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Nur 10 % für die Errichtung

\"''DieIm zweiten Teil der Report-Baugespräche zeigt Uwe Rotermund, Experte für Lebenszykluskosten, dass das Verhältnis von Errichtungs- und Betriebskosten noch viel unausgewogener ist als bislang angenommen, er erklärt, warum zertifizierte Gebäude im Betrieb nicht signifikant besser sind als nicht zertifizierte, und rätselt, warum beim Immobilienkauf nicht dieselbe Sorgfalt aufgewendet wird wie beim Autokauf.

Von Bernd Affenzeller.

Report: In der Branche wird viel über Lebenszykluskosten gesprochen. Ist das Thema auch in der Praxis angekommen?
Uwe Rotermund: Leider nein. Es gibt natürlich immer wieder Einzelfälle, die ganz gut aufgestellt sind, aber das sind noch Exoten. Die gesamte Branche hat noch einen großen Aufholbedarf. Der Fokus liegt immer noch viel zu sehr auf den Baukosten. Derzeit werden maximal 5 % aller Bauvorhaben lebenszyklusorientiert abgewickelt.

Report: Gibt es einen Unterschied zwischen dem österreichischen und dem deutschen Markt?
Rotermund: Ich sehe keine Unterschiede. Hier wie dort kennen die Bauherren die mit einer Fokussierung auf die Lebenszykluskosten verbundenen Optimierungspotenziale einfach nicht.  

Report: Welche Rolle spielen die Lebenszykluskosten global?
Rotermund: Im internationalen Vergleich liegen die DACH-Länder in Sachen Systematik und Berechnungsgrundlagen relativ weit vorne. Das zeigt das enorme Nachholpotenzial, das international gegeben ist.    

Report: Deutschland, Österreich und die Schweiz sind also auf niedrigem Niveau weltweit führend?
Rotermund: Das würde ich so nicht sagen. Das Niveau der Berechnungen und die Systematiken sind schon sehr gut, es gibt nur viel zu wenig Projekte. Ein Problem, mit dem wir immer wieder konfrontiert sind, ist, dass viele glauben, Lebenszykluskosten sind Energiekosten. Das Thema geht aber weit darüber hinaus.

Report: An wem liegt es nun, das Thema breitenwirksamer zu machen?
Rotermund: Es liegt vor allem am Bauherrn und seinen Beratern. Wenn sich ein großer Investor auf seinen Architekten, seinen Projekt- und Generalplaner verlässt, dann haben die die Pflicht, das Thema zu kommunizieren. Ein weiteres Problem ist die fehlende Verankerung des Themas in der Lehre. Meines Wissens nach sind wir in Münster eine der ganz wenigen Hochschulen, die das Thema im Fachbereich Architektur abdecken.

Report: Wenn Investoren und Betreiber nicht in Personalunion vereint sind, gibt es zwangsläufig Interessenskonflikte. Wie können diese Konflikte beigelegt werden?
Rotermund: Das geht nur, wenn die Lebenszykluskosten endlich Einzug in die Immobilienbewertung finden. Und natürlich sind auch die Mieter gefragt, lebenszyklus­optimierte Immobilien nachzufragen. Wir haben derzeit ein Forschungsprojekt laufen, bei dem in einer ganz frühen Phase Zielwerte für die Lebenszykluskosten je Quadratmeter festgelegt werden. So erhält man langfristig optimierte Gebäude, die dann auch am Markt nachgefragt werden.

Report: Sind die Zertifizierungsinstrumente ausreichend für eine transparente Darstellung der Lebenszykluskosten?
Rotermund: Die verschiedenen Zertifizierungsinstrumente sind gut und richtig. Aber die im Rahmen der Gebäudezertifizierungen durchgeführten Lebenszykluskostenberechnungen sind keine echten Lebenszykluskosten. Das Problem ist, dass das Thema Lebenszykluskosten als Steckbrief relativ schwer zu beherrschen ist. Das ist ein sehr umfangreiches und komplexes Unterfangen. Davor schrecken viele noch zurück. Die Integration der Lebenszykluskosten in die Gebäudezertifikate wäre aber aufgrund der Umfänge auch gar nicht zielführend. Da wird es immer eine Paral­lelität geben. Und so wie jeder Bauherr eine vollständige Berechnung der Baukosten haben will, genauso werden Bauherren irgendwann eine vollständige Berechnung der Lebenszykluskosten einfordern.

Report: Warum gibt es diese Forderungen der Bauherren noch nicht?  
Rotermund: Ich weiß es nicht, aber ich gehe davon aus, dass sich der Markt in den nächsten Jahren in diese Richtung entwickeln wird. Ein Autokäufer weiß alles, vom Kaufpreis über Verbrauch bis zu Wartungsintervallen und Versicherungskosten. Dabei hat ein Auto im Jahr rund 400 bis 700 Betriebsstunden bei einer Lebensdauer von maximal 15 Jahren. Eine Immobilie weist nicht nur viel mehr Betriebsstunden auf, sondern ist auch noch deutlich teurer und langlebiger. Dass hier das Interesse an den Gesamtkosten nicht ausgeprägter ist, ist einfach absurd.  

