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Der neue Chef

Ein Wechsel an der Spitze bringt neuen Schwung. Foto: Photos.com Ein Wechsel an der Spitze bringt neuen Schwung. Foto: Photos.com

Sie sind voller Tatendrang und wollen alles anders oder zumindest besser machen. Doch an der Spitze von Unternehmen weht ein rauer Wind. Der richtige Start ist für Führungskräfte entscheidend – und eine Gratwanderung zwischen Rücksicht auf gewachsene Strukturen und eigenem Führungsstil.

»Der Chef von Siemens muss ein Künstler sein, er muss Unmögliches schaffen«, schrieb die Wochenzeitung Die Zeit anlässlich der Ablöse von Peter Löscher im vergangenen Juli. Schon möglich, dass der immer etwas hölzern wirkende Österreicher nicht der Richtige war für den Spagat zwischen ergebnisorientierten Shareholdern und den um ihre Jobs bangenden 370.000 Mitarbeitern des Elektronikriesen.

Kenner der Münchner »Schlangengrube« meinen jedoch, Löschers größtes Manko sei seine Position als Außenseiter gewesen. Nach der Schmiergeldaffäre hatte Aufsichtsratschef Gerhard Cromme 2007 bewusst einen makellosen Aufräumer gesucht. Zum ers­ten Mal in der 160-jährigen Unternehmensgeschichte wurde der Industriekonzern nicht von einem »Siemensianer« geleitet. Löscher schaffte es nicht, einen Kreis von Vertrauten um sich zu scharen und verfing sich letztlich im fein gestrickten Intrigennetz.

Sein nunmehriger Nachfolger Joe Kaeser hatte schon zuvor als Finanzvorstand keine Gelegenheit ausgelassen, Löscher die Show zu stehlen – und sei es nur durch das Abrasieren seines markanten Schnauzbartes am Morgen vor einer Bilanzpressekonferenz. Seit seinem Studienabschluss bei Siemens tätig, verfügt Kaeser über eine Fülle von Detailwissen. Seine rhetorische Eloquenz strahlte neben Löscher, dem selbst Gespräche mit Mitarbeitern höchst unangenehm waren, zusätzliche Überlegenheit aus. Aus den USA, wo er als CEO für die Siemens-Töchter agierte, brachte Josef Käser – so sein amtlicher Name – nicht nur die flottere Schreibweise mit, sondern auch das selbstbewusste Streben nach Macht.

>> Alles umkrempeln <<
Nach sieben Jahren als »zweiter Mann« ist Kaeser der Sprung an die Spitze gelungen. Auch wenn der Rauswurf Löschers in seiner Radikalität überraschend kam, in der Welt des Top-Managements sind längere Funktionsperioden ohnehin Seltenheit.

Nur durchschnittlich sechs Jahre halten sich CEOs im deutschsprachigen Raum im Chefsessel. International dreht sich das Personalkarussell noch schneller: In Europa liegt die Verweildauer im Schnitt bei fünf Jahren, im vergangenen Jahr mussten 15,3 % der Manager ihren Platz räumen. Am höchs­ten ist die Wechselquote mit 23,7 % in den Wachstumsregionen Brasilien, Russland und Indien, wie die »Chief Executive«-Studie der Strategieberatung Booz & Company unter den 2.500 weltweit größten börsennotierten Unternehmen belegt.

Immer weniger Zeit bleibt CEOs, dem Unternehmen ihren Stempel aufzudrücken. Eine Schonfrist wird ihnen wie bei Politikern nur für die ersten 100 Tage zugestanden. In dieser Zeit müssen Führungskräfte die Weichen gemäß ihrer Pläne neu gestellt haben. Was aber noch wichtiger ist: Sie müssen die Mitarbeiter auf ihrer Seite wissen. Dieser Aspekt wird zumeist unterschätzt. Viele Neo-Chefs vertiefen sich mit Feuereifer in Fachwissen, strukturieren Arbeitsabläufe um und definieren ambitionierte Ziele. Das Personal kommt bei all diesen Überlegungen oft erst an letzter Stelle. Dabei spielen wie bei allen Change-Prozessen Ängste mit: Die Belegschaft fürchtet Ad-hoc-Entscheidungen des neuen Vorgesetzten, bevor sich dieser mit den Hintergründen und Zusammenhängen befasst hat. Eingespielte Teams bangen um die tägliche Routine oder neue Aufgabenverteilungen. Langjährige Mitarbeiter haben das Gefühl, ihren besonderen Wert für das Unternehmen erneut beweisen zu müssen.

