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"Nur theoretisch zu forschen ist zu wenig"

Foto: ASCR-Forschungsleiter Andreas Schuster (Siemens) mit ­Geschäftsführer Robert Grüneis vor dem Modell eines der größten Smart-City-Projekte Europas, der »aspern Seestadt«. Foto: ASCR-Forschungsleiter Andreas Schuster (Siemens) mit ­Geschäftsführer Robert Grüneis vor dem Modell eines der größten Smart-City-Projekte Europas, der »aspern Seestadt«. Fotos: Szelgrad/Report, ATP/Kuball

Die Aspern Smart City Research forscht inmitten der Stadt an den Gebäuden der Zukunft: ASCR-Geschäftsführer Robert Grüneis und Forschungsleiter ­Andreas Schuster (Siemens) im Gespräch mit dem Energie ­Report über die Forschungsdomänen Gebäude, Netz, Daten und User.

Report: Was sind die Ziele Ihrer Arbeit im Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern?

Robert Grüneis: Wir befinden uns mit unserer Arbeit bei der ASCR mittlerweile in der zweiten Phase, haben aber eine viel längere Geschichte. Schon lange vor der ersten Phase mit ihrem Start im Jahr 2013 hatte man Maßnahmen für den Ausbau wachsender Städte wie Wien überlegt. Mit Einbindung der Wiener Stadtwerke und ihrer Tochterunternehmen wurden dazu alle Ebenen betrachtet. Denn ein Stadtwachstum wirkt sich auf alles Mögliche aus – Verkehr, Gesundheitsversorgung, das soziale Zusammenleben und natürlich auch Wohnbau, Gewerbeflächen und Energieinfrastruktur. Damals waren Fukushima ein aktuelles Thema und die Nachwirkungen der Gaskrise in der Ukraine.

Zu einem der Ziele wurde damit auch das Thema Energieeffizienz in der Stadt ausgesprochen, ebenso wie der Ausbau der Erneuerbaren, um sich langfristig unabhängiger aufzustellen. Alle diese Maßnahmen garantieren das Funktionieren einer Stadt nicht nur in der Strom- und Wärmeversorgung, sondern auch in anderen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Mit der Smart-City-Rahmenstrategie wurden dann die Ziele für die Energieversorgung einer Stadt und Ziele für die Positionierung als Forschungshauptstadt in Europa definiert. Die ASCR ist ein Teil dieser Forschungsaktivitäten vor allem im Energiebereich.

Report: Wien Energie ist dazu eine enge Kooperation mit Siemens eingegangen. Warum gerade diese Konstellation?

Grüneis: Die Teilnahme des kommunalen Energieversorgers, der in öffentlicher Hand ist, war naheliegend. Die Gesellschafter der Wien Energie servicieren ein Viertel der KundInnen in Österreich. Mit dem Stromnetz in einer Länge von gesamt 30.000 Kilometern ist ein gewaltiges Know-how da, die Energieversorgung in einem Ballungsraum sicherzustellen. Denkt man das in neue Richtungen weiter, ist dies nicht nur von Technik, sondern sehr stark auch von Technologie, insbesondere von IT getrieben. Hier braucht man einen kompetenten Partner, der sich mit Siemens gefunden hat. Bei dem Joint-Venture ASCR treffen im neuen Stadtteil Seestadt Aspern nun die richtigen Fachleute von Energie-, Gebäude- und Netztechnik aufeinander. An diesem Ort ist es zugegeben einfacher, die Dinge auszuprobieren, als in einem Bestandsgebiet – wo man etwa für einen Netzausbau Straßen aufgraben müsste.

Studien zufolge wird für Städte weltweit bis zum Jahr 2070 ein Wachstum von rund 50 % der Bevölkerung erwartet. Das passiert vornehmlich natürlich über Neubau und Stadtentwicklungsgebiete und trifft damit genau unseren Fokus. Mit den weiteren ASCR-Gesellschaftern Wirtschaftsagentur Wien und Wien 3420 ist gewährleistet, dass in der wachsenden Stadt nicht nur Wohnraum, sondern auch Gewerbeflächen intelligent integriert werden.

