fehlerhype

Wenn um etwas ein Hype veranstaltet wird, dann ist das per se nicht gut. Denn ein Hype entfernt sich, umso länger er andauert und umso mehr Beteiligte es gibt, immer mehr von der Realität. Und derzeit macht es den Anschein, als würde „der Fehler“ genau diesen Weg gehen. Wir haben mit Dr. phil. Markus Reimer international gefragter Keynote-Speaker zu den Themen Innovation, Qualität, Wissen und Agilität, über das Phänomen „Fehler-Hype“ gesprochen.

NM und MD: Das einzige was zählt, ist der Fehler! Warum gibt es den momentan herrschenden „Fehler-Hype“?

Markus Reimer: Der Fehler wird mittlerweile geradezu glorifiziert: In Blog-oder Fachartikeln, in Büchern, in Vorträgen, ja, ganze Fehler-Konferenzen gibt es mittlerweile. Man könnte den Eindruck gewinnen, als gäbe es nichts Besseres und damit nichts Erfolgreicheres als Fehler zu machen, darüber zu reden und sich vielleicht dafür gar feiern zu lassen. Es ist absurd!

NM und MD: Auch exzellente Unternehmen machen Fehler.

MR: Natürlich, denn sie streben nach Innovation und sie entwickeln ihr Portfolio immer weiter. Dass dabei Risiken eingegangen werden müssen ist unbestritten. Und ein Risiko zeichnet sich eben vor allem dadurch aus, dass man nicht weiß, ob die Zukunft das bringt, was in der Gegenwart von ihr erwartet wird. Alles kann genau so eintreffen, es muss aber nicht. Insofern ist es logisch, dass Fehler passieren. Passieren können. Dass Fehler einkalkuliert werden müssen. Die einzige Lösung für Null-Fehler wäre demnach, keinerlei Risiken mehr einzugehen. Das hätte dann aber zur logischen Folge, dass Excellence nicht mehr erreicht werden kann. Fehler sind also für Exzellente Organisationen eine Art notwendiges Übel.

NM und MD: Aber ein Exzellentes Unternehmen rühmt sich doch nicht ob seiner Fehler. Oder doch?

MR: Kennen Sie den Tintenkiller? Eine Art magischer Stift, der dazu in der Lage ist Tinte auf Papier wieder verschwinden zu lassen. Fehler können also direkt an Ort und Stelle unsichtbar gemacht werden. Aber es gibt einen Haken: Es ist nicht mehr möglich, mit der Tinte auf die fehlerbefreite Stelle zu schreiben. Man braucht dazu einen anderen Stift. Das heißt: Der Fehler und die Korrektur haben den Untergrund und damit etwas sehr Wesentliches verändert. Fehler verändern immer etwas.

Fehler sind definiert als eine Nicht-Konformität – etwas entspricht also nicht den Anforderungen oder Erwartungen. Im Volksmund spricht man gerne davon, dass etwas „schief gegangen“ ist. Ist dieser Fall eingetreten, dann muss etwas unternommen, korrigiert werden. Alleine dadurch tritt schon eine Veränderung ein. Wie gehen also Exzellente Unternehmen mit dem Umstand um, dass etwas schiefgegangen ist? Verheimlichen? Vertuschen? Schuldige suchen und Konsequenzen ziehen? Gerade Letzteres wird sehr gerne gemacht. Dadurch tritt in der Tat auch eine Veränderung ein. Der Fehler wird vermeintlich dadurch gekillt, dass man die „Schuldigen“, natürlich und hoffentlich nur im übertragenen Sinne: killt.

Sie erinnern sich sicher noch an die Oscar-Verleihung vor fast 2 Jahren. Dort wurden zwei Briefumschläge vertauscht, so dass im ersten Anlauf ein falscher Gewinner verkündet wurde – und das vor einem Millionenpublikum. Nachdem richtiggestellt, überall in der Welt darüber berichtet und noch mehr darüber gelacht worden war, wurden die beiden Verantwortlichen, also die Schuldigen gesucht, gefunden, gefeuert und mit einem lebenslangen Showverbot belegt. Das ist in der Tat eine oscarreife Leistung in Bezug auf den Umgang mit Fehlern. Eine Frage sei an dieser Stelle vielleicht erlaubt: Was meinen Sie: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Verantwortlichen in Zukunft die Umschläge nochmals vertauscht hätten? Wir werden es nicht erfahren, aber wir können Vermutungen anstellen.

NM und MD: Wie gehen exzellente Organisation denn nun mit Fehlern um?

MR: Exzellente Organisationen machen das fundamental anders: Sie fördern eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung, aber auch der Fürsorge. Menschen, die stets tadellose Leistungen erbringen und dann einmal einen Fehler machen, brauchen Unterstützung und vielleicht auch Fürsorge. Nur so kann eine positive Fehlerkultur entstehen. Ganz sicher brauchen Mitarbeiter keine Entlassung – grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz natürlich ausgenommen.

Stellen Sie sich mal vor, dass in einem Fußballteam immer dann, wenn ein Elfmeterschütze seinen Ball verschießt, dieser gefeuert werden würde. Wer würde sich freiwillig überhaupt noch dazu bereit erklären Verantwortung zu übernehmen? Dann ist es doch viel besser nichts zu tun und keine Fehler zu machen, als Verantwortung zu übernehmen, ein Risiko einzugehen und dann vielleicht mit Schimpf und Schande den Hof verlassen zu müssen, oder? Wird diese Frage mit „ja“ beantwortet, dann kann man den Begriff der „Excellence“ ohne Haupt- und Nebenwirkung im organisationsinternen Glossar streichen. Der Oscar hat dann das Spielfeld verlassen.

NM und MD: Danke für das Interview!