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Chinas Prinzlinge

84 der 1.000 reichsten Chinesen sitzen selbst als Delegierte im Volkskongress, 69 im Beraterparlament. Das Geld lagert steuerschonend im Ausland. 84 der 1.000 reichsten Chinesen sitzen selbst als Delegierte im Volkskongress, 69 im Beraterparlament. Das Geld lagert steuerschonend im Ausland.

Sie studieren an westlichen Eliteuniversitäten, haben ­beste Beziehungen und besetzen einflussreiche Führungspositionen. Kinder von hohen KP-Funktionären gelten als Türöffner für internationale Unternehmen, die auf dem ­chinesischen Markt Fuß fassen wollen. Die Grenze zu Amtsmissbrauch und Bestechung ist fließend.

Rund 2,6 % Wachstum und 631 Millionen Euro Jahresumsatz – darüber wäre angesichts der trägen europäischen Konjunktur so manches Unternehmen froh. Spielwarenhersteller Michael Sieber, Chef der deutschen Simba-Dickie-Gruppe, blickt dennoch mit Bitterkeit zurück. »Es war ein sehr bewegtes Jahr«, umschreibt Sieber das größte Desaster in der Geschichte des Fürther Familienunternehmens dabei noch recht harmlos. Nach sieben Jahren hatte er die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Joint-Venture-Partner Whole Kind beendet, nachdem es wiederholt zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Immer wieder seien Geld und Material verschwunden, Arbeiter wären nur zum Schein beschäftigt gewesen – der chinesische Partner habe ihn »gemolken«, wie Sieber ungewohnt offen eingesteht: »Das lief aus dem Ruder und kostete uns einen einstelligen Millionenbetrag.« Bei einigen Artikeln – die Unternehmensgruppe produziert u.a. die bekannten Marken Eichhorn-Holzspielzeug, Bobby-Car und Märklin – kam es zu Lieferverzögerungen. Doch selbst die Schließung des chinesischen Betriebes verlief nicht glatt. Die etwa 1.000 Beschäftigten hielten den deutschen Simba-Manager für 24 Stunden als Geisel fest.

Teure Kontakte

Die Chancen, die der chinesische Markt für Inves­toren bietet, lassen häufig die damit verbundenen Risiken vergessen. Als großes Problem sieht Mike Goldammer, Partner der Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing, das »Aufeinandertreffen von westeuropäischen Standards mit der chinesischen Realität«. Unternehmensinterne Compliance-Richtlinien werden meist schon in der Geschäftsanbahnung auf eine harte Probe gestellt. »Viele westliche Unternehmen gehen sehr gutgläubig in ihr China-Abenteuer«, bestätigt die Unternehmensberaterin Hanne Seelmann-Holzmann. Ein chinesischer Partner soll meist bürokratische Hürden ebnen und die Geschäfte in Gang bringen. Doch diese Starthilfe hat ihren Preis. Ohne Beziehungen geht nichts in China – und ihre Kontakte lassen sich die »Türöffner« teuer bezahlen.

Viele Geschäftsleute wissen nicht einmal, mit wem sie sich hier einlassen. »Wenn ich in den Unternehmen, die ich berate, auf diese Zusammenhänge hinweise, sehen die mich oft an, als käme ich direkt vom Mond«, erklärt Seelmann. Hinter den ortskundigen Kontaktleuten spinnt sich ein dichtes System aus Vetternwirtschaft und Korruption, in das höchste politische Kreise verflochten sind. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das chinesische Wirtschaftsleben vom »roten Adel« beherrscht wird. Die Kinder, Neffen, Nichten und Enkel hoher Funktionäre der Kommunistischen Partei besetzen Schlüsselpositionen quer durch alle Branchen, egal ob Handelsfirmen, Banken, Industriekonzerne oder Immobilienunternehmen. Auch die staatlichen und staatsnahen Betriebe befinden sich fest in der Hand einflussreicher Polit-Clans. So kontrolliert die Familie rund um den früheren Premierminister Li Peng seit Jahren den Energiemarkt. Seine Frau, seine Tochter und sein Sohn leiten jeweils riesige Strom- und Gaskonzerne; ohne ihre Zustimmung kommt in diesem Sektor kein Vertrag zustande.