Solange die Rahmenbedingungen selbst gestaltbar sind, liegt all diesen Themen das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung zugrunde. Diese gilt für die kleinsten ebenso wie für die größten Gemeinden. Gestaltbare Rahmenbedingungen in Wien werden beispielsweise seit jeher durch die Donau gebildet, die für die Schifffahrt, aber auch zu Vermeidung von Hochwasser genutzt und reguliert worden ist. Für das Trinkwasser wurde in Hochquellwasserleitungen investiert – im Prinzip ist das Konzept der Smart City nicht völlig neu. Man hat stets dazu im Gemeinsamen, in größeren Gruppen gedacht und umgesetzt. Das passiert heute noch.

Bild oben: Mit der Eröffnung des »tz2«, dem neuen Gebäudeteil des Technologiezentrums der Wirtschaftsagentur, ist die Forschungs­umgebung um eine Gewerbeimmobilie erweitert worden.

Report: Wie gehen Sie an die Energieforschung konkret in der ASCR heran?

Grüneis: Nur theoretisch zu forschen, ist in unserem Bereich zu wenig – wir müssen praktisch ausprobieren und umsetzen. Nun sind wir bei der Produktion von Energie im urbanen Raum mangels Flächen – die für Wohnen, Arbeiten und Freizeit benötigt werden – naturgemäß restringiert. Also fokussieren wir auf die Gebäude für Gewerbe, Wohnen und auch Bildung.

Man kann auf dem Dach Energie erzeugen, kann die Erdwärme im Boden nutzen, kann Wärme und auch Strom speichern und all das – inklusive Luftwärmepumpen und Gebäudetechnik – in der Forschungsdomäne »Smart Building« zu funktionierenden Systemen vereinen. Unsere Forschungsfragen sind nun, wie mit der Erzeugung und dem Verbrauch optimal umgegangen wird und welche Teile davon überhaupt intelligent steuerbar sind. Gerade bei einer volatilen Energieerzeugung beispielsweise mit Photovoltaik ist das Netz für die Laststeuerung und das Abfedern von Spitzen notwendig. Ebenso haben wir einen regulatorischen Druck auf Netzbetreiber, Kupferreserven zu reduzieren.

Smarte Systeme sollen hier den Ersatz bieten, vor Ort erzeugte Energie bestmöglich zu nutzen. Bei unseren Arbeiten rund ums Smart Grid, unsere zweite große Domäne, geht es auch um Prognosen von Lastströmen im Netz und um das Vorhersagen von Spannungsqualitäten.

Report: Braucht es dazu diese Mischung der Nutzungsarten in Wohngebäuden und Gewerbeflächen, wie es in Aspern der Fall ist? Wie viel Eigenerzeugung ist überhaupt in der Stadt möglich?

Andreas Schuster: Durch die Mischung der Nutzungsarten gleicht sich der Energieverbrauch durch den Tag etwas aus. Im urbanen Bereich aber wird die Produktion auf den Dächern mit PV immer nur eine Stromsenke ermöglichen – niemals einen vollständigen Ersatz für die vor Ort benötigte Energie. Windkraftwerke sind aufgrund der Rahmenbedingungen in der Stadt kaum möglich.

Die Eigenerzeugungsanteile unserer Testobjekte bewegen sich zwischen ungefähr 30 und 50 Prozent. Ein Energie-Plus-Gebäude wie das Technologiezentrum in der Seestadt erzeugt freilich mehr Energie, als es verbraucht – aber auch hier ist es eine Frage der Berechnung, was dazu gezählt wird.

Bei einzelnen Gebäuden kann sehr wohl eine gute Energiebilanz erreicht werden – in Summe aber, und wenn es auch um produzierende Betriebe geht, wird man immer einen gewissen Bedarf von außerhalb benötigen. In Wien bieten sich dafür auch die Windkraftwerke im Umland und das Donaukraftwerk Freudenau an.

