Familienvater finanziell in der Luft. »Ich habe kein Sicherheitsnetz«, ist er sich des Risikos bewusst; andererseits vertraut er auf sein Know-how, sein Netzwerk an Kontakten und den in den letzten Jahren gewonnenen persönlichen Erfahrungsschatz. »Ich habe schon als Kind in der Greißlerei meiner Eltern Wurstsemmeln verkauft«, erzählt Plachy, »ich bin mir für keine Arbeit zu schade.«
Stehaufmännchen, Lebenskünstler, wie immer man diese Menschen nennen möchte – sie verfügen über die nötige Flexibilität und Gelassenheit, die im Berufsleben heute gefordert ist. Kaum eine Karriere verläuft noch in schnurgeraden Bahnen. Die Mitte-30-Jährigen, häufig als »Generation Praktikum« bezeichnet, sind mit unsteten Beschäftigungsverhältnissen bereits aufgewachsen. Befristete Jobs, Werkverträge, freie Mitarbeit, und das alles in ständig wechselnden Branchen und Berufen: Schließt sich eine Tür, geht anderswo eine neue auf. Und: Für einen Neubeginn ist es nie zu spät. Mit 45 eine Therapieausbildung beginnen – warum nicht?

Von Null anfangen
Ein häufiger Einschnitt in die Berufslaufbahn betrifft großteils Frauen: die Karenzzeit. Bei der Rückkehr nach der Babypause sind Wiedereinsteigerinnen meist erst einmal weg vom Fenster, der angestammte Arbeitsplatz ist längst von anderen besetzt, für Teilzeitlösungen stehen oft nur weniger qualifizierte Tätigkeiten zur Verfügung. Obwohl der Begriff »Work-Life-Balance« schon in aller Munde ist, wird ein weniger karriereorientierter Lebensentwurf, der Familienleben und Freizeit genügend Raum gibt, von der Firmenleitung gerade bei männlichen Mitarbeitern noch immer wenig goutiert.
Auf völliges Unverständnis stieß auch Christian Colombini, als er für das zweite Lebensjahr seiner Tochter Karenz anmeldete. In dem medizinisch-technischen Unternehmen wurde er nicht nur vom Chef, sondern auch von den weiblichen Angestellten belächelt. Nach dem Jahr Auszeit war er schließlich sicher, nicht mehr in diese Firma zurückkehren zu wollen. Bestärkt durch seinen Bruder, Leiter einer Werbeagentur, begann er sich für den Bereich Grafik und Druckvorstufe zu interessieren. Ohne einschlägige Ausbildung – »ich musste von Null anfangen« – heuerte er als Quereinsteiger in einem Grafikstudio an, lernte den Beruf von der Pike auf und arbeitete sich in vier Jahren zum Studioleiter hi­nauf. Nach weiteren drei Jahren stand Colombini erneut vor einem Scheidepunkt: Mit der Sicherheit eines großen Kunden im Rücken wagte er 2003 den Schritt in die Selbstständigkeit. Sein Grafikstudio CC Top erfreut sich guter Auftragslage und war rückblickend »die richtige Entscheidung«, obwohl ihm Hochs und Tiefs im Geschäftsgang einige schlaflose Nächte bescherten. »Allein würde ich es nicht mehr machen, nur noch mit einem Partner«, meint der 43-Jährige.