Die »Prinzlinge«, wie die KP-Sprösslinge genannt werden, sind durchwegs hochgebildet, studierten an ausländischen Eliteuniversitäten und wuchsen im Luxus auf. Viel wichtiger als ihre Qualifikation sind jedoch ihre Verbindungen in die obersten Etagen der Macht. Ausländische Konzerne, die sich auf dem chinesischen Markt etablieren möchte, holen Prinzlinge in ihre Managementboards und sichern sich auf diesem Weg Großaufträge und Insider-Informationen. Große Investmenthäuser wie Morgan Stanley, UBS, Merril Lynch, aber auch die Deutsche Bank konnten oder wollten auf dieses »Vitamin B« nicht verzichten. Die US-Börsenaufsicht SEC ermittelt laut New York Times u.a. gegen JP Morgan Chase, deren Personalpolitik gezielt auf Einflussnahme ausgerichtet sei. Rund 30 Personen im Topmanagement sollen eng mit Staatsunternehmen oder KP-Vertretern in Verbindung stehen.

Kapitalflucht

Über die Summen, die Chinas rote Familien durch komplizierte Firmenkonstruktionen steuerschonend ins Ausland transferiert haben, kursieren abenteuerliche Spekulationen. Als gesichert gilt jedenfalls, wer die Millionenbeträge anhäuft: 90 % der chinesischen Millionäre sind Nachkommen von KP-Funktionären. 84 der 1.000 reichsten Chinesen sitzen selbst als Delegierte im Volkskongress, 69 im Beraterparlament. Vor allem die jüngere Generation trachtet aber bereits danach, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen: Über die Generalkonsulate in Hongkong bewerben sich immer mehr superreiche Chinesen um sogenannte »Investorenpässe« nach Amerika oder Australien, wo sie ihr Vermögen in neu gegründeten Unternehmen anlegen und dafür begünstigte Spezialvisa erhalten. Erste Adresse dieser gigantischen Kapitalflucht ist die USA. Die kanadische Regierung musste bereits ihr Einwanderungsprogramm einfrieren, weil die Behörden von der Flut der Anträge völlig überfordert waren. Von den mehr als 57.000 Anmeldungen konnten aus Kapazitätsgründen erst 3.643 Visa genehmigt werden. Bis Ende 2012 summierten sich die Investitionsvorhaben dennoch auf umgerechnet rund fünf Milliarden Euro.

Möglicherweise spüren die »Prinzlinge« aber auch, dass es ihnen bald an den Kragen gehen könnte. In China sind die Themen Korruption und Machtmissbrauch in aller Munde, seit der Parteivorsitzende Xi Jinping seine Säuberungspolitik gestartet hat. Rund 20.000 Beamte wurden angeblich bereits wegen Korruption verurteilt. In unzähligen Städten rückten Polizisten zu Razzien in Luxushotels aus, in deren Spa-Zentren die chinesische Variante der Prostitution angeboten wird. Polizeichefs, die Bordelle und Drogengeschäfte bisher toleriert hatten, verloren ihre Jobs.

Etliche reiche chinesische Familien waren oder sind in Kriminalaffären verwickelt. Im Vorjahr wurden der frühere Parteichef und Gouverneur der Metropole Chongqing, Bo Xilai, und seine Frau Gu Kailai zu lebenslanger Haft bzw. Todesstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Rechtsanwältin, die gemeinsam mit ihren Schwestern ein millionenschweres Firmenimperium dirigiert, soll einen britischen Geschäftspartner vergiftet haben. Ihr Mann habe seine politische Position ausgenutzt, um die Ermittlungen in dem Mordfall zu behindern. Allerdings tauchten rund um den spektakulären Prozess Ungereimtheiten auf. Bo galt zuvor als aussichtsreicher Kandidat für einen Ausschuss im Politbüro, hatte aber durch seine Anti-Korruptionspolitik hochrangige Parteimitglieder gegen sich aufgebracht. Nun wurde er bezichtigt, umgerechnet 2,75 Millionen Euro an Bestechungsgeldern kassiert zu haben. Für Chinaexpertin Seelmann ist diese Denunzierungsstrategie Teil des Systems: »Wenn veröffentlicht wird, dass sich ein Parteimitglied persönlich bereichert hat, will man damit häufig politische Konkurrenten außer Gefecht setzen.«

Geben und Nehmen

Für westliche Unternehmen ist das vermeintlich harte Durchgreifen kein Trost und unter Umständen sogar gefährlich: Fällt ausgerechnet die eigene Kontaktperson im Zuge dieser undurchsichtigen Machtkämpfe in Ungnade, gerät auch das Unternehmen ungewollt ins Zwielicht. Die Redewendung »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« trifft auf wirtschaftliche Aktivitäten mehr denn je zu, meint Taylor Wessing-Partner Goldammer: »Die größten Compliance-Risiken liegen in der Regel bei Geschäftsbeziehungen zu Dritten.« Sämtliche Mitarbeiter sollten diesbezüglich sensibilisiert und trainiert werden.

