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"Wir haben uns schon dreimal neu erfunden"

Foto: In Frauenhand. Sylvia Dellantonio schätzt flache Hierarchien: »willhaben ist so gut wie die 230 Leute, die hier ihr Know-how einbringen und gemeinsam anpacken.« Foto: In Frauenhand. Sylvia Dellantonio schätzt flache Hierarchien: »willhaben ist so gut wie die 230 Leute, die hier ihr Know-how einbringen und gemeinsam anpacken.« Foto: willhaben

Seit acht Jahren leitet die frühere Medienmanagerin Sylvia Dellantonio willhaben, den größten digitalen Marktplatz Österreichs. Das Unternehmen ist nicht ohne Grund auch einer der beliebtesten Arbeitgeber des Landes.

Zur Person: Sylvia Dellantonio, geb. 1967 in Bad St. Leonhard im Lavanttal, studierte Betriebswirtschaft und startete ihre Karriere als Trainee bei der Styria Medien AG in Graz. Sie entwickelte Digitalprojekte für die Kleine Zeitung und die kroatische Tageszeitung Vecernji list. Fünf Jahre fungierte sie als Geschäftsführerin von Die Presse Digital. Seit Herbst 2010 ist Dellantonio Geschäftsführerin von willhaben. willhaben bietet über fünf Millionen Anzeigen in den Bereichen Immobilien, Auto & Motor, Jobs & Karriere sowie Marktplatz. Das Unternehmen wurde 2006 von den Medienkonzernen Schibsted (Norwegen) und Styria gegründet und beschäftigt rund 230 MitarbeiterInnen. Mit 6,3 Millionen Unique Clients und 1,7 Milliarden Seitenaufrufen pro Monat ist willhaben der reichweitenstärkste und am häufigsten genutzte digitale Marktplatz in Österreich (ÖWA, Juni 2018).


(+) plus: willhaben wurde heuer bereits zum neunten Mal von »Great Place to Work« zum besten Arbeitgeber Österreichs gekürt. Was zeichnet die Unternehmenskultur hier im Haus aus?

Sylvia Dellantonio: Es ist eine gewachsene Kultur. willhaben hat sich aus einem Start-up mit zehn Leuten entwickelt, ich kam beim Stand von ca. 40 Mitarbeitern an Bord. Seither versuchen wir aufrechtzuerhalten, was uns in dieser Anfangszeit ausgemacht hat. Jeder soll wissen, was die Kollegen in anderen Abteilungen machen. Früher war ja alles überschaubar, alle saßen gemeinsam in einem Büro. Dieses Gesamtverständnis für willhaben in eine größere Einheit mitzunehmen, war uns immer sehr wichtig.

Gleichzeitig sind wir sehr »hands-on« orientiert. Alle packen noch selbst mit an. Ein gutes Beispiel ist der Küchendienst. Das ist die am meisten gehasste Aufgabe, aber es geht darum, selbst Verantwortung zu übernehmen. Wir haben einen großen Tisch und verschiedene Kochmöglichkeiten – bei 200 Leuten kommt da schon einiges zusammen. Der Küchendienst hat die Aufgabe, dieses »keep it running« zu organisieren, also z.B. den Geschirrspüler nicht nur ein-, sondern auch auszuräumen. Jede Woche ist ein anderes Team dran. Keiner mag es, aber es hat sich bewährt.

(+) plus: Ist dieser Zusammenhalt auch eine Frage des Leadership? Führen Frauen tatsächlich so anders, wie es oft heißt?

Dellantonio: Als Frau in einer Führungsposition werde ich dazu häufig gefragt. Offenbar ist es schon noch etwas Besonderes. Ich habe viele männliche Kollegen und sehe da keinen Unterschied. Es ist eher das modernere Verständnis von Führung. Möglicherweise tun sich Frauen leichter, diesen Zugang aufzugreifen.

Wir legen bei willhaben Wert auf flache Hierarchien, obwohl wir eine klassische Führungsebene haben. Da ist uns noch nichts Besseres eingefallen. Wir gehen aber sehr offen miteinander um und binden andere Meinungen ein. Führung verändert sich dadurch. Es ist mehr ein Coaching als das Erteilen von Anweisungen. Wir könnten unser Geschäft gar nicht vorantreiben, wenn wir nicht auf diese Weise arbeiten würden. Wenn willhaben nur so gut wäre wie ich, stünden wir schlecht da. Insofern ist willhaben so gut wie die 230 Leute, die hier ihr Know-how einbringen und gemeinsam anpacken.

