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Erwartungen an die Politik (Teil 1)

Erwartungen an die Politik (Teil 1) Fotos: iStock, beigestellt

Es ist also vollbracht: Nach monatelangen Verhandlungen ist Anfang 2020 endlich weißer Rauch aufgestiegen. Sebastian Kurz und Werner Kogler haben trotz aller Differenzen zusammengefunden. Ganz Europa blickt gespannt auf die türkis-grüne Koali-tion. Aber nicht nur das interessierte Ausland, auch die heimische Wirtschaft hat große Erwartungen an Kurz, Kogler & Co. Report(+)PLUS hat sich umgehört, welche Wünsche führende Köpfe der österreichischen Wirtschaft an die neue Regierung haben.

»MINT-Fächer attraktivieren«

Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender ABB AG

»Besonders wichtig erscheint es mir, das Bildungssystem von Grund auf zu modernisieren, was auch eine zeitgemäße technische Ausstattung der Schulen inkludiert. Das gezielte Fördern individueller Stärken sollte dabei im Fokus stehen und der Lernerfolg ausschlaggebend sein, nicht etwa Anwesenheitszeit etc.. Die Ausbildung muss sich stärker und frühzeitig an den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes orientieren, demzufolge z.B. die MINT-Fächer wesentlich attraktiviert werden. Weiters wünsche ich mir einen konsequenten Bürokratieabbau unseres Staates. Unser Wirtschaftsstandort sollte durch faire Rahmenbedingungen in Europa stabilisiert und konkurrenzfähiger gemacht werden, auch z.B. gegenüber Asien.«


»Flexibilität und Transparenz«

Karl-Heinz Strauss, CEO der PORR AG

»Ich begrüße die neue Bundesregierung und bin persönlich davon überzeugt, dass sie mit wirtschaftlicher Kompetenz und ökologischem Bewusstsein viel Positives für Österreich leisten kann. Auch bei der Bestellung der neuen Regierungsmitglieder hat sich das Prinzip der besten Köpfe durchgesetzt. Als international tätiger Bauunternehmer wünsche ich mir, dass die Ausschreibungen und Vergaben bei staatlichen Projekten transparent, nach modernsten Standards sowie dem Bestbieterprinzip erfolgen. Auch konsequente Flexibilisierung der Arbeitszeiten sichert der Bauwirtschaft nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft.«


»Potenzial des Gebäudesektors nutzen«

Robert Schmid, Geschäftsführer Schmid Industrieholding

»Es ist großartig, dass eine Regierung ernsthaft versucht, unsere Umwelt nachhaltig zu gestalten und trotzdem auch die Erwartungen der Menschen bezüglich der modernen Ansprüche und Anforderungen an das Leben zu gewährleisten. Das ist eine Chance ganz besonders für alle rund um den Bau.

Ich hoffe nur, dass der Grundsatz ›nur die nicht verbrauchte Energie ist eine saubere Energie‹ entsprechend wichtig wird!? Das heißt, zuerst den Verbrauch von Energie im Sommer und Winter hinunterzubringen (nur ein gedämmtes Haus ist ein gutes Haus) und dann technische Optimierungen (z.B. Austausch der Ölheizung) durchzuführen. Gebäude in Österreich haben unglaubliches Potenzial, einen Beitrag zum Klimaschutz und gleichzeitig zur Festigung von Wirtschaft und Einkommen beizutragen.«


»Anreize für private Vorsorge«

Elisabeth Stadler, Generaldirektorin Vienna Insurance Group

»Wünschenswert wäre, dem im Regierungsprogramm enthaltenen positiven Bekenntnis zur Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen für die private Pensionsvorsorge rasch konkrete Schritte folgen zu lassen. Wir wissen seit langem, dass wir in Österreich vor großen demografischen Herausforderungen stehen. Die durchschnittliche Lebenserwartung verlängert sich laut Berechnungen des Max Planck Instituts alle vier Jahre um zwölf Monate.

