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Manchmal wäre es besser, Pläne zu haben

"Ein richtiges Konzept ist es wohl nicht, aber vielleicht ist es ein bisschen das Geheimnis unseres Erfolges, dass wir nicht so herkömmlich sind – der Laden, die Buchauswahl, das etwas schräge Personal", Petra Hartlieb. "Ein richtiges Konzept ist es wohl nicht, aber vielleicht ist es ein bisschen das Geheimnis unseres Erfolges, dass wir nicht so herkömmlich sind – der Laden, die Buchauswahl, das etwas schräge Personal", Petra Hartlieb.

Den Job kündigen und mit der ganzen Familie von Hamburg nach Wien übersiedeln, um ein Geschäft zu übernehmen, das gerade zusperren musste? Petra Hartlieb ersteigerte vor zehn Jahren durch Zufall eine Buchhandlung und hat sich in dieses Abenteuer gewagt. Ihre Erlebnisse mit Autoren, Kunden und Mitarbeitern, das Wohnen zwischen Bücherkisten und den Kampf mit Software und Amazon schildert sie in einem Buch und im Gespräch mit Report(+)PLUS.

(+) Plus: Ihre Geschichte liest sich streckenweise wie ein Märchen – in der größten Not kommt plötzlich Rettung in Form einer hilfsbereiten Kundin, ein finanzkräftiger Freund oder eine engagierte Mitarbeiterin. Sind Sie ein Glückskind?

Petra Hartlieb:
Ich bin eine, die immer auf die Füße fällt – bis jetzt jedenfalls. Aber ich glaube nicht an Schicksal, sondern dass man solche Dinge anziehen kann. Ich geniere mich nicht, auch Leute, die ich nicht so gut kenne, um etwas zu bitten oder Hilfe anzunehmen. Manchmal ist das ja nur so dahingesagt und Kunden sind überrascht, wenn ich sie zum Beispiel wirklich zur Bank um Wechselgeld schicke. Mein Mann ist dann immer ganz schockiert. Ich helfe selbst auch gerne und strahle das wahrscheinlich aus. Ich finde Zusammenhalt in der Gesellschaft wichtig. Wenn mich jemand fragt, ob ich beim Übersiedeln helfen oder um vier Uhr früh jemanden abholen kann, mache ich das.

(+) Plus: War es auch eine gewisse Naivität, mit der Sie und Ihr Mann die Buchhandlung kauften?

Hartlieb: Auf jeden Fall, sonst würde man sich so etwas nicht zutrauen. Wir haben schon genau gerechnet und uns nie verspekuliert. Aber hätten wir vorher gewusst, wie viel wir in den ersten drei Jahren arbeiten würden, hätten wir das nicht gemacht. Wenn du reinspringst, musst du halt schwimmen. Du kannst irgendwann nicht mehr zurück.

(+) Plus: Ihre Personalauswahl geschah zumindest anfangs mehr zufällig. Haben Sie nie schlechte Erfahrungen mit Mitarbeitern gemacht?

Hartlieb: Manchmal läuft das schon etwas spontan, das stimmt: Die Eva stand am Anfang einfach in der Tür und ist noch immer da. Die anderen haben fast alle als Lehrlinge begonnen und blieben bei uns, weil der Betrieb inzwischen so weit gewachsen war, dass wir sie übernehmen konnten. Einen Monat lang hatten wir eine AMSPraktikantin auf einem Behindertenarbeitsplatz, die so gut zu uns passt, dass wir sie jetzt angestellt haben, obwohl das eigentlich nicht geplant war. Unsere Mitarbeiter sind gerne bei uns, obwohl sie hier mehr Stress, mehr Chaos und mehr Eigenverantwortung als in einer großen Kette haben. Sie machen einen wirklich guten Job. Wir lassen ihnen weitgehend freie Hand und berücksichtigen ihre Wünsche bei den Arbeitszeiten. Mehr Geld können wir nicht bezahlen, dafür sind sie Teil unserer Buchhandelsfamilie. Es gibt eine große Solidarität – einmal haben drei Mitarbeiterinnen sogar ihre Stunden reduziert, damit eine vierte angestellt werden konnte.

