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Wirtschaftsmodelle: "Lippenbekenntnisse bringen diesen Widerspruch nicht vom Tisch"

Günter Faltin, Pionier der Entrepreneurship-Bewegung, plädiert mit seinem neuen Buch  für eine neue Form des Wirtschaftens, in der die Menschen in das ökonomische Geschehen eingreifen. Günter Faltin, Pionier der Entrepreneurship-Bewegung, plädiert mit seinem neuen Buch für eine neue Form des Wirtschaftens, in der die Menschen in das ökonomische Geschehen eingreifen. Foto: privat

Über Jahrtausende der Menschheitsgeschichte hat Wirtschaft bereits hervorragend ohne Wachstum funktioniert. Professor, Buchautor, Unternehmer und Business Angel Günter Faltin im Gespräch mit dem Report über das dringend benötigte Umformen herrschender Wirtschaftsmodelle.

Report: Sie argumentieren für eine neue Wertediskussion - und gegen bedingungslose Gewinnmaximierung. Was läuft in der Wirtschaft falsch?

Günter Faltin: Lassen Sie mich mit einem Zitat des größten Ökonomen des 20. Jahrhunderts antworten, John Maynard Keynes: "Die Liebe zum Geld als ein Wert in sich wird als das erkannt werden, was sie ist, ein ziemlich widerliches Leiden." Keynes nahm das zu seiner Zeit in Kauf – weil Geldgier und Gewinnmaximierung dazu beitrugen, das Wirtschaftswachstum anzuheizen. Er hielt das aber nur so lange für gerechtfertigt, wie die Menschen unter Mangel litten. Sobald der Mangel besiegt sei, wäre es an der Zeit, zu den traditionellen Werten zurückzukommen und eine "höhere Perfektion der Lebenskunst zu kultivieren". Dieser Zeitpunkt ist erreicht – zumindest in den Industrieländern ist der Mangel besiegt. Aber anstatt den Wertewandel zu akzeptieren, haben die Unternehmen damit begonnen, den Mangel künstlich zu erzeugen, um immer weiter immer mehr verkaufen zu können. Das macht die Menschen nicht glücklicher, sondern verlängert ihr "ziemlich widerliches Leiden" – und noch dazu hält unser Planet diesen Wachstumsdruck nicht aus.

Report: Welche Bedeutung haben heute Ökologie und Gesellschaft für die Wirtschaft - und umgekehrt?

Faltin: Für die Wirtschaft: eine viel zu geringe. Schon die Studenten der BWL lernen, dass Gewinnmaximierung das oberste Ziel eines Unternehmens ist. Daraus folgt logisch, dass die Qualität des Produkts es nicht ist. Ebenso wenig wie die Mitarbeiter, die Natur, die Kunden oder das Preis-Leistungs-Verhältnis des Produkts. Wenn der maximale Gewinn an erster Stelle steht, wird der "Rest" zu Variablen, eben dieses Ziel zu erreichen. In einer so funktionierenden Ökonomie ist die Schonung der Umwelt also kein hochrangiges Ziel. Sie lässt Ökologie sogar als Kosten eines Unternehmens erscheinen, die der Maximierung des Gewinns entgegenstehen. Lippenbekenntnisse bringen diesen Widerspruch nicht vom Tisch. Eine Abkehr von Wachstum und Gewinnmaximierung ist nicht in Sicht.
Es ist schwer vorstellbar, dass die heute bestehenden Konzerne plötzlich vom Saulus zum Paulus werden. Der Druck der heute aus der Ökologiebewegung kommt, vor allem in Verbindung mit der Klimathematik, kann allerdings dazu führen, dass andere Unternehmen mit anderen Werten und anderen Produkten auf dem Markt besser abschneiden. Denn es gibt auch Unternehmen, für die Gewinnmaximierung eben nicht im Zentrum steht. In meiner eigenen Gründung, der Teekampagne, ging es nie darum, den Gewinn zu maximieren, und auch vielen Gründern und Entrepreneuren, mit denen ich es zu tun habe, sind Werte und Selbstverwirklichung wichtig.

Report: Sie meinen, dass wir alle uns die Ökonomie der Knappheit derart einreden haben lassen, dass wir an die Möglichkeit einer Überflussökonomie nicht glauben wollen. Wie soll eine Wirtschaft auf dieser Basis funktionieren können? Und welche Rolle spielen technologische Entwicklungen wie Digitalisierung und Automatisierung dabei?

Faltin: Aus Ihrer Frage höre ich den Zweifel daran heraus, dass Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren könnte. Ich habe diesen Zweifel nicht. Über Jahrtausende der Menschheitsgeschichte hat Wirtschaft hervorragend ohne Wachstum funktioniert. Sicher, unsere heutigen Sozial- und Rentensysteme basieren auf der Annahme immerwährenden Wachstums – aber das bedeutet schlicht, dass sie nicht nachhaltig sind. Es ist daher absehbar, dass wir sie eines Tages aufgeben müssen.