Daher ist eine Stärkung der betrieblichen und privaten Vorsorge als Stabilitätsfaktor für das staatliche Pensionssystem zu sehen. Ich wiederhole diesbezüglich eine schon alte Forderung der Versicherungsbranche nach steuerlichen Anreizen für die private Altersvorsorge, die einfach und transparent gestaltet sein müssen.«


»Bildungssystem stärken«

Gerlinde Macho, Geschäftsführerin MP2 IT-Solutions

»Ein Staat ist für mich wie ein Organismus. Dieser gedeiht am besten in einem gesunden Gleichgewicht. Ein nachhaltiges Haushalten mit Ressourcen sowie ein tolerantes Miteinander für eine friedvolle Zukunft und die Sicherstellung eines hohen Lebensstandards gehören zu meinen Grundbedürfnissen.

Als Unternehmerin in der IT-Branche wünsche ich mir die strukturelle Weiterentwicklung und Unterstützung im Bereich der Digitalisierung sowie eine starke österreichische Innovationskraft, um international mit Erfolg mitagieren zu können. Die Stärkung unseres Bildungssystems sowie den Ausbau an Fachkompetenzen im ITK-Bereich sehe ich als wesentlich, um innovativ und erfolgreich die Unternehmen im Land mit Fachkräften stärken zu können.«


»Arbeitsmarkt für Experten öffnen«

Thomas Riedl, Managing Director Nagarro Österreich

»Rasche Lösungen gegen den Fachkräftemangel wären wünschenswert! Die aktuelle Situation ›verrückt‹ im wahrsten Sinne des Wortes die Marktlage. Wir haben einen War for Talents und bilden daher sehr aktiv Experten selbst aus. Aber um den österreichischen Standort attraktiv zu halten, braucht es viel mehr.

Ein weiterer Hemmschuh ist die Öffnung des Arbeitsmarktes für Experten. Aktuell ist das mit immensen Hürden verbunden. Es gehört zur Nagarro-Philosophie, intelligente Menschen unabhängig von ihrer Geografie zusammenzubringen. Mitarbeiter und Kunden erleben das als großartige Inspiration. Warum nicht diesen Zugang vereinfachen, wenn Experten hier fehlen und die österreichische Wirtschaft stärken könnten?«


»Standardisierungen stärken«

Elisabeth Stampfl-Blaha, Direktorin Austrian Standards

»Als österreichische Organisation für Standardisierung und Innovation ist es Austrian Standards ein großes Anliegen, dass die Bundesregierung die strategische Bedeutung der Standardisierung zur Lösung aktueller Probleme erkennt: wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa die globale digitale Transformation, Smart Technologies, künstliche Intelligenz, Aging Society und Klimawandel sind Themen nationaler und internationaler Standardisierungsprojekte. Die Bundesregierung soll die aktive Mitgestaltung dieser Standardisierungsthemen durch die österreichischen Unternehmen, Behörden und andere Interessenträger unterstützen.«


»Sanierungsquote erhöhen«

Gerhard Enzenberger, Geschäftsführer Synthesa

»Es ist vollkommen richtig, bei der Dekarbonisierung als Erstes bei der Raumwärme anzusetzen, da dieser Bereich ein erhebliches Einsparungspotenzial besitzt, das vergleichsweise leicht zu heben ist.

Die neue Regierung beschloss bereits in den ersten Tagen Maßnahmen zum Ausstieg bei Öl- und Gasheizungen. Dazu werden erstmals auch legislative Mittel eingesetzt. Dies kann ein wertvoller Beitrag zur Vermeidung von zusätzlichem CO2 in der Atmosphäre sein.
Eine Umschichtung bei der Verwendung der Energieträger alleine senkt jedoch nicht den Energieverbrauch und löst weder das Problem der Feinstaubbelastung noch des Ausstoßes anderer Luftschadstoffe. Für eine nachhaltige Klimastrategie benötigen wir deutlich höhere Sanierungsraten als bisher und die konsequente Verwendung von Baustoffen mit einem schmalen ökologischen Fußabdruck.«