Bild oben: Auszeichnung. Heuer wurde willhaben zum neunten Mal zum »Besten Arbeitgeber Österreichs« gekürt. 

 

(+) plus: Viele Firmen klagen über Fachkräftemangel. Machen es die Auszeichnungen leichter, gute Leute zu bekommen?

Dellantonio: Wir hören immer wieder von Bewerbern, dass sie gezielt prämierte Unternehmen suchen oder sich auf Bewertungsplattformen wie kununu informieren. Das ist aber auch ein hoher Anspruch an uns. Die Wirkung nach außen ist ja nur die eine Seite, durch die Preise wirkt man attraktiv. Dieses Markenversprechen muss man aber auch halten können. Die Leute würden uns sonst ganz schnell wieder verlassen. Bei uns ist sicher nicht alles perfekt, aber es ist ein ständiges Bemühen spürbar, einen guten Arbeitsplatz für uns alle zu schaffen.

(+) plus: Seit der Gründung 2006 ist das Unternehmen stark gewachsen. Wie haben sich die Firmenstrukturen verändert?

Dellantonio: Das war definitiv eine Herausforderung. Wir haben uns in den Aufgabengebieten nicht wesentlich verändert, aber einzelne Abteilungen sind jetzt so groß wie willhaben vor acht Jahren insgesamt. Da entstehen in den Teams eigene Kulturen und eine eigene Dynamik – das zusammenzuhalten, ist das Schwierige.

Als wir die Hunderter-Schallgrenze durchbrochen haben, wussten wir, das können wir nebenher nicht mehr leisten. Seither kümmert sich eine Corporate Culture-Koordinatorin sozusagen um unser Innenleben. In kleinen Einheiten läuft vieles ganz selbstverständlich von selbst. Wenn man größer wird, muss man das mit Initiativen unterstützen. Wir haben zum Beispiel ein Onboarding-System mit Buddys entwickelt oder das Programm »willjobsehen«, wo Mitarbeiter einen Tag in einer anderen Abteilung verbringen können, um die Zusammenhänge im Unternehmen besser zu verstehen.

Das Kennenlernen und Näherkommen ist uns sehr wichtig. Wir unterstützen alle – meist sind es sportliche – Aktivitäten und Ideen der Mitarbeiter. Will eine Gruppe zusammen Basketball spielen, bezahlt willhaben die Platzmiete. Einzige Voraussetzung: Mindestens eine Person muss aus einer anderen Abteilung kommen.

Bild oben: great place to work. Zur Wohlfühlatmosphäre tragen eine offene, transparente Unternehmenskultur und viele Teamevents bei. 

 

(+) plus: willhaben liegt in der Hand zweier Medienkonzerne – der norwegischen Schibsted, der auch die Flohmarkt-App Shpock gehört, und der Styria. Braucht es diese internationale Rückendeckung?

Dellantonio: Für uns ist es ein unglaublicher Vorteil. Das Geschäft mit Kleinanzeigen gibt es weltweit. Wir profitieren davon, dass wir nicht alles selbst ausprobieren müssen. Wenn in anderen Ländern etwas gut funktioniert, haben wir die Möglichkeit, diese Ideen für den österreichischen Markt zu adaptieren. Das ist immer leichter, als bei Null zu starten.

(+) plus: Sie kommen selbst aus der Medienbranche und waren schon früh in der digitalen Welt tätig. War Ihnen gleich klar, dass dieser Bereich die Zukunft ist?

Dellantonio: Ich habe mich schon schwer vom klassischen Mediengeschäft getrennt. Die besondere Faszination an willhaben ist für mich die Kombination aus der internationalen Verbindung mit einem stark wachsenden österreichischen Unternehmen. Das »Classified«-Business ist so vielfältig. Man kann an vielen kleinen Schrauben drehen, damit es gut funktioniert. Am Produkt selbst ist nichts »magic«, aber die Schwierigkeit ist, so einen Marktplatz zu beleben. Daran sind schon viele gescheitert, auch in Öster­reich. Es ist ein vermeintlich einfaches Geschäft, aber komplex. Die Branche ist sehr schnelllebig. Man ist nie fertig. Wir haben uns in zwölf Jahren selbst schon dreimal neu erfunden.