Report: Wäre rein die Versorgung von Wohnraum mit Erzeugung vor Ort möglich?

Schuster: Es wäre sicherlich sehr ambitioniert. Wir setzen bei unserer Forschungsarbeit auf die Integration der Wohngebäude ins Gesamtsystem. Zu diesem System gehören auch die erneuerbaren Energieträger im Umfeld, ebenso wie eine mögliche optimale Teilnahme der Gebäude am Regelenergiemarkt. Würde man ein Ausbilanzieren auf jedes einzelne Gebäude gesehen anstreben, würden das schlagartig die Infrastrukturkosten – etwa für elektrische Speicher – erhöhen. Die Integration ins Gesamtsystem ist dagegen wesentlich effizienter und ökonomischer.

Grüneis: Daten sind der Schlüssel, um die Zusammenwirkung von Erzeugung, Netz und Gebäuden zu optimieren. Hier helfen Sensoren in den Trafostationen und Sensorik, die testweise in Kundenobjekten eingebaut ist. Die Verarbeitung der Daten erfolgt über mehrere Stufen des Sammelns, des Prüfens auf Plausibilität, des Ablegens und Speichern, sowie am Ende des Interpretierens, der Analyse und Aufbereitung.
Unsere vierte Forschungsdomäne ist schließlich der smarte User.

Wir haben derzeit 110 Test-User, von denen wir unter Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Vorgaben Verbrauchsdaten und qualifiziertes Feedback über eine eigens eingerichtete Sozialforschung – die vom AIT und weiteren Partnern koordiniert wird – einholen. Natürlich ist hier auch Thema, dass Menschen allein aufgrund der Tatsache, beobachtet zu werden, ihr Verhalten ändern. Dennoch bekommen wir wertvollen Input für unsere Arbeit.

Report: Was sind Erkenntnisse daraus, die Sie bereits berichten können?

Grüneis: Unsere Testgebäude sind ein Wohngebäude, eine Schule und ein Studentenheim –in seiner Nutzungsart ähnlich etwa einem späteren Seniorenheim –, sowie mit dem Technologiezentrum der Wirtschaftsagentur auch ein Gewerbebereich. Eines der Ergebnisse ist, dass ein Energieverbrauchsverhalten bei den derzeitigen niedrigen Strompreisen kaum über die Preiskomponente beeinflusst werden kann.

Ein-Personen-Unternehmen, die zuhause mit mehreren Computern einen höheren Energieverbrauch haben, betätigen bei entsprechender Motivation vielleicht den Notausschalter für die Wohnung, wenn sie diese für eine Stunde verlassen. Ein alleinerziehender Elternteil, der Wäsche waschen muss und Essen dann kocht, wenn es notwendig ist, wird sich das nicht leisten können. Deswegen geht es uns auch nie um einzelne Verbraucher, sondern um übergeordnete Systeme für ein »Building Energy Management«.

Sie können gewisse Verbräuche vorhersagen und vielleicht den Tertiär-Regelenergiemarkt des nächsten Tages berücksichtigen, um den Bedarf des lokalen Wärmespeichers oder Stromspeicher darauf abzustimmen. Eine mögliche Verhaltensänderung der Kunden aber steht auf der Optimierungsliste an allerletzter Stelle. Sie wird auch in Zukunft nur beschränkt möglich sein.

Report: Auf welche Forschungsthemen fokussieren Sie im Gewerbebereich?

Schuster: Hier ist beispielsweise der zweite, im September eröffnete Gebäudeteil des Technologiezentrums Seestadt von ATP bereits in BIM (Anm.: »Building Information Modelling«) geplant worden. Die ausführenden Firmen waren aber noch nicht so weit, die Errichtung mit BIM zu begleiten. Wir wollen den Betrieb trotzdem mithilfe eines digitalen Abbilds des Gebäudes führen. Deshalb haben wir während der Errichtung mittels »BIM as build« Stromleitungen, Brandmelder, Steckdosen und vieles mehr in den Bauphasen mit Kamerafahrten dokumentiert und im Modell zugeordnet.

