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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe Foto: iStock

Die Wirtschaft blickt zufrieden auf das vergangene Jahr zurück. Trotz Konjunktureintrübung dürfte die gute Stimmung noch eine Weile anhalten – der private Konsum und der florierende Bausektor machen's möglich.

Die wirtschaftliche Abkühlung kam mit dem Herbst. Doch ebenso wie sich frühlingshafte Temperaturen bis in den Dezember zogen, zeigen sich auch die heimischen Unternehmen noch recht unbeeindruckt vom Konjunkturabschwung. Für das Gesamtjahr 2019 ging sich – dank des guten Beginns – noch ein Wachstum von 1,6 % aus. Für 2020 rechnen die Ökonomen von Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und dem Institut für Höhere Studien (IHS) nur noch mit einem Zuwachs von 1,2 bzw. 1,3%. »Die Stimmungsindikatoren deuten auf eine Stabilisierung der Konjunktur hin«, sagte IHS-Chef Martin Kocher bei der Präsentation der Prognosen.

Die Talsohle ist also erreicht. Wie lange Österreich dort verharren wird, hängt maßgeblich von der globalen Wirtschaftsentwicklung ab. Der Handelskonflikt und die international schwächelnde Industrie bremsen auch die heimischen Exporte. Wifo-Leiter Christoph Badelt sprach von einem »Dahindümpeln bei niedrigen Wachstumsraten«. Ein Konjunkturprogramm halten die Wirtschaftsforscher nicht für notwendig – strukturelle Korrekturen hingegen sehr wohl.

Bild oben: Christoph Badelt, Wifo: »Letztlich wird an einer CO2-Steuer kein Weg vorbeiführen – wie auch immer der Name sein wird.«

Die Reparatur der im »freien Spiel der Kräfte« von SPÖ und FPÖ beschlossenen, abschlagsfreien Frühpensionsregelung (vulgo »Hacklerregelung«) haben die Regierungsparteien bereits angekündigt. Im Gegensatz zur Übergangsregierung, die nach dem Motto »bewahren statt gestalten« agierte, liegt es an der neuen türkis-grünen Regierung, entscheidende Weichenstellungen vorzunehmen.

Überschuss als Startbonus

Strukturelle Reformen und steuerliche Entlastungen stehen ebenso auf dem Wunschzettel der Ökonomen wie eine ökologische Ausrichtung. Badelt sieht im Regierungsprogramm »viel Positives«, aber auch einige Lücken. So vermisst der Wifo-Chef zusätzliche Einsparungen, will man ein Nulldefizit wieder erreichen. Die zum Thema Klimaschutz geplanten Investitionen könnten jedoch »starke konjunkturelle Impulse« bringen, dasselbe gelte für die Tarifsenkungen bei der Lohn- und Einkommenssteuer. Um die Klimaziele zu erreichen, führt nach Ansicht der Wirtschaftsforscher an einer CO2-Bepreisung kein Weg vorbei – egal wie diese für 2022 angekündigte Maßnahme heißen wird.

Ebenso lang werden die Erwerbstätigen wohl auf eine Abschaffung der kalten Progression warten müssen. Im Wahlkampf hatten sich zwar alle Parteien dafür ausgesprochen. Die heimliche Steuererhöhung durch die Hintertüre des progressiven Steuersys­tems ist bekanntlich ungerecht – die oberen Einkommen profitieren am meisten von der Anpassung der Tarifstufen an die Inflation. Auf die Einnahmen will freilich keine ambitionierte Regierung so schnell verzichten. Wie die Experten der Agenda Austria nachrechneten, finanzierten sich die BürgerInnen die Steuerreform von 2016 praktisch selbst.

Der Budgetüberschuss von 1,45 Milliarden Euro – fast eine Milliarde mehr als veranschlagt – ist ebenfalls zu einem Gutteil dem Fleiß der erwerbstätigen Österreicherinnen und Österreicher zu verdanken. Die Einnahmen aus der Lohn-, Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer stiegen im Vorjahr überproportional.