(+) Plus: Waren Sie gerade deshalb erfolgreich, weil Sie sich nie nach Strategien oder Plänen gerichtet haben?

Hartlieb: Manchmal denke ich, es wäre besser, Pläne zu haben. Dann wäre das Leben nicht ganz so anstrengend. Ich war vor kurzem zu einem Workshop in Deutschland eingeladen, da hieß es: »Wir finden Ihr Konzept so toll.« Ein richtiges Konzept ist es wohl nicht, aber vielleicht ist es ein bisschen das Geheimnis unseres Erfolges, dass wir nicht so herkömmlich sind – der Laden, die Buchauswahl, das etwas schräge Personal. Und was auch viele Kunden sagen: Bei uns ist immer gute Stimmung. Es ist keiner von diesen Läden, wo man schon beim Hineinkommen das Gefühl hat, die haben alle so viel zu tun und man stört eigentlich. Unsere Kunden kommen nicht nur, weil sie ein Buch wollen, sondern weil es bei uns einfach nett ist.

(+) Plus: Trotz allem Idealismus holt viele Unternehmer irgendwann die Realität in Form von Steuererklärungen und Sozialversicherungsnachzahlungen ein. Dachten Sie manchmal, jetzt geht es nicht mehr weiter?

Hartlieb: Da der Umsatz in den ersten Jahren immer steil anstieg, war das bei uns nicht das Problem. Wir haben erst seit etwa zwei, drei Jahren das Gefühl, dass es schwieriger wird. Der Betrieb wächst zwar, aber die Kosten steigen und der Gewinn stagniert. Mehr Umsatz kann man auf dieser kleinen Fläche nicht machen und man braucht extrem viel Personal, um diesen Umsatz zu erreichen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Das zweite Geschäft ist erst im Aufbau, da haben wir den Plafond noch nicht erreicht. Im ersten Jahr lief es dort schlechter als erwartet. Das war vorher eine sehr heruntergewirtschaftete Buchhandlung. Früher stand dort nur ein lustloser Verkäufer und es gab sehr wenige Bücher, die Kunden waren enttäuscht. Wir wollten bewusst ein optisches Signal setzen, haben viel umgebaut und in Personal und Ware investiert. Vielleicht waren wir zu überheblich: Wir dachten, wenn unser Firmenname draufsteht, kommen die Leute automatisch. Aber wir mussten das Publikum erst heranlocken. Jetzt im Herbst geht es richtig gut los. Bis nächstes Jahr müssen wir es schaffen, sonst haben wir ein Problem.

(+) Plus: Ihr größter Feind ist wohl Amazon. Im Vorjahr stark in Misskredit geraten, bekundeten viele Leute, dort nicht mehr zu bestellen. Hat der Hype inzwischen nachgelassen?

Hartlieb: Wir haben viele Kunden dauerhaft gewonnen, vor allem unser Webshop hat großen Zulauf. Es ist dort das gleiche Prozedere wie bei Amazon, geht schnell und kostet nicht mehr. Auch viele junge Leute kommen zu uns – Digital Natives, von denen es immer heißt, sie wüssten gar nicht mehr, dass man etwas in einem Laden kaufen kann, weil sie automatisch alles im Internet bestellen.

(+) Plus: Der Buchhandel gilt als »sterbende« Branche. Kann man sich trotzdem mit guter Beratung und Service behaupten?

Hartlieb: Es hängt viel vom Standort ab. Wenn man unsere Buchhandlung nach Favoriten versetzen würde, wo das Buch vielleicht einen weniger hohen Stellenwert hat, funktioniert es möglicherweise auch nicht. Was ich kaum abschätzen kann, ist die Entwicklung des E-Books im deutschsprachigen Raum. Sollte das solche Ausmaße annehmen wie in den USA, wo bereits 25 % aller Bücher als E-Book gelesen werden, wird es für Buchhandlungen sehr schwierig. Es gibt dann keinen Grund mehr, in ein Geschäft zu gehen, weil man alles herunterladen kann.

