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Werkstoff mit Zukunft

Werkstoff mit Zukunft Foto: iStock

Aus der österreichischen Bautradition ist die Verwendung von Putz nicht wegzudenken. Zuletzt ein wenig aus der Mode gekommen, feiert die klassische Wandbeschichtung als bewährter Schutz und gestalterisches Stilmittel wieder ein Comeback.

Schon in der Antike waren Putzfassaden bekannt – vornehmlich um die Gebäude vor Witterungseinflüssen zu schützen. Struktur und Farbe als Gestaltungselemente standen noch im Hintergrund. Als Bindemittel kam Luftkalk zum Einsatz. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich an dem pragmatischen Zugang wenig, wenngleich sich mit der Entwicklung der Freskomalerei auch der Mehrschichtputz gegenüber dem Einschichtputz durchsetzte. Dadurch hafteten anspruchsvolle Wandmalereien, wie sie vor allem im mediterranen Raum gebräuchlich waren, nicht nur besser, auch unregelmäßige Mauern aus Bruch- oder Lesesteinen ließen sich leichter egalisieren.

Im Mittelalter diente der Verputz weitgehend als Träger für Wandmalereien und als Schutzschicht des Gebäudes. Rauhe Putzstrukturen, wie man sie an gotischen Bauten noch manchmal sieht, bildeten nur den Haftgrund für nachfolgende Applikationen.

In der Barockzeit etablierte sich der Mehrschichtputz in ganz Europa. Durch beigemengte Zusätze wie zerriebene Mineralien, Holzkohle oder Ziegelschrot und unterschiedliche Körnung des Sandes bot der Putz vielfältige Oberflächenstrukturen. Auch in der Verarbeitung – mit der Kelle angeworfen, geglättet, mit der Bürste geschlämmt, mit dem Jutesack modelliert – entwickelte sich das Verputzen zu einem Handwerk, das großes Geschick erforderte. Kerben, Abdrücke oder Rillen veränderten das Erscheinungsbild, je nach Einsatz der jeweiligen Techniken und Instrumente.

Lange Lebensdauer

Die vor allem in Ostösterreich verbreiteten Lehmputze nahmen eine besondere Stellung ein. Leider sind aus der Zeit vor 1800 nur noch an wenigen Baudenkmälern originale Putzschichten erhalten. Ein wissenschaftlich gut dokumentiertes Objekt ist ein ehemaliges barockes Kloster nahe Wiens, die Kartause Mauerbach, die dem Bundesdenkmalamt für Forschung und Fortbildungen auf dem Gebiet der Sanierungstechnik dient.

In Kooperation mit der Bauinnung und der Bauakademie Wien werden dort Produktmuster von Putz- und Farbherstellern hinsichtlich ihrer Eigenschaften und möglicher Anwendungsgebiete geprüft. Um historische Bausubstanzen zu erhalten, entwickelte etwa das Vorarl­berger Baustoffunternehmen Röfix AG eigens den Hydraulkalk-Sockelputz, der den strengen Anforderungen des Denkmalschutzes entspricht.

Bild oben: Die Kartause Mauerbach ist eines der wenigen historischen Gebäude mit originalen Putzschichten. Sie wird vom Bundesdenkmalamt für Forschungen und Fortbildungen genutzt.

Natürliche Pigmente wie Tiroler Ocker oder Salzburger Blau sind heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Im Gegensatz zu genormten Industrieprodukten ist die Körnung bei Naturputzen größer. Durch die Lichtbrechung entsteht ein nuancierter Farbton, durch den jede Wandfläche individuell erscheint – ein auffälliger Kontrast zu den gewohnten Fassaden.

Was an mineralischen Putzen und Mörteln aus Kalk, Tonerde und Sand besonders überrascht, ist die Langlebigkeit. An manchen historischen Gebäuden halten diese Materialien bereits seit 800 Jahren. Statt die gesamte Fassade abzuschlagen, besserte man früher nur die schadhaften Flächen aus. An den ergänzten Stellen glich sich die Farbe nach einiger Zeit an das alte Material an.

Als Sündenfall erscheinen aus heutiger Sicht sogenannte »Betonsanierungen«, wie sie von der Nachkriegszeit bis weit in die 1980er-Jahre üblich waren und aus bauphysikalischen Gründen problematisch sind. Da Beton wesentlich härter und dichter als natürliche Baustoffe ist, nimmt er Spannungen anders auf. Hinter dem Beton sammelt sich oft gestautes Regenwasser. Die Instandsetzung solcher fehlsanierter Fassaden gestaltet sich meist sehr aufwendig.