Bei der Lohnsteuer waren es um 1,2 Milliarden Euro mehr als 2018. IHS-Chef Martin Kocher sieht in dem unerwarteten Geldsegen aber lediglich einen »Startbonus für die neue Regierung«, keinesfalls einen Grund »ein Füllhorn auszuschütten«: »Wir haben Spielraum, das ist gut, aber der Spielraum ist nur kurzfristig gegeben.«

In Deutschland, wo der Bundeshaushalt 2019 mit einem Rekordüberschuss von 13,5 Milliarden Euro abschloss, wird bereits heftig über eine Steuerentlastung diskutiert, um die schwächelnde Wirtschaft am Laufen zu halten.

»Die fetten Jahre sind vorbei«, proklamierte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz vor einem Jahr – das mag schon stimmen, gut gerüstet können aber ein paar gute Jahre durchaus noch kommen. Von einer drohenden Rezession will dieser Tage niemand sprechen.

» Wir gehen davon aus, dass wir den Tiefpunkt bei den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und den Geschäftserwartungen erreicht haben«, sagt Nadja Picard, Analystin bei PwC Deutschland. »Zudem werden sich die Unsicherheiten, die das Jahr 2019 geprägt haben – insbesondere der Brexit und der Handelskonflikt zwischen China und den USA – im neuen Jahr hoffentlich auflösen. Das stimmt vorsichtig optimistisch.«

Wirtschaftsmotor Bau

Während die Regierung mit Elan in die neue Legislaturperiode startet, macht sich in einigen Wirtschaftssektoren der konjunkturelle Abschwung bereits bemerkbar. Besonders die Exportwirtschaft und die Industrieproduktion verzeichneten in den letzten Monaten Rückgänge. Die Oesterreichische Nationalbank erwartet den Tiefpunkt der Exportdynamik im Laufe des Jahres 2020.

Bild oben: Johannes Schneider, Contrast EY Parthenon: »Die Zeichen stehen klar auf ein Ende der Hochkonjunktur. Deshalb sind die exportorientierten Industrieunternehmen auch pessimistischer.«

Im Zuge des verlangsamten Wachstums erhöhten auch die Unternehmen ihre Ausrüs­tungsinvestitionen ab dem dritten Quartal nicht mehr weiter. Ein Einbruch der Investitionstätigkeiten zeichnet sich aber dennoch nicht ab – die günstigen Finanzierungsbedingungen erweisen sich als wichtige Stütze.

Anhaltend positiv bleibt die Wachstumsdynamik im Wohnbau. 2019 stiegen die Wohnbauinvestitionen um 4 %. Dieses Niveau wird sich in den kommenden Jahren nicht halten lassen, trotzdem bleibt die Baubranche vermutlich noch einige Zeit ein wichtiger Wirtschaftsmotor. Neben dem Bausektor gehen auch vom privaten Konsum starke Impulse aus. Die verzögerten Effekte des Familienbonus und die im Juli und September 2019 beschlossenen Maßnahmen stützen die Haushaltseinkommen.

Die abflauende Konjunktur schlägt sich auch auf den Arbeitsmarkt nieder. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ist mit einer weiteren Verbesserung der Arbeitslosenquote nicht zu rechnen. Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmarktservice Österreich, erwartet nach überdurchschnittlichen Rückgängen für heuer einen leichten Anstieg der vorgemerkten Arbeitssuchenden.

Nach Eurostart-Erhebung wird die Arbeitslosenquote von 4,6 bis 2021 auf 4,8 % steigen. Derzeit sind beim AMS rund 400.000 Personen gemeldet; 65.000 Stellen (+ 71 %) wären sofort verfügbar. Am Lehrstellenmarkt zeigt sich eine eklatante Lücke: Ende Dezember standen 7.400 Lehrstellensuchenden nur 4.900 offene Lehrstellen gegenüber.

Unternehmen stecken im Zwiespalt: Die schwierige wirtschaftliche Lage fordert bald auch personellen Tribut. Gleichzeitig verzichten viele Betriebe darauf, Stellen abzubauen – auch auf Kosten der Profitabilität. Zu groß ist die Befürchtung, nicht genügend qualifiziertes Personal zu bekommen, sobald die Konjunktur wieder anzieht. In manchen Regionen und Branchen ist das Arbeitskräftereservoir weitgehend erschöpft. Verstärkte Investitionen in die Weiterbildung der MitarbeiterInnen könnten eine Alternative sein.