(+) plus: Heute stehen viele Unternehmen durch die Digitalisierung stark unter Druck. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Dellantonio: Das Neuerfinden und Hinterfragen sollte grundsätzlich dazugehören. Etwas beizubehalten, weil man es immer schon so gemacht hat, ist etwas typisch Österreichisches.Verglichen mit anderen Ländern liegt Österreich bezüglich Digitalisierung nicht einmal im Mittelfeld. Es geht hier alles sehr viel langsamer. Das sind unsere Rahmenbedingungen. Wir versuchen jedoch unseren Beitrag zu leisten und die Digitalisierung mit voranzutreiben.

Bild oben: Hands-on. Jeder packt bei willhaben an, das gilt auch für den Küchendienst - der unbeliebtesten Aufgabe im Unternehmen. 

 

(+) plus: Auch Facebook und Google entwickeln eigene Online-Marktplätze. Wie begegnen Sie dieser wachsenden Konkurrenz?

Dellantonio: Wir beobachten gut, konzentrieren uns aber auf uns selbst, um noch besser zu werden. Wir waren nie allein am Markt. Internationale Konzerne können natürlich eine ganz andere Geschwindigkeit vorgeben, weil riesige Entwicklerteams dahinterstehen. Es ist ein ungleicher Kampf, aber kein unmöglicher Wettbewerb. Unsere Stärke ist die lokale Nähe zu den Usern. Die Österreicher verstehen wir vielleicht doch ein bisschen besser.

(+) plus: Facebook steht immer wieder wegen seines Umgangs mit User-Daten unter Kritik. Wie geht willhaben mit dem Thema Datenschutz um?

Dellantonio: willhaben war sich dieser Verantwortung schon immer sehr bewusst. Zuletzt ist jetzt noch die DSGVO dazugekommen. Hier haben sich die internationalen Player sicher leichter getan. Wir haben ein ganzes Jahr gearbeitet, um allen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Das bindet natürlich Ressourcen, andere Projekte bleiben inzwischen liegen.

(+) plus: Seit einiger Zeit verfügt die willhaben-App über eine Bilderkennungsfunktion. Wird der Einsatz solcher Technologien, auch was den Einsatz Künstlicher Intelligenz betrifft, weiter an Bedeutung gewinnen?

Dellantonio: Das ist so ein Bereich, wo wir uns gerade neu erfinden. Die traditionelle Suche über Rubriken funktioniert gut, mit der Bilderkennung gehen wir noch einen Schritt weiter. Möglicherweise läuft die Suche irgendwann über Sprache. Der Kern unserer Aufgabe ist es, »Matchmaker« zu sein. Suchende und Inserenten sollen zusammengebracht werden – aber wie das geschieht, verändert sich.

(+) plus: Haben Sie diesbezüglich schon konkrete Pläne?

Dellantonio: Wir lassen den Algorithmus an unseren Daten immer weiter lernen und versuchen zu verstehen, wie User nach etwas suchen.

Erst wenn sich das Modell in einem kleinen Gebiet bewährt, wird es auf andere Kategorien ausgerollt. Zuerst hatten wir die Bilderkennung bei Mode ausprobiert, dann kam der Bereich Baby/Kind, später Antiquitäten  – überall dort, wo  Kategorien und Beschreibungen nicht optimal greifen. Die Künstliche Intelligenz dahinter ist ja nicht per se intelligent, sondern muss trainiert werden. Wir gehen in kleinen Schritten voran. Manchmal wird eine Idee auch wieder verworfen, zum Glück früh genug.

(+) plus: Laut einer Studie, die Sie vor drei Jahren publiziert haben, könnte jede/r ÖsterreicherIn durch den Verkauf ungenutzter Gegenstände im Haushalt im Schnitt 890 Euro einnehmen. Wie viele dieser Menschen können Sie noch als User gewinnen?

Dellantonio: Die Frage, wie weit willhaben noch wachsen kann, wird oft gestellt und beschäftigt uns natürlich in unserer Strategie. Jeder zweite Österreicher nutzt unsere Plattform bereits mindes­tens einmal pro Monat. Da ist uns schon viel gelungen. Wir wachsen in der Reichweite immer noch weiter. Unser Ziel ist es, auch in der Intensität der Nutzung zu wachsen. Es gibt viele Menschen, die von den möglichen 890 Euro nur 200 Euro ausschöpfen und die restlichen Gegenstände im Keller lassen.

(+) plus: Kaufen oder verkaufen Sie selbst auch manchmal etwas über will-haben?

Dellantonio: Mein Mann und ich haben erst diese Woche unsere Mountainbikes verkauft. Er war ganz begeistert, wie schnell das ging. Jetzt haben wir wieder ein bisschen Platz.

Last modified onDienstag, 31 Juli 2018 17:18
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