»Indem man alles umkrempelt, gibt man den Mitarbeitern das Gefühl, dass die Art und Weise, wie bisher gearbeitet wurde, nicht wertvoll war und baut so Widerstände auf«, erklärt Masha Ibeschitz-Manderbach, Managing Partner der Consultinggruppe MDI. »Vertrauen kann man nur gewinnen, wenn man ehrliches Interesse für die Stärken und Erwartungen der Mitarbeiter zeigt und angemessen auf das Gehörte reagiert, also auch mitteilt, welche Wünsche realistisch sind und welche nicht. «

>> Faktor Zeit <<
Zu viel und zu schnell wollte Apple-Store-Erfinder Ron Johnson ändern, als er 2011 als neuer Hoffnungsträger von der US-Bekleidungskette J.C. Penney angeworben wurde. Er sollte den traditionsreichen Handelskonzern von seinem verstaubten Image befreien. Johnson, der mit dem interaktiven Verkaufspult »Genius Bar« in den Filialen einen wichtigen Grundstein für den Erfolg von Apple aufbaute, scheiterte jedoch spektakulär. Er wolle »die Art verändern, wie Amerika shoppen geht«, hatte Johnson in seiner Antrittsrede großspurig verkündet. In einer Radikalkur schaffte er Verkaufsaktionen und die beliebten Rabattcoupons ab, was langjährige Stammkunden vergraulte. Als das Unternehmen Verluste in Milliardenhöhe verzeichnete, war Johnson nach kaum zwei Jahren seinen Job los. Sein Vorgänger Myron Ullman zog wieder in die Chefetage ein. 

Der Erfolg einer Führungstätigkeit misst sich zumeist recht kurzsichtig an einer klaren Richtlinie: dem Unternehmensziel. Und die Geduld des Aufsichtsrats bzw. der Aktionäre ist diesbezüglich bekanntlich kurz. Dabei wäre gerade »der Faktor Zeit« wichtig, so MDI-Partnerin Ibeschitz, »um Erfahrungen zu sammeln, indem man ausprobiert, aktiv Feedback einholt und Fehler als Lernchance begreift und nutzt. Das führt auch zu einer Vorbildwirkung für Mitarbeiter, die einen stets beobachten und schnell Widersprüche im Verhalten erkennen.« Die deutsche Organisationsberaterin Christina Wittmer empfiehlt, »die Haltung eines Forschers einzunehmen, der in ein neues Land, in eine neue Stadt kommt«: »Der größte Fehler ist, das Erfolgsrezept der alten Stelle ohne Veränderung auf die neue Herausforderung zu übertragen.«

Wenn jemand wie Joe Kaeser weiß, wie das Unternehmen tickt, ist das zwar ein unschätzbares Asset – genau diese Verflechtung kann sich aber auch nachteilhaft auswirken. Die Entscheidung über eine interne oder externe Besetzung der Führungsposition birgt gleichermaßen Vor- wie Nachteile. Will sich ein Unternehmen strategisch neu ausrichten, kann ein Manager von außen sinnvoller sein. Hierzu ist oft fachliches Know-how notwendig, über das die bestehenden Mitarbeiter nicht verfügen, etwa wenn die Expansion ins Ausland ansteht oder ein IT-System implementiert werden soll, mit dem im Betrieb noch niemand gearbeitet hat. Zudem erkennt ein Außenstehender Fehler oder Hindernisse, die sich über die Jahre mitunter in Prozessabläufe einschleichen, und kann unbefangener an Strukturveränderungen herangehen. Trotzdem ist er in erster Linie ein Fremder, der zunächst abwartende Zurückhaltung, Hoffnungen oder Unsicherheit auslöst.

>> Gestern Kollege, heute Chef <<
Passen die Strukturen und ist die Firma auf dem Markt prinzipiell gut aufgestellt, ist eine Führungskraft aus dem eigenen Haus keine schlechte Wahl. Interne Kandidaten kennen den Laden und müssen sich nicht völlig neu einarbeiten. Viele Unternehmen definieren sich inzwischen über ihre Werte und ihre Kultur. Kann oder will sich ein Manager nicht an die Unternehmenskultur anpassen, ist der Führungswechsel zum Scheitern verurteilt: Eine Fehlbesetzung wirkt sich immer unmittelbar auf die Arbeitszufriedenheit aus.

Die Besetzung aus den eigenen Reihen ist zudem ein wichtiges Signal an die Belegschaft, dass sich Engagement und Leistung auszahlen. Werden qualifizierte Mitarbeiter wiederholt bei Beförderungen übergangen und vakante Positionen ausschließlich an externe Kandidaten vergeben, sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Vor Neid der Kollegen sind allerdings auch jene, die auf der Karriereleiter höher klettern, nicht gefeit. Diplomatisches Geschick und Fingerspitzengefühl sind hier gefragt, um das Gefüge wieder ins Lot zu bringen. Schwierig ist die Situation allemal, besonders wenn zu einigen Kollegen auch private Freundschaften bestehen. Von gemeinsamen Freizeitaktivitäten muss man sich vielleicht verabschieden. Das Bier nach Dienstschluss trinkt sich mit dem Vorgesetzten doch anders. Auch wenn die Gespräche der Ex-Kollegen in der Teeküche plötzlich verstummen, liegt es wohl am Seitenwechsel: Der Chef ist nicht mehr einer der ihren – schlimm genug, dass er weiß, wer wichtige Arbeiten bis zuletzt hinausschiebt, sich gerne am Gang verplaudert oder mit dem neuen Computerprogramm noch immer nicht zurechtkommt.