Zeit als Kostenfaktor

In der Hochphase der Baukonjunktur während der Gründerzeit um 1900 kamen zunehmend neue Bindemittel, vorwiegend auf hydraulischer Basis, zum Einsatz. »Romanzement« – im 19. Jahrhundert auch Wiener Hydrauer« genannt – zeichnet sich durch sehr kurze Abbindezeit aus, ist aber nach heutiger Definition ebenfalls den Kalkputzen zuzurechnen.

Echte Zementputze wie etwa »Portlandzement«, der aus Kalksteinmergel gebrannt und zu Pulver vermahlen wird, weisen eine deutlich höhere Festigkeit auf. Zur besseren Verarbeitbarkeit wurden den Putzen teilweise Gips beigemengt und dadurch »zahlreiche Schäden an derartigen Fassadenflächen induziert«, wie Andreas Kolbitsch, Professor am Institut für Hochbau und Technologie an der TU Wien, in einer Forschungsarbeit erläutert.

Bild oben: Andreas Kolbitsch, TU Wien: »In der Hochgründerzeit wurden zunehmend neue Bindemittel, vor allem auf hydraulischer Basis, eingesetzt.«

An den Außenfassaden lösten Kalk-Zement-Putze bereits in der Zwischenkriegszeit reine Kalkputze ab. Ab 1955 rückten Baustoffe mit bestimmten Eigenschaften, vor allem Wärmedämmung und Schallschutz, in den Vordergrund. Insbesondere Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) revolutionierten in den folgenden Jahrzehnten die Fassadentechnik. Detaillierte Normvorgaben regeln inzwischen die Zusammensetzung und Anforderungen für Putzmaterialien und mehrschichtige Wandbekleidungen.

Konventionelle Putz- und Mörteltechniken sind dennoch nicht überholt. Sie zeigen ihre Stärken vor allem, wenn es um gesundes Wohnen geht, wie Baumit-Geschäftsführer Georg Bursik aufgrund der Erfahrungswerte im firmeneigenen ViVa-Forschungspark bestätigt: »Nehmen wir zum Beispiel Beton: Wird er im Innenbereich nur gestrichen oder mit einer kostengünstigen Dispersionsspachtel beschichtet, dann leiden die zukünftigen Bewohner unter schlechtem Raumklima, weil der Feuchtepuffer an der Wand fehlt.«

Bewährte Technik

Obwohl sich die Baustoffe und Verarbeitungsweisen entsprechend den jeweiligen Anforderungen im Laufe der Jahrhunderte immer wieder änderten, stehen Putzfassaden »für etwas Tradiertes und Solides, nicht unbedingt für Zukunftsfähigkeit«, so Markus Schlegel, Professor für Farb- und Architekturgestaltung an der HAWK Hildesheim. Er leitete das Forschungsprojekt »rendering/Codes« zum Thema »Zukunft Putz«, das im Rahmen der Fachmesse »Farbe, Ausbau und Fassade« (FAF) 2016 in München präsentiert wurde.

Bild oben: Georg Bursik, Baumit. »Vor allem wenn es um gesundes Wohnen geht, zeigt Putz seine wahre Stärke.«

Tatsächlich haben neue Bauweisen – Trockenbau, Dünnschicht-Fassadensysteme, Klebetechnik beim Mauerwerksbau – der Produktsparte stark zugesetzt. Gab es früher ohne Putze und Mörtel kein Bauen, geraten sie angesichts moderner Techniken ins Hintertreffen. Doch die rasch zu verarbeitenden und vermeintlich kostengünstigeren Lösungen haben durchaus erhebliche Nachteile. So entfällt bei Schaumklebetechniken die vollflächige Deckelung der Lagerfugen, die bei herkömmlichen Mauermörteln vorgeschrieben ist. Luftströme und damit auch Feuchtigkeit können dadurch ungehindert ins Mauerwerk eindringen.

Bild oben: Restaurator Oskar Emmenegger: »Maurer und Gipser werden zu wertlosen Applizierern degradiert.«

Schnellbauweisen, die inzwischen auch den Innenraum dominieren, wirken sich mitunter negativ auf die gesamte Wohnqualität aus. Hellhörige Wände, Luftfeuchtigkeit und Wärmeverlust mindern deutlich die Behaglichkeit – so mancher Häuselbauer hätte sich, rückblickend betrachtet, doch lieber für ein verputztes Ziegelhaus entschieden. Mineralischer Putz und Farben können das Raumklima signifikant verbessern. Alkalische und sorptionsfähige Oberflächen reduzieren die Gefahr von Schimmelbildung und sind über ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet umweltverträglich.

