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»Wir laufen Gefahr, eine alte Abhängigkeit ­gegen eine neue einzutauschen«

Foto: Brigitte Ederer:  Forum Versorgungs- sicherheit: »Die  Kopplung der Sektoren Strom, Gas, Wärme und Mobilität wird ein  entscheidender Schritt für ein klimaneutrales  Energiesystem sein.« Foto: Brigitte Ederer: Forum Versorgungs- sicherheit: »Die Kopplung der Sektoren Strom, Gas, Wärme und Mobilität wird ein entscheidender Schritt für ein klimaneutrales Energiesystem sein.«

Brigitte Ederer, Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, im Interview über den Ausbau des Stromnetzes in Österreich und die Notwendigkeit einer eigenen Batteriespeicher-Industrie in Europa.

(+) plus: EU-Parlament und Kommission müssen sich nach den Wahlen neu formieren, in Österreich amtiert eine Übergangsregierung – wie dringend sind regulatorische und politische Reformen für den europäischen Wirtschaftsraum aus Sicht der Energiewirtschaft? Was sind die größten Baustellen?

Brigitte Ederer: Im Hinblick auf die Klimaziele können wir uns einen Stillstand von mehreren Monaten keinesfalls leisten. Es gibt eine ganze Reihe von Reformvorhaben, die unbedingt weitergeführt werden müssen, allen voran das Erneuerbare Ausbau Gesetz, die geplante Bewilligungsfreistellung für 45-kV-Leitungen oder die Wärmestrategie. Ich hoffe auch sehr, dass die Parteien nicht nur im Wahlkampf die Bedeutung von Wasserstoff für die Energiezukunft entdecken, sondern dass ernsthaft an einer Wasserstoffstrategie gearbeitet wird. Auf europäischer Ebene wird die Arbeit hoffentlich bald wieder in Fahrt kommen, nachdem die Personal­entscheidungen in der Kommission und im Parlament gefallen sind und auch die Komitees im EU-Parlament wieder gebildet wurden. Ein sehr wichtiges Projekt ist hier die Bildung der sogenannten DSO-Entity, also der gemeinsamen Organisation der Verteilernetze, die an der EU-weiten Zusammenarbeit der Stromversorgung arbeiten soll. Damit erhalten die Verteilernetzbetreiber eine zentrale Rolle bei der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Strom.

(+) plus: Das Bundesverwaltungsgericht hat im März endgültig die Umweltverträglichkeit der auch von den Netzbetreibern lange geforderten 380-kV-Salzburgleitung bestätigt. Tritt damit nun eine Entspannung hinsichtlich der Versorgungssicherheit in Österreich ein?

Ederer: Das Forum Versorgungssicherheit hat zwar die Interessen der Verteilnetzbetreiber im Fokus, dieser Fall zeigt aber ein aktuell großes Problem bei der Umsetzung der Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe. Die überlangen Verfahrensdauern. Die Salzburgleitung ist leider ein hoch emotionales Thema, über das seit Jahrzehnten gestritten wird. Ohne auf die Besonderheiten der Situation in Salzburg einzugehen, muss man nämlich eines erkennen: Die klimafreundliche Energiezukunft wird leistungsfähige Netze brauchen – das gilt für Übertragungsnetze genauso wie für Verteilernetze. Ich halte es für wichtig, dass es uns gelingt, die Verfahren unter Berücksichtigung des nötigen Interessenausgleichs zu beschleunigen. Eine überlange Verfahrensdauer nutzt keinem der Beteiligten.

(+) plus: Die Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbarer Erzeugung gilt als Schlüsselelement für die Energiewende. Wie werden diese Speicher aussehen und wo werden sie gebaut? Läuft Europa hier Gefahr einer Ablöse der Abhängigkeiten von erdölproduzierenden Ländern nun hin zu den großen Batterieproduzenten China und USA?

Ederer: Man muss hier ein wenig differenzieren. Wir brauchen zum einen netzdienliche Speicher als Betriebsmittel, um die Netzstabilität angesichts der stark volatilen Stromquellen wie Wind und Sonne kostenoptimal zu gewährleisten. Ohne diese Betriebsmittel müsste das Netz überproportional intensiv ausgebaut werden. Wir brauchen zweitens kurzfristige Speicher, um Überschuss-Strom verwerten zu können, der zum Zeitpunkt der Erzeugung gerade nicht genutzt werden kann. Und wir brauchen drittens saisonale Speicher, weil alle gängigen Szenarien vorhersagen, dass der Stromverbrauch im Winter künftig deutlich höher sein wird als im Sommer.

Für die kurzfristige Speicherung haben wir derzeit nur Lithium-Batteriespeicher zur Verfügung, und da laufen wir tatsächlich Gefahr, eine alte Abhängigkeit gegen eine neue einzutauschen. Deshalb sollte es ein Anliegen der EU-Länder sein, eine eigene europäische Batterie-Industrie aufzubauen, um eine Abhängigkeit von China in diesem Sektor zu vermeiden. Darüber hinaus brauchen wir aber intensive Forschung, um andere technologische Möglichkeiten der Speicherung weiter zu entwickeln. Das gilt vor allem einmal für Wasserstoff oder die Erzeugung von leicht speicherbarem Erdgas durch die Power-to-Gas-Technologie. Die Strategie »Greening the Gas« befasst sich mit diesem Thema ausgiebig.