Am dichten Beziehungsgeflecht des Gebens und Nehmens dürfte sich weiter nicht viel ändern. Auch das Ungleichgewicht bleibt: Nicht selten liefern die Firmen unbemerkt ihr Know-how und ihr Betriebsvermögen an die chinesischen Partner aus. Hanne Seelmann empfiehlt deshalb, schon vorab eine umfassende interne Strategie festzulegen, um die eigenen Interessen und Werte sowie die Arbeit der Mitarbeiter abzusichern: »Nur wenn man die Spielregeln versteht, kann man mitspielen – sonst wird man zum Spielball des Gegenübers.«


Glossar: Prinzessinnen und Prinzen

1. Wen Yunsong: Der Sohn des Premierministers Wen Jiabao ist auch unter dem Namen Winston Wen bekannt. Als er im Februar 2012 Vorsitzender der China Satellite Communications wurde, stiegen die Aktien des in Hongkong notierten staatlichen Telekom-Unternehmens um mehr als 40 % in die Höhe. Davor verwaltete er die Dollarmilliarden des privaten Investitionsfonds New Horizon Capital.

2. Wilson Feng:
Der Schwiegersohn von Wu Bangguo, dem Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses und der gegenwärtigen Nr. 2 in Chinas Machtgefüge, heißt eigentlich Feng Shaodong. Er leitete das Investmentbanking von Merrill Lynch in China und ist nun CEO eines Investmentunternehmens für Atomenergie.

3. Hu Haifeng:
Der Sohn des Parteichefs Hu Jintao ist Vizechef der Pekinger Qinghua-Universität und gleichzeitig für die Wirtschaftsunternehmen der Hochschule zuständig, u.a. für Nuctech, das Kontrollgeräte für Flugplätze und Häfen herstellt. Zuvor fungierte Hu als Präsident von Nuctech.

4. Li Xaolin: Die Tochter des Ex-Premierministers Li Peng leitet China Power International Development, eines der größten Energieunternehmen Chinas. Ihre Mutter Zhu Lin beherrscht als Managerin eines Staatsbetriebes die Stromversorgung der gesamten Inneren Mongolei.

5. Jiang Mianheng: Der Sohn des früheren KP-Chefs Jiang Zemin gründete einen der ersten Microchip-Hersteller Chinas. Er häufte ein beträchtliches Vermögen als Chef einer staatlichen Investitionsfirma in Shanghai sowie in Aufsichtsräten diverser Medienkonzerne an.

6. Ye Jingzi: Die Enkelin des ehemaligen Staatspräsidenten Ye Jianying besuchte eine Eliteschule für Kinder der Parteiführung in Peking und wechselte mit 14 auf ein privates Mädcheninternat nahe New York – den Platz vermittelte ein guter Bekannter der Familie, der frühere US-Außenminister Henry Kissinger. Mit ihrem Unternehmen Brilliant Culture Group organisierte Ye Jingzi u.a. das Finale der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft mitten im Stadtzentrum von Shanghai.

7. Zhu Yunlai: Der Sohn des ehemaligen Premierministers Zhu Rongji arbeitete nach seinem Studium in den USA zunächst für Credit Suisse in New York und heuerte dann bei der chinesischen Großbank China International Capital an. Seine Schwester Zhu Yanlai ist stellvertretende Geschäftsführerin der Bank of China in Hongkong.

8. Li Tong: Die Tochter des Propagandachefs Li Changchun ist CEO der Bank of China und leitet den China Cultural & Media Investment Fund.

9. Li Huidi: Der Bruder von Li Tong studierte in den USA und ist nun Vizepräsident des staatlichen Telekom-Unternehmens China Mobile.

10. Wen Ruchun: Die Tochter des Premiers Wen Jiabao lässt sich seit ihrem Studium in den USA gerne Lily Wen rufen. Sie war zunächst für Credit Suisse tätig und ist nun General Manager eines chinesischen IT-Konzerns.

11. Liu Chunhang: Der Ehemann von Wen Ruchun absolvierte ein MBA-Studium an der Harvard Business School und arbeitete für Morgan Stanley und McKinsey. Seit 2006 ist er Direktor des Statistics & Research Departement der China Banking Regulatory Commission. Mit knapp 37 war er bereits als Vizegouverneur einer der größten chinesischen Provinzen im Gespräch.

12. Qi Qiaoqiao: Die ältere Schwester des derzeitigen Parteichefs Xi Jinping kontrolliert gemeinsam mit ihrem Mann Deng Jiagui und ihrer Tochter Zhang Yannan über ein Firmenimperium den Markt für Seltene Erden. Die Familie residiert in einer Luxusvilla in Hongkong und besitzt unzählige weitere Immobilien in Peking.

Last modified onFreitag, 25 April 2014 13:07
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