Architekten und Bauherren sehen bei innovativen Gestaltungsvarianten seltener Putz als Material erster Wahl. Konstruktive Möglichkeiten aus Stahl und Glas erscheinen vielfältiger und moderner. Doch gerade verputzte Oberflächen mit unterschiedlichen Farben und Strukturen bieten gestalterische Freiräume, die es wieder zu entdecken gilt.

Der Schweizer Restaurator Oskar Emmenegger identifizierte 28 verschiedene Putzarten, die nicht nur als Schutzhaut für das Mauerwerk, sondern auch als individuelles Gestaltungselement einer Fassade oder Innenwand fungieren. Er kritisiert den »monotonen Fertigputz, wie er überall in Europa, gleich einem Eintopfgericht« vorzufinden ist. Der Maurer und Gipser werde »zum wertlosen Applizierer degradiert«, so Emmenegger.

Unterschätztes Potenzial

Der bewusstere Umgang mit Ressourcen sorgt gegenwärtig für eine Renaissance des Werkstoffs Putz. Qualitätsorientiertes Denken löst die ausschließlich an Preis und Zeit gebundene Planung ab. Langlebigkeit und Nachhaltigkeit sprechen verstärkt für traditionelles Handwerk. Allerdings schlägt sich die lange Vernachlässigung dieser Sparte in akutem Fachkräftemangel nieder. In der Branche beherrschen nur noch wenige Arbeiter das umfassende Gewerk des Stuckateurs, da fast jahrzehntelang nur einfache, monotone Abriebe nötig waren.

Das Fachwissen über dekorative Verputze und strukturierte Oberflächen wurde seit den 1960er-Jahren kaum noch an den Nachwuchs weitergegeben. Die Handschrift des ausführenden Meis­ters – früher als sein Markenzeichen klar erkennbar – sollte unsichtbar bleiben. Die alten Putztechniken müssen praktisch neu erlernt werden.

Parallel dazu haben sich auch die Materialien weiterentwickelt. Die Hersteller bieten inzwischen eine breite Palette an multifunktionellen Produkten an. An den Außenwänden sind hochdämmende Ziegel in Kombination mit speziellen Dämmputzen eine ökologische Alternative zu herkömmlichen Dämmplatten. Fugenlos, ohne Hohlräume und nicht brennbar, verfügen Putze über Eigenschaften, die heute wieder mehr geschätzt werden. Aufgrund seiner hohen Sorptionsfähigkeit ist der Baustoff ein idealer Feuchtepuffer, so Baumit-Geschäftsführer Georg Bursik: »Darüber hinaus ist Putz perfekt geeignet – gemeinsam mit dem mineralischen Wandbildner – wieder im Sinne der Kreislaufwirtschaft recycliert zu werden.«

Visionäre Anwendungen

Grafik oben: Ein Vier-Personen-Haushalt produziert ca. 5 l Feuchtigkeit pro Tag. Die Sorptionsfähigkeit des Putzes sorgt für ein behagliches Klima.

Einflüsse durch Digitalisierung, 3D-Druck, Bionik und Virtual Reality machen auch vor der Baustoffbranche nicht Halt. Im Vorjahr gelang es erstmals, Photovoltaikelemente über flexible Putzfliesen direkt in die Putzoberfläche eines bestehenden Gebäudes einzubringen. Bedruckter oder gefräster Putz, 3D-gedruckte Zusätze oder Stempeltechniken sind nur einige Beispiele, die für die Wandlungsfähigkeit des Werkstoffes stehen.

Derzeit noch Zukunftsmusik, aber vielleicht bald Wirklichkeit sind Putze, die als Nährboden für Pflanzen dienen und für begrünte Fassaden sorgen bzw. die Raumluft filtern. Licht emittierende Bestandteile lassen die Putzoberflächen leuchten oder mit farblichen Effekten erstrahlen. Denkbar sind auch »smarte« Wände, die durch datenspeichernde Zuschlagstoffe Informationen verarbeiten und senden können, oder Fassaden, die sich je nach Wetterlage öffnen, schließen oder atmen.

Neben der Funktionalität sollte aber auch die ästhetische Produktentwicklung verstärkt in den Vordergrund rücken, meint Forscher Markus Schlegel: »Innovative Ansätze sind zwar vorhanden, der Blick in die Zukunft muss jedoch noch viel mehr im Interesse unserer Baukultur stattfinden.« Immerhin prägen Putze das Erscheinungsbild der Städte und Gemeinden – sie sind die DNA unserer Außenhaut.

Last modified onDienstag, 03 März 2020 13:28
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