(+) Plus: Wie erkennt man unter all den Neuerscheinungen jene Bücher, die sich verkaufen?

Hartlieb: Manchmal bleibt man auf 20 Büchern sitzen sitzen, obwohl der Verlag eine riesige Medienkampagne angekündigt hat. Oft ist es eben einfach Geschmackssache. Wenn man da ein gutes Händchen hat und vorab mit den besseren Konditionen direkt beim Vertreter bestellt, kann man aber die eigene Gewinnmarge noch ein bisschen nach oben pimpen. Kleine Buchhandlungen wie wir kaufen meist zu viel ein, weil man ein Vollsortiment abbilden will. Wir sind dann auch ganz stolz, wenn wir ein bestimmtes Wirtschaftsbuch tatsächlich auf Lager haben. Die richtige Balance zu finden, ist schwierig. Ich habe ja kein Lager, die Buchhandlung ist voll bis unter die Decke.

(+) Plus: Welches Buch hat Sie am meisten überrascht?

Hartlieb: »Shades of Grey«. Ich hätte mir nicht gedacht, dass sich das bei uns im Laden so gut verkauft. Wer das aller gelesen hat, fand ich schon erstaunlich. Da kam extra die Vertriebschefin aus München für ein Abendessen und offerierte uns Hochglanzfolder und Sonderkonditionen. Ich habe trotzdem nur fünf Stück bestellt und mich völlig verspekuliert.

(+) Plus: Was macht ein gutes Buch aus?

Hartlieb: Die Geschichte muss berühren. Ich höre Bücher nach 100 Seiten zu lesen auf, wenn ich das Gefühl habe, es wäre mir egal, wenn die Hauptperson jetzt stirbt. Die wichtigsten Bücher sind jene, die Antworten aufs Leben geben. Man liest drei Sätze und es bleibt einem die Luft weg, weil man das aus diesem Blickwinkel noch nie so betrachtet hat.

(+) Plus: Mit der Erfahrung dieser zehn Jahre – was würden Sie heute anders machen?

Hartlieb: Ich würde nichts anderes machen, aber ich würde es vielleicht ein bisschen anders machen. Ich weiß nicht, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich in Hamburg geblieben wäre. Es gibt eben Weichen, die man nicht zurückstellen kann. Ich habe einen coolen Job und arbeite viel zu viel – das ist im Moment unser Thema. Mein Traum wäre, nur drei Tage pro Woche in der Buchhandlung zu stehen und dann Kunden zu beraten, aber mich nicht um Rechnungen und Dienstpläne zu kümmern. Wir hatten uns das alles ja viel beschaulicher vorgestellt – mein Mann, ich und eine Studentin als Aushilfe. Der große Betrieb mit so viel Personal und Warenumschlag, das ist uns eigentlich passiert.


Zur Person:

Petra Hartlieb (47) wurde in München geboren, wuchs in Oberösterreich auf und studierte in Wien Psychologie und Geschichte. Sie arbeitete als Pressebetreuerin verschiedener Verlage, später als Literaturkritikerin in Wien und Hamburg. Seit 2004 betreibt sie mit ihrem Mann die Buchhandlung »Hartliebs Bücher« in Wien-Währing, 2013 eröffnete eine Filiale in Wien-Alsergrund mit französischem und italienischem Sortiment. Gemeinsam mit Claus-Ulrich Bielefeld veröffentlicht Hartlieb eine Krimireihe, die in Wien und Berlin spielt. Im September 2014 erschien ihr autobiografisches Buch »Meine wundervolle Buchhandlung« im DuMont Verlag.

Last modified onDonnerstag, 11 Dezember 2014 13:43
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