Dort, wo eine Erkennung nicht möglich war, wurden »Points of Interest« in der Punktwolke markiert und zugehörige Komponenten grafisch hinterlegt. Damit kann der Gebäudebetreiber virtuell durch das Abbild des Gebäudes navigieren und beim Klicken etwa auf den Brandmelder Typenbezeichnungen, Serviceverläufe und allfällige Fehlermeldungen abrufen. Der Servicetechniker kann, bevor er hinfährt, das passende Equipment bereits einpacken. Die erfassten Messwerte liefern auch historische Informationen für den Betrieb und ersparen die Fehlersuche bei auftretenden Unregelmäßigen.

Dieses »Bimifizieren«, wie es die Kollegen nennen, werden wir auch am Schulcampus durchführen. Mit den Scans werden aus 2D-Plänen im Nachhinein 3D-Pläne erstellt. Damit wird die Betriebsführung mit Gebäudeleittechnik und BIM auch in einem Bestandsgebäude ermöglicht. Und bei der Planung des dritten Bauteil TZ3 wird gerade validiert, ob dieser mit BIM nicht nur geplant, sondern auch errichtet werden kann – sprich, ob dies auch Bestandteil der Ausschreibung sein wird.

Report: Die Kosten für Errichtung und Betrieb eines Gebäudes werden traditionell getrennt betrachtet. Was ist in Aspern anders?
Grüneis: Zum einen haben wir mit der Wirtschaftsagentur als Auftraggeber und gleichzeitig Betreiber des Gebäudes des Technologiezentrums einen Glücksfall in diesem Bereich. Zum anderen gilt es prinzipiell, die richtigen Partner in der Smart City zu finden.

Nicht alle sind dazu bereit. Wir haben bereits Bauträger, die hier mitdenken wollen – die List-Gruppe ist einer von ihnen. Sie hat heuer eine Garage mit anschließendem Wohnbau und Sportmöglichkeiten errichtet. Der Partner ist an Erneuerbaren und auch einem Smart-Charging-Konzept für Stellplätze interessiert und möchte gemeinsam mit uns lernen, wie ein Gebäude auch energieeffizient betrieben werden kann.

Gerade bei Gewerbeflächen ändert sich die Nutzungsart über die Jahre. Je flexibler das System sich auf die verschiedenen NutzerInnen einstellen kann, desto besser. Das erhöht den Mehrwert des Gebäudes.


Bündelung von Know-how

Die Forschungsgesellschaft ASCR wurde 2013 von Siemens (44,1 % Anteil), Wien Energie (29,95 %), Wiener Netze (20 %), Wirtschaftsagentur Wien (4,66 %) und der Seestädter Entwicklungsgesellschaft Wien 3420 (1,29 %) gegründet. Die Wirtschafts­agentur Wien bietet Förderungen, Betriebsansiedlungen, Immobilien und Beratung für Unternehmen. Wien 3420 ist gemeinsam mit Partnern für die Verwertung der Flächen, die städte­bauliche Planung, die Unterstützung der Flächenwidmung und die infrastrukturelle Erschließung der »aspern Seestadt« verantwortlich.

Ergebnisse aus der Forschung

In den vergangenen fünf Jahren wurden im Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern eine moderne Forschungsumgebung – bestehend aus einem umfassenden intelligenten Energienetz, einem Wohngebäude, einem Studierendenheim sowie einem Bildungscampus – geschaffen, rund 60 Forschungsfragen beantwortet, 15 prototypische Lösungen in den Bereichen intelligente Gebäude und Netzinfrastruktur entwickelt und rund 7.000 BewohnerInnen mit Energie versorgt. Von der Arbeit und den Erkenntnissen der über 100 ForscherInnen berichtet der »Abschlussbericht ASCR 1.0« (Link). Er liefert erste Grundlagen zur Beantwortung der zentralen energiepolitischen Fragestellungen der Zukunft.

 

Last modified onDonnerstag, 21 November 2019 08:53

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