Technischer Fortschritt, ob digital oder analog, muss nicht unbedingt zu immer neuem Wachstum führen. In meinem Buch "David gegen Goliath" verwende ich dafür das Modell eines Dorfes, in dem die Herstellung der Produkte, die zum Leben gebraucht werden, jedes Jahr zwei Prozent weniger Arbeitsaufwand benötigt. In diesem Dorf freuen sich die Menschen daran, dass ihnen der technische Fortschritt immer mehr Zeit zum Leben und Genießen gibt – keiner denkt darüber nach, was man sich noch alles ausdenken könnte, nur um weiter so viel arbeiten zu können wie bisher.

Report: Sie sprechen auch von einer "dunklen Seite" des Marketings – worin unterscheidet sie sich von der "hellen Seite"?

Faltin: Der Begriff Marketing klingt zunächst harmlos und vernünftig. Man muss die Waren doch zu Markte tragen! Herstellen allein reicht nicht. Man muss die Waren transportieren und verteilen. Das stimmt natürlich – irgendwie muss der Tee, der in Darjeeling produziert wird, bis in die Tasse unserer Kunden kommen. In unserer Preiskalkulation, die wir öffentlich machen, lässt sich der Aufwand für diese «helle Seite» des Marketings gut nachvollziehen: Transport, Verpackung und Versand machen zusammen weniger als die Hälfte der Herstellungskosten aus. Diese Größenordnung scheint völlig normal – ist es aber nicht.

In vielen Branchen ist es leider üblich, dass die Marketingkosten das Fünffache oder gar das Zehnfache dessen betragen, was die Herstellung des Produktes kostet. Verantwortlich dafür sind die Ausgaben für Markenaufbau, Markenpflege und Aktionen der Verkaufsförderung. Ich spreche hier vom Marketing-Rucksack, der den Produkten aufgebürdet wird. Wir sollten uns dagegen wehren, dass dieser Marketing-Rucksack immer weiter wächst und Produkte damit immer mehr verteuert werden.

Report: Welche Empfehlungen für Steuerungsmaßnahmen haben Sie, um das Verhältnis Ökologie und Ökonomie wieder ins Gleichgewicht zu bringen?

Faltin: Wir müssen aufhören, künstlich Mangel zu erzeugen und immer neue Bedürfnisse herauszukitzeln. Das passt nicht mehr in unsere Zeit. Ich bin Wissenschaftler und Entrepreneur, kein Politiker – und das ist in diesem Fall wohl von Vorteil. Wenn wir Ökologie und Ökonomie wieder versöhnen wollen, werden wir in den Industrieländern nicht ohne einen Rückgang des Verbrauchs auskommen. 80 Prozent Einsparung von Ressourcen müssen das Ziel sein, sagen verantwortungsbewusste Ökologen wie Ernst Ulrich von Weizsäcker. Jeder Politiker, der auch nur annähernd eine solche Einschränkung durchsetzen wollte, würde sofort abgewählt. Deshalb ist es wichtig, einen ökonomisch verträglichen Konsum- und Lebensstil zu entwickeln, der nicht nur argumentativ überzeugender, sondern sogar attraktiver ist als unsere heutigen Konsumwelten.

Genau das ist die Herausforderung der Zeit für Entrepreneure. Wertorientierte und gesellschaftlich engagierte Entrepreneure – ich nenne sie Citizen Entrepreneure – können uns Wege weisen, mit deutlich weniger Konsum auszukommen, ohne dies als schmerzhaften Verzicht zu erleben. Ihre Aufgabe kann dann nicht mehr heißen, neue Produkte zu erdenken und auf den Markt zu werfen, sondern die Bedingungen zu schaffen, unter denen man auf Produkte verzichten kann. Wie so etwas realistisch aussehen kann, lässt sich heute schon beim Car-Sharing erleben. Immer mehr junge Menschen erleben es als Gewinn, kein eigenes Automobil mehr besitzen zu müssen. Wir brauchen unternehmerische Ideen dieser Art. Entrepreneurship for the Future.


Über den Autor
Prof. Dr. Günter Faltin baute den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin auf. Seit 2013 lehrt er als Gastprofessor an der Universität Chiang Mai. 1985 gründete er die Projektwerkstatt GmbH mit der Idee der »Teekampagne« als Modell für Entrepreneurship. Das Unternehmen wurde zum weltgrößten Importeur von Darjeeling Tee. 2009 erhielt die Teekampagne den Deutschen Gründerpreis. Faltin initiierte das Labor für Entrepreneurship und ist Business Angel erfolgreicher Start-Ups, darunter eBuero und RatioDrink. Die Price-Babson-Foundation, Boston, verlieh ihm den Award »For Bringing Entrepreneurial Vitality to Academe«. 2001 errichtete er die Stiftung Entrepreneurship mit dem Ziel, eine offenere Kultur des Unternehmerischen zu fördern. Als »Pionier des Entrepreneurship-Gedankens in Deutschland« wurde er 2010 mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet.



David gegen Goliath - Wir können Ökonomie besser
2019, Komplett überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Neuauflage von »Wir sind das Kapital« (2015).
Hardcover, 264 Seiten.
Murmann | Haufe
ISBN: 978-3-648-12564-9
16,95 Euro

Siehe auch Report-Buchtipp Die Wirtschaft besser machen (Link)

Last modified onMontag, 09 September 2019 13:42

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