Positive Stimmung

Laut einer Umfrage der Strategieberatung Contrast EY Parthenon unter 100 Entscheidungsträgern österreichischer Industrie­unternehmen erwartet trotz der getrübten Aussichten nur jeder Dritte Umsatzrückgänge. Zwei Drittel der Befragten gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Lage Österreichs heuer stabil bleibt.

Besonders Unternehmen im Metall-, Stahl- und Maschinenbau schätzen die Lage ernster ein. Die Gelassenheit dürfe aber nicht in Sorglosigkeit kippen, warnt Johannes Schneider, Managing Director bei Contrast EY Parthenon: »Auch wenn der Ausbruch einer neuen Wirtschaftskrise momentan nur ein mögliches Szenario ist, stehen die Zeichen klar auf ein Ende der Hochkonjunktur. Das erklärt auch, warum gerade die exportorientierten Industrieunternehmen pessimistischer sind – ihr Seismograf schlägt schneller aus, wenn die Weltwirtschaft in Schieflage gerät.«

Die Entwicklung der eigenen Auftragslage schätzen die Unternehmen deutlich optimistischer ein. Nur 19 % rechnen mit einer Verschlechterung, 29 % erwarten eine Verbesserung. »Diese Gruppe fühlt sich besser auf einen Abschwung vorbereitet und wertet diesen Vorsprung als Wettbewerbsvorteil«, meint Klaus Haberfehlner, Partner bei EY Österreich.

Bild oben: Nadja Picard, PwC: »Unsicherheiten, die 2019 geprägt haben, wie der Brexit oder der Handelskonflikt, werden sich hoffentlich auflösen. Das stimmt vorsichtig optimistisch.«

Als proaktive Maßnahmen ziehen Österreichs Industriebetriebe die Reduktion von Sachkosten, Schritte zur Effizienzsteigerung durch digitale Initiativen sowie die Optimierung von Vertriebsaktivitäten in Erwägung. »Sie greifen in erster Linie auf Werkzeuge zurück, bei deren Einsatz sie über entsprechende Routine verfügen«, rät Schneider allerdings auch hier zur Vorsicht. »Krisensichere Betriebe verfolgen hingegen eine ganzheitliche und langfristige Perspektive und betreiben keine reinen Kostenreduktionen zu Lasten künftigen Wachstums.«

Erfreulich ist deshalb der hohe Digitalisierungsgrad vieler Industrieunternehmen. Besonders Robotics (78 %), Machine Learning (63 %) und Internet of Things (58 %) werden von den befragten Verantwortlichen als Technologien mit hohem Veränderungspotenzial eingeschätzt. Weniger einflussreich wird die Blockchain-Technologie gesehen, die nur auf Platz 6 rangiert und von
47 % Beachtung findet. Dieser Hype hat deutlich nachgelassen – auch in anderen Branchen wie etwa der Energiebranche. Hatten sich 2018 noch zwei Drittel der Energieversorgungsunternehmen an Blockchain-Projekten interessiert gezeigt, war es 2019 nur ein Drittel.

Im Krisenmodus

Den raueren Wind bekamen einige Unternehmen bereits zu spüren. Die Firmenpleiten stiegen im Vorjahr um drei Prozent an. Insgesamt 5.292 Unternehmen schlitterten in die Insolvenz. Das bedeutet, dass in Österreich jede Woche rund 100 Betriebe zusperren mussten. Die spektakulärste Pleite war die des Reiseveranstalters Thomas Cook. Gemessen an den Jobs war jene der Charles Vögele GmbH am schmerzhaftesten, 394 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren ihre Arbeit.

Bald trifft es auch die 113 Angestellten des deutsch-schweizerischen Kunststoffverarbeiters Rehau, der die Fertigung an den Standorten Neulengbach und Guntramsdorf einstellt und nach Osteuropa verlagert. Im Opel-Werk Wien-Aspern lässt die französische Groupe PSA Mitte des Jahres die Motorenproduktion auslaufen – 270 Beschäftigte müssen um ihre Jobs zittern.

Wenig überraschend, steht doch die gesamte Automobilindustrie vor einem Kahlschlag: Ein Beratergremium der deutschen Bundesregierung skizzierte kürzlich ein Extremszenario, das bis zum Ende des Jahrzehnts 410.000 Jobs in der Autoindustrie als gefährdet sieht. Sie wird als Erste vom Wachstums- auf Krisenmodus umschalten müssen.

 

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