Wertvolle Erfahrung
Sich selbstständig machen, der eigene Chef sein – gar nicht selten taucht dieser Wunsch in Phasen der Unzufriedenheit auf. So mancher trägt schon lange eine Geschäftsidee mit sich herum, nur der Anstoß und häufig auch der Mut zur Umsetzung fehlen noch. Ein ungeplanter Karriereknick hilft der Verwirklichung dieses lang gehegten Gedankens oftmals nach, schließlich ist es gerade für höher qualifizierte Fachleute und Führungskräfte gar nicht leicht, einen adäquaten Job zu finden. Dennoch sollte man diesen Schritt gut überlegen, denn »nicht jeder ist eine Unternehmerpersönlichkeit«, meint Wirtschaftscoach Bauer-Jelinek.
Einen Ausflug in die Selbstständigkeit zählt auch Sabina Grubmayr inzwischen zu ihren Erfahrungen. Nach einigen Jahren in der Personalberatung und im Research wechselte sie zum größten Headhunter der Welt, wo sie als Assistentin des Mittel- und Nordeuropa-Chefs »rund um die Uhr« unterwegs war. Fast über Nacht rationalisierte die amerikanische Konzernleitung schließlich eine gesamte Unternehmensebene weg, ihr Vorgesetzter wurde gekündigt, Grubmayr selbst in eine andere Abteilung versetzt.
Als ihr Ex-Chef schließlich mit einem Bekannten mitten im IT-Hype ein Internet-Unternehmen gründete, war sie von Beginn an als Prokuristin an Bord. Die Idee, die Kenntnisse aus der Personalberatung mit Webdesign zu verknüpfen und über maßgeschneiderte Websites die Unternehmenskultur zu vermitteln, schlug ein wie eine Bombe. »1999 hatte noch kaum jemand eine eigene Homepage. Die ersten Aufträge, große Projekte, Kapitalerhöhung, zusätzliche Gesellschafter, Streit mit den Gründungsmitgliedern, Probleme mit freien Mitarbeitern – das sind alles Erfahrungen, die ich nicht missen möchte, aber auch nicht wiederholen will«, sagt die 42-Jährige heute. Nach ihrer Karenz kehrte sie deshalb wieder in eine Personalberatung zurück, auch ihr ehemaliger Vorgesetzter und Geschäftspartner ist inzwischen wieder in der angestammten Branche tätig.

Mehr als eine Karriere
Firmen, die Wert auf Unternehmenskultur und Corporate Social Responsibility legen, zeigen auch im Fall einer Kündigung Verantwortung. Vor allem große Konzerne bieten langjährigen Mitarbeitern und Führungskräften neben der Abfertigung auch eine externe Outplacement-Beratung, die bei der Jobsuche unterstützt. Denn auch psychische Faktoren spielen eine wesentliche Rolle. Enttäuschungen müssen erst verarbeitet, das angeknackste Selbstvertrauen wieder aufgerichtet werden. Laut einer Erhebung des Outplacement-Spezialisten DBM werden nur zwei Prozent aufgrund mangelnder Leis­tung gekündigt. Die überwiegende Mehrheit fällt Rationalisierung (44 Prozent) und Reorganisation (38 Prozent) zum Opfer.
Krisen führen immer zu einem Reinigungsprozess, der ohnehin schon überfällig war, lautet die einhellige Expertenmeinung. Und dabei tritt oft verschüttetes Potenzial zutage, das dem Leben eine völlig neue Wendung geben kann. Wie schon Ernest Hemingway sagte: »Niemand weiß, was in einem drinsteckt, solange er nicht versucht hat, es herausholen.«

 

Extra: Checklist für den Karriereknick
Je nach Situation, Branche und Persönlichkeit sollte ein Konzept für die berufliche Neu­orientierung immer maßgeschneidert werden.
1.  Niederlagen verkraften lernen: In einem Wettbewerb muss es immer auch Leute geben, die das Ziel nicht erreichen. Das heißt aber nicht, dass man beim nächsten Start nicht wieder motiviert mitspielen soll. Man darf sich von Niederlagen nicht kleinkriegen lassen.
2. In längeren Phasen bei Laune halten:  Auch bei langen Flauten sollte man eine Möglichkeit finden, um die Stimmung hochzuhalten und gegen die Depression, Resignation und Angst anzukämpfen. Das kann man nicht allein – oft reichen Gespräche mit Freunden, manchmal ist aber professionelle Hilfe nötig.
3. Hilfe annehmen als Zeichen von Stärke:  Häufig genügt ein Coaching – um mit jemandem zu sprechen, der nicht zur Familie gehört. Empfehlenswert ist ein Coach, der Feedback gibt, nicht nur zuhört. Betroffene brauchen in dieser Phase Orientierung und Führung. Sind tiefere psychische Probleme vorhanden, ist die Psychotherapie der nächste Schritt.

Last modified onDienstag, 02 Juni 2009 12:13

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