Führungskräfte-Coach Monika Trampisch hält Selbstbewusstsein »im Sinne von sich seines Selbsts bewusst und sicher fühlen« für eine Grundkompetenz. »Das erfordert eine hohe Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum Perspektivenwechsel. Diesen Wechsel zwischen Selbstbild und Fremdbild, also das Einnehmen einer Metaposition, kann man aber lernen«, ergänzt Michael Bock, der mit Trampisch das Beratungsunternehmen Take2NoLimits leitet. Im geschützten Workshop-Setting können angehende und erfahrene Führungskräfte in Rollenspielen kritische Situationen proben und analysieren.

»Natürlich gibt es Personen, die als besonders talentiert und charismatisch gelten. Das heißt jedoch nicht, dass sie im Alltag als Führungskraft langfristig wirksam und erfolgreich sind«, sagt MDI-Trainerin Masha Ibeschitz. »Nachhaltiger Erfolg braucht die bewusste Entwicklung von Fähigkeiten und Anwendung von Führungswerkzeugen.«

>> Neuer Schwung <<
Kommunikation ist wie so oft der Schlüssel und gleichzeitig der größte Stolperstein. Wie sich die künftige Zusammenarbeit gestaltet, entscheidet sich zumeist in den ersten Tagen und Wochen und beginnt mit scheinbar ganz banalen Fragen: Wie stellt sich der Neue vor? Mit wem spricht er und wie? Kann er zuhören? Lässt er andere Meinungen gelten? Beraterin Christina Wittmer empfiehlt, »ein klares Signal des Wechsels« zu setzen, etwa durch eine Veranstaltung für alle Mitarbeiter, persönliches Begrüßen oder zumindest einen Brief. »In dieser Anfangssituation sollte der Führungsauftrag klar kommuniziert werden. Das Ankündigen, wie das Kennenlernen der Personen, der Aufgaben und Problemfelder in den nächsten Tagen verlaufen wird, gibt den Mitarbeitern Orientierung«, erläutert Wittmer.

Je authentischer eine Führungskraft agiert, desto fruchtbarer wird sich die frische Energie in einer kooperativen, positiven Arbeitsatmosphäre zeigen. Neue Chefs rutschen automatisch in ein Rollendilemma – sie wollen beliebt sein, müssen aber mitunter unangenehme Entscheidungen treffen. Der Respekt der Mitarbeiter muss erst erarbeitet werden. Trotzdem gilt für Manager dieselbe Weisheit wie für Fußballtrainer: Sie sind nur so gut wie ihr Team. Ein Wechsel bringt neuen Schwung, aber das Feuer am Lodern halten und jeden einzelnen Spieler zur Höchstform anspornen, können nur wenige.



Typische Führungsfehler

1. Mangelhafte Vorbereitung: Auch für Führungskräfte, die innerhalb des Unternehmens aufsteigen, ist die Perspektive neu. Das Team und die Arbeitsabläufe sind zwar vertraut, eine effiziente Organisation erfordert aber auch gutes Zeitmanagement und realistische Zielvorgaben.

2. Präpotenz: Der Chefsessel allein bringt noch keine Lorbeeren. Wer sich als erste Großtat den Parkplatz gleich beim Eingang reservieren lässt, macht sich keine Freunde. Rasche Entscheidungen bringen auf kurze Sicht vielleicht messbare Erfolge, allzu oft erweisen sich diese »quick wins« jedoch als unüberlegt.

3. Kritik am Vorgänger: Auch wenn Sie vieles besser machen wollen: Nicht alles war in der Vergangenheit schlecht, Kritik am direkten Vorgänger ist deshalb recht billig. Fehler werden auch Ihnen nicht erspart bleiben. Die Fähigkeit zur Selbstkritik macht menschlich – wer dagegen ständig anderen die Schuld gibt, verliert das Vertrauen der Mitarbeiter.

4. Einzelgänger: Wer nicht delegieren kann, braucht kein Team. Mitarbeiter, denen ein eigener Verantwortungsbereich übertragen wurde, arbeiten motivierter und zielgerichteter. Beziehen Sie die Belegschaft in geplante Änderungen ein, denn ohne Unterstützung der Mitarbeiter werden diese nicht gelingen.

5. Konfliktvermeidung: Erfolgreiche Führungskräfte sind authentisch, zeigen Anerkennung und scheuen vor Problemen nicht zurück. Auch wenn es im Unternehmen bisher üblich war, Konflikte unter den Teppich zu kehren: Hier bietet sich eine gute Gelegenheit, durch offenen, wertschätzenden Umgang einen neuen Führungsstil zu etablieren.

Last modified onFreitag, 15 November 2013 15:00
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