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"Brüssel ist jetzt gefordert, zu agieren"

Franz Chalupecky, ABB: »Wir brauchen einen europaweiten  Energieplan.« Franz Chalupecky, ABB: »Wir brauchen einen europaweiten Energieplan.«

Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender von ABB Österreich, im Gespräch mit dem Energie Report über den Wandel in der E-Wirtschaft und einen gemeinsamen Weg von Politik, Wirtschaft und Technik. Der ist schwierig – aber unbedingt notwendig.

Report: Die europäische Energiewirtschaft ist aktuell von großen Umwälzungen betroffen. Vor welchen Herausforderungen stehen nun die Energieversorgungsunternehmen? Welche Auswirkungen hat der Wandel in Deutschland auf die Energiewirtschaft in Österreich?

Franz Chalupecky:
Gleich vorweg: Sie werden das Wort Politik in diesem Gespräch noch öfters hören. Die sogenannte Energiewende und der politische Wille dazu sind für mich sehr eng miteinander verbunden. Zunächst sollte man den Begriff der Energiewende genauer definieren. Die meisten Menschen verstehen darunter einen Weg »hin zu erneuerbaren Energien«, meinen aber damit Ausstieg aus der Atomenergie und damit eigentlich eine Stromwende in Deutschland. In Österreicher haben wir bereits einen enormen Anteil an Erneuerbaren vor allem mit unserer Wasserkraft, setzen aber auch auf Windkraft und Photovoltaik. Können wir uns also zurücklehnen? Mitnichten – die deutsche  Energiewende verur­sacht auch in der heimischen Wirtschaft große Verwerfungen. Jenes Bild, das wir noch vor zehn Jahren von der Energiewirtschaft hatten, steht auf dem Kopf. In Deutschland sind in den letzten Jahren die Erneuerbaren extrem gefördert worden. Es sind so enorme Investitionsvolumina entstanden, die den Markt verändert haben. Das führt heute dazu, dass an manchen Tagen die installierte Leistung in den Stromnetzen höher als der eigentliche Bedarf ist. Durch die Windparks im Norden und die Solaranlagen in Bayern kommt es zu Energieüberschüssen. Gemäß den Marktregeln werden in solchen Situationen die Erneuerbaren erst nach allen anderen Erzeugern aus dem Netz genommen werden. Sie bekommen mitunter sogar weiterhin die festgelegte Einspeisung vergütet – auch wenn sie gar nicht liefern. Wir hatten auch schon die paradoxe Situation, dass an einzelnen Tagen des Überangebots sogar für den Verbrauch von Strom bezahlt wurde, um die Netze zu entlasten. Das Überangebot und die verpflichtende Abnahme des erzeugten Stroms führen zu einer dramatischen Senkung des Strompreises. Damit rechnen sich etwa Gaskraftwerke oder Kombikraftwerke nicht mehr. Sogar die Pumpspeicherkraftwerke, die bislang Garanten für florierende Geschäfte der Energieversorger waren, werden durch das Strompreisniveau unrentabel. Deren Betriebsstunden sind seit dem Überangebot an Erneuerbaren deutlich zurückgegangen.

Was aber passiert, wenn bei einer ungünstigen Wetterlage die Erneuerbaren weniger Strom liefern? Dann ist Ausgleichsenergie gefordert, die erst recht wieder von herkömmlichen, zentraleren Kraftwerken bereitgestellt werden muss. Damit komme ich wieder zur Politik. Auch die Energieversorger müssen natürlich betriebswirtschaftlich agieren. Sie haben Aktionäre und Eigentümer, die gewinnbringendes Agieren der Vorstände erwarten. Wie soll aber damit in ein thermisches Kraftwerk investiert werden, wenn es aufgrund dieser Marktverschiebungen nur Verluste produzieren wird? Die Berechnungen können ganz unterschiedlich sein, solche Kraftwerke können aber aufgrund des zum Strompreis vergleichsweise hohen Gaspreises in einem zweistelligen Eurowert pro Megawattstunde Verlust erzeugen. Über kurz oder lang geht sich diese Rechnung dann aber für alle Marktbeteiligten nicht mehr aus. Die Politik ist nun dringend gefordert, wieder Rahmenbedingungen für vernünftig mögliche Investitionen in diesem Segment zu schaffen.

Report: Wie ist ABB zu diesem Umbau in der E-Wirtschaft gerüstet? Wie geht es Ihnen am österreichischen Markt?