»In die Ausbildung investieren«

Alexander Spörker, General Manager Hitachi Vantara

»Interessanterweise haben sich meine Wünsche in den letzten Jahren nicht geändert (leider). Ich habe vor allem zwei Wünsche an die Politik: Zuerst einmal benötigen wir massive Investitionen bei der Ausbildung, um dem IT-Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wenn jeder Akademiker werden möchte, kommen wir nicht weiter und fallen in diesem wichtigen Marktsegment zurück. Das gilt übrigens auch für viele andere Branchen. Als Zweites wünsche ich mir endlich eine Entlastung der kalten Progression der Arbeitnehmer, damit der Konsum angekurbelt wird.«


»Gender-Stereotypen überwinden«

Helmut Fallmann, Vorstandsmitglied Fabasoft AG

»Als Vorstand eines Technologieunternehmens im Bereich der digitalen Informationswirtschaft wünsche ich mir von der neuen Bundesregierung eine besondere Fokussierung auf zukunftssichere Bildung. Dabei sind mir vor allem Entrepreneurship und eine verbesserte Ausbildung in den MINT-Fächern wichtig. Es freut mich, dass die Koalition in ihrem Regierungsprogramm die Entwicklung von Konzepten in diesen Handlungsfeldern angekündigt hat.

Die Vermittlung unternehmerischen Denkens muss jedoch von Schulbeginn an Teil der Unterrichtslehrpläne sein, weil Österreich gerade bei den sechs bis 14-jährigen Schülern und Schülerinnen noch großen Aufholbedarf hat. Und bei Identifizierung von Spitzentalenten in den Naturwissenschaften müssen wir trachten, dass auch hochbegabte Mädchen vom Radar erfasst werden und frühkindliche Gender-Stereotypen in der Erziehung überwunden werden.«


»Verteilernetze nicht vergessen«

Brigitte Ederer, Vorsitzende und Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit

»Klimaschutz spielt im Regierungsprogramm eine wichtige Rolle, das ist in jeder Hinsicht zu begrüßen. Was wir uns jetzt wünschen, ist der Mut, diese Vorhaben auch zügig umzusetzen. Aus der Sicht der Versorgungssicherheit lautet ein wichtiges Anliegen: Vergesst nicht, die Verteilnetzbetreiber schon bei der Planung einzubinden. Die Netzbetreiber kennen die Anforderungen der Praxis und wissen, was möglich ist. Sie stehen bereit, um als Ermöglicher an der Energiewende mitzuwirken. Dazu braucht es entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen, denn die Verteilernetze werden in den nächsten Jahren kapazitätsmäßig und technologisch aufgerüstet werden müssen.«


»Legale Migration ermöglichen«

Erich Frommwald, Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe

»Wer illegale Migration bekämpfen will, muss auch legale Migration ermöglichen. Die türkis-grüne Regierung kann und muss diesen Spagat schaffen, denn die Wirtschaft und Gesellschaft braucht eine vor allem arbeitsmarktorientierte Migrationspolitik, die dem weiter zunehmenden Fachkräftemangel entgegenwirkt. Es ist gut, dass im Regierungsprogramm auch die Auswahl von Technologien und Baustoffen für öffentliche Bauten mit Blick auf Nachhaltigkeit Erwähnung findet.

Dass allerdings explizit Holz als Baustoff forciert werden soll, muss kritisch hinterfragt werden, denn Holz nimmt nur CO2 auf, solange es als Baum im Wald bleibt. Wir fordern daher die Sicherstellung eines fairen, auf Lebenszyklusbetrachtung basierenden Wettbewerbs und keine Bevorzugung einzelner Baustoffe. Gerade für die heimischen Industrieunternehmen, die zu den klimapolitischen Weltmeistern zählen, muss umweltpolitische Gerechtigkeit auch über die EU-Grenzen hinaus garantiert werden, bspw. durch CO2-Zölle, Verhinderung von Golden-Plating sowie Energiepolitik im europäischen Gleichklang.«

Last modified onMontag, 10 Februar 2020 15:35
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