Durchaus interessant sind aber auch Ansätze wie Druckluftspeicher in ehemaligen Bergwerken oder supraleitende magnetische Energiespeicher. Hier wird der technologische Fortschritt wohl noch einiges an bisher nicht genutzten Möglichkeiten eröffnen.

(+) plus: Wer wird diese Speicher betreiben – Fahrzeugbesitzer, Gebäudenutzer, Verteilernetzbetreiber? Was sind Ihre Erwartungen dazu?

Ederer: Ich erwarte, dass hier eine ähnliche Vielfalt entsteht wie bei den alternativen Erzeugern. Einfamilienhäuser oder Wohnhausanlagen mit Solarpaneele auf dem Dach werden wohl künftig auch private Speicher betreiben, das gilt analog auch für lokale Renewable Energy Communities. Die größeren saisonalen Speicher sind Sache der Energie-Erzeuger, ich sehe jedenfalls nicht, dass jemand anderer das nötige Know-how dafür bereitstellen kann. Die Verteilernetzbetreiber sind durch die Unbundling-Vorschriften in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt, sie dürfen ja Strom lediglich durchleiten – also verteilen, aber ihn weder erzeugen noch damit handeln. Es wird unabdingbar sein, dass Verteilernetzbetreiber auch intelligente Betriebsmittel wie Speicher für Netzstabilität und Versorgungssicherheit errichten und betreiben.

(+) plus: Wie kann mit einer Sektorkopplung den Schwankungen in der Energieverteilung entgegengewirkt werden? Wie müssten Rahmenbedingungen dazu noch ausgestaltet werden?

Ederer: Die Kopplung und letztlich Integration der Sektoren Strom, Gas, Wärme und Mobilität wird tatsächlich ein entscheidender Schritt in Richtung eines klimaneutralen Energiesystems sein. Dabei kommt es darauf an, die Netze so zu integrieren, dass die Umwandlung von Energien in jeweils andere Formen ohne Effizienzverlust möglich ist – also Strom in grünes Gas, Strom in Fernwärme, umgekehrt grünes Gas als Brennstoff zur Stromerzeugung und so weiter. Vor allem die Errichtung der neuen Koppelstellen, wie zum Beispiel Power-to-Gas-Anlagen, wird Geld kosten. Die damit im Netz verbundenen Investitionen müssen in den Tarifen berücksichtigt werden. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Nutzung von Gas weiterhin ermöglicht und befürwortet wird, denn das grüne Gas, das aus erneuerbaren Quellen stammt, wird eine nicht unwichtige Rolle als Speichermedium sowie für den Wärme-Sektor spielen.

(+) plus: Man weiß aus der Informationstechnologie, dass Systeme nie zu 100 Prozent abgesichert werden können. Damit wird mit dem Einzug der IT in die Energiesysteme – Stichworte Smart Meter, Smart Grid – doch die Büchse der Pandora geöffnet?

Ederer: Bei aller gebotenen Vorsicht muss man schon klar sagen, dass die Ängste, die mit Smart Meter verbunden werden, stark übertrieben sind. Das Datenschutz-Niveau ist in diesem Bereich extrem hoch. Da muss sich wirklich niemand Sorgen machen, dass er durch den Stromzähler ausspioniert wird. Was die Gefahr von Cyber-Angriffen betrifft, da können wir stolz darauf verweisen, dass in Österreich die Network-Information-Security-Richtlinie vorbildlich umgesetzt wurde, wir sind hier EU-weit Musterschüler in Sachen Cybersicherheit. Durch den regulierten Netzbetreiber als Datendrehscheibe für diese Kundendaten wird sichergestellt, dass auch in Zukunft alle Systeme auf diesem hohen Datenschutzniveau bleiben und laufend aktualisiert werden.


Veranstaltungstipp

Podiumsgespräch »Sektorkopplung – neues Zusammenspiel zwischen Strom, Gas, Wärme und Verkehr«

Für das Erreichen der Klimaziele müssen Wärme, Gas und Verkehr auf erneuerbare Energieträger umgestellt werden. Welche Möglichkeiten bietet die Kopplung dieser Sektoren? Welche Herausforderungen entstehen dadurch für die Nutzung, aber auch für den Transport und die Speicherung von Energie? Der Report skizziert gemeinsam mit dem Forum Versorgungssicherheit und weiteren SprecherInnen aus Österreich und Deutschland die Zukunft unserer Energiewelt – und den langen Weg dorthin.

Wann: 9. September 2019, Beginn: 17:30

Wo: k47.wien, Franz-Josefs-Kai 47, 1010 Wien

Last modified onMontag, 22 Juli 2019 12:53
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