Report: Immobilien sind aber auch etwas komplexer als Autos.
Rotermund: Natürlich, denn da gibt es deutlich mehr Kostenarten. Vor allem aber ist das Auto eine Massenfertigung. Ein Gebäude gibt es immer nur einmal. Aber natürlich gibt es auch da Standards. Die Berechnungsmodelle sind zwar komplizierter, aber es gibt sie und sie sind auch einfach nachzuvollziehen.

Report: Das könnte man mit einer industriellen Fertigung, etwa dem Bürogebäude von der Stange, deutlich erleichtern. Ist die Eintönigkeit die Zukunft der optimierten Immobilien?
Rotermund: Das glaube ich nicht. Immobilien werden immer Einzelstücke bleiben. Aber wir müssen Erstellung und Betrieb zusammenführen. Viele Planer denken heute ja nur bis zur Errichtung eines Gebäudes. Unser Ingenieurbüro bietet etwa die Lebenszykluskostenberechnung an und parallel dazu erstellen wir schon ein Betriebskonzept.  

Report: Sind zertifizierte Gebäude hinsichtlich der Lebenszykluskosten signifikant besser als nicht zertifizierte?
Rotermund: Ich habe schon gesagt, dass ich Zertifizierungen für gut und richtig halte. Aber, und das tut mir jetzt fast ein bisschen leid für die Zertifizierer, wir haben im Rahmen eines Forschungsprojekts festgestellt, dass zertifizierte Gebäude zwar in der Errichtung um bis zu 20 % teurer sind, die Auswirkungen hinsichtlich der Lebenszykluskosten aber überschaubar sind. Im energetischen Bereich sind die Kosten gleich wie bei nicht zertifizierten Gebäuden, bei Wasser und Abwasser liegen sie um 30 %
darunter. Das heißt, die Auswirkungen, die man sich von der Zertifizierung erhofft hat, sind so noch nicht eingetreten.

Report: Es heißt, dass rund 80 % der Lebenszykluskosten auf den Betrieb entfallen. Können Sie diese Zahl noch weiter in ihre Einzelteile zerlegen?
Rotermund: Wir haben auch lange mit diesen Zahlen hantiert, ehrlich gesagt auch, ohne genau nachgerechnet zu haben. Dann haben wir uns die Mühe gemacht und die tatsächlichen Kosten genauer angesehen. Und da sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verteilung sogar bei 10:90 liegt.

Report: Wie setzen sich diese 90 % im Detail zusammen?
Rotermund: Es gibt einige zentrale Kostensäulen wie den Instandhaltungsbereich, die energetische Komponente, die Reinigung, aber auch Kapitalkosten und viele kleine Bereiche wie die Außenanlagepflege, den Winter- und Sicherheitsdienst und vieles mehr. Die genaue Verteilung der Kosten birgt aber Überraschungen. Die Summe der Energiekos­ten liegt in etwa bei 10 Euro pro Quadratmeter und Jahr. Die Kosten für das technische Gebäudemanagement machen aber rund 24 Euro aus. Das heißt, die Energiekosten machen knapp die Hälfte des Aufwandes für das technische Gebäudemanagement aus.
 
Report: Viele dieser Kostenstellen fallen in den Bereich der Mieter.
Rotermund: Das stimmt und deshalb sind auch die Mieter gefragt. Ich habe gerade eben in Deutschland erlebt, dass ein großer Mieter, ein bekanntes Beratungsunternehmen, mit dem Wunsch nach einem neuen Bürogebäude und der ganz konkreten Vorstellung von Baukosten und Warmmiete an einen Entwickler herangetreten ist. Das heißt, der Mieter hat von vornherein die Nebenkosten gedeckelt. Dieses Beispiel wird in Zukunft sicher Schule machen und den Druck auf die Entwickler erhöhen.
Wir haben aktuell ein Projekt, bei dem wir frühzeitig Zielwerte festgelegt haben. Damit gehen wir in die Ausschreibung. Das heißt, der Generalunternehmer muss die Lebenszykluskosten in das Angebot mit einbeziehen. Diese Werte für den Entwurf des Generalplaners legen wir unserer standardisierten Lebenszykluskostenanalyse gegenüber und können Abweichungen sofort erkennen und diskutierten.

Report: Letzte Frage: Woran krankt es am meisten? Oder anders gefragt: Wo sehen Sie bei Gebäuden allgemein das größte Optimierungspotenzial?  
Rotermund: Das größte Potenzial sehe ich in der Organisation. Wir brauchen ganz einfach starke Bauherren, die lebenszykluskostenoptimiert bauen wollen. Dann brauchen wir eine echte Generalplanung. Das Problem ist, dass in Österreich und Deutschland nur ganz wenige Büros dazu in der Lage sind. Und schließlich müssen die einzelnen Kostenarten von der Energie über Instandhaltung bis zu den kleineren Kostenstellen weiter optimiert werden. Die Methoden haben wir, die Organisation muss folgen.


> Uwe Rotermund
zählt zu den führenden Lebenszykluskostenexperten Deutschlands. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Prof. Uwe Rotermund Ingenieurgesellschaft mbH & Co KG und seit 2005 Professor für Immobilien-Lebenszyklusmanagement an der münster school of architecture. Er ist außerdem öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Facility Management.

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