Chalupecky: Die ABB ist in jedem Fall in einer sehr guten Position. Entweder wird wenig in den Netzausbau investiert, weil etwa Verfahren zu den Umweltverträglichkeitsprüfungenen nicht funktionieren oder zu lange dauern. Ein verzögerter Ausbau führt dann aber zu Investitionen in die Optimierung bestehender Netze. So benötigen die Energieversorgungsunternehmen Regeltransformatoren, sogenannte Phasenschiebertransformatoren, die den Lastfluss in den Stromleitungen steuern, und das Problem schwankender Lasten quasi zum Nachbarn verschieben. ABB ist einer der größten Lieferanten der Welt dieser Produkte. Umgekehrt, wenn es zu einem Ausbau der Netze kommt, profitieren wir ebenfalls von unserem breiten Portfolio im Bereich Umspannwerke und vielem mehr. Aus Sicht der Energietechnik ist klar, dass dringend Investitionen anstehen. Wir alle können ja fast täglich in der Zeitung lesen, wie viele Milliarden bis zum Jahr 2030 zu verbauen sind, um die europäischen Netze weiterhin stabil halten zu können.

Report: Gerade bei den UVP-Verfahren sind geänderte Rahmenbedingungen nötig, um die neue Investitionen schneller auf Schiene bringen zu können.

Chalupecky: Ja, die Verfahrensdauern sollten begrenzt werden. Ich erinnere mich an eine 380-KV-Leitung, die Südburgenlandleitung, deren Errichtung von Beginn bis zur Realisierung über 25 Jahre gedauert hatte. Beim Ausbau der Netze geht es selten um die Finanzierung oder technische Fragen, sondern immer um die politischen Rahmenbedingungen, die letztlich über die Investitionen entscheiden. Der politische Wille ist oft erst groß genug, wenn es sich im Netzbetrieb schon vorne und hinten nicht mehr ausgeht. Das ist ein bisschen der typisch österreichische Weg.

Report: Ein anderer politischer Rahmen, auf europäischer Ebene, ist der Emissionshandel. Der greift aufgrund eines Überangebotes derzeit kaum. Was bedeutet das für die Energiewirtschaft?

Chalupecky: Auch hier sehen wir eine massive Verwerfung. Im Handel mit CO2-Emissionsrechten kostete die Tonne vor einigen Jahren noch über 30 Euro. Heuer haben wir Preise um die fünf  Euro. Der Ausstoß von CO2 ist so billig geworden, dass es derzeit am günstigsten ist, aus den USA importierte Braunkohle in Europa zu verbrennen. Dort wiederum hat man ein Überangebot an Kohle, da man dort auf Schiefergas setzt.

Wenn nun Kohlekraftwerke der einzige Kraftwerkstyp sind, dessen Betrieb sich in Europa rechnet, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Wäre das große politische Ziel, Emissionen zu reduzieren und die Versorgungssicherheit zu erhöhen, ein Schulaufsatz, so hätten wir eine glatte Themenverfehlung. Wohin sind diese Ziele verschwunden? Wir haben einen Generationenvertrag mit der nächsten und der übernächsten Generation. Im Moment, in dem sich sogar der Betrieb von Wasserkraftwerken kaum noch rechnet, merkt man aber davon nichts.

Report: Welche politischen Veränderungen erwarten Sie für die kommenden Jahren dazu in Europa?

Chalupecky: Deutschland wird der wesentliche Treiber für den Wandel bleiben. Abhängig vom Ausgang der Bundestagswahl wird sich aber diepolitische Linie auch bei unserem Nachbarn sicherlich ändern. In Österreich wiederum fehlt immer noch die Weitsicht, dass sich eine funktionierende Energiewende nicht nur zwischen Vorarlberg und dem Neusiedlersee abspielen kann. Sie ist sogar für Zentraleuropa nicht alleine beherrschbar. Die Wende ist eine weltweite Herausforderung geworden und Europa wird diesen Weg nicht ohne ein international akkordiertes Vorgehen mit den anderen großen Wirtschaftsregionen bewältigen können.

Brüssel ist jetzt gefordert, zu agieren. Noch fehlt eine Institution mit einem Gesamtüberblick und einer Ausrichtung, die über allen Aspekte, Sparten, Branchen und Lobbyingorganisationen hinausgeht. Wir brauchen einen europaweiten Energieplan, der nicht nur auf Technologien Rücksicht nimmt – in diesem Bereich mache ich mir die wenigsten Sorgen –, sondern auch mit klaren Zeitvorgaben. Das Thema des Umbaus unseres Energiesystems sollte eigentlich aus der Geiselhaft durch die Politik gelöst und endlich auch auf eine sachorientierte Ebene gebracht werden. Schließlich sind Energiepolitik und Strompreise heute auch wichtige Faktoren für die Attraktivität von Wirtschaftsstandorten. Gerade energieintensive Produktionen, die viel Wärme oder Kälte benötigen, werden wir andernfalls kaum noch in Europa halten können. Für Produktionsprozesse der Industrie, etwa bei Glas, Zement und Papier, sind die Energiekosten ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Gerade im Sinne einer angestrebten Reindustrialisierung muss Europa ein stabiles, effizientes Energiesystem bekommen. Der Politik liegt ja das Wohl der Bürger, Arbeitsplatzsicherheit und auch ein gesundes Investitionsklima am Herzen. So schließt sich wieder der Kreis. Die Wende ist nur gemeinsam bewältigbar.

Last modified onDienstag, 29 Oktober 2013 17:34
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