Samstag, April 20, 2024

Robert Grüneis. Geschäftsführer Wien Energie, im Report-Gespräch über den Wettbewerb am heimischen Energiemarkt, günstigen Strom und Energie als Dienstleistung.

(+) Plus: Die Energiewende stellt derzeit die gesamte Energiewirtschaft auf den Prüfstand. Wie ist der Markt auf die Veränderungen und den anziehenden Wettbewerb vorbereitet? Welche Faktoren spielen hier mit?

Robert Grüneis: Der Wettbewerb auf dem österreichischen Strommarkt funktioniert. Insgesamt sind etwa 140 unterschiedliche Anbieter auf dem Markt für Haushaltskunden tätig, davon rund ein Siebtel österreichweit. Industrieunternehmen können zwischen einem Dutzend alternativer Anbieter wählen. Auch die Produktpalette hat sich maßgeblich erweitert. Neben den Standardprodukten bieten viele Energieunternehmen heute maßgeschneiderte Lösungen für unterschiedliche Zielgruppen an. Dies umfasst eine Reihe von Preisnachlässen, darunter Boni für Neukunden und Treuerabatte für bestehende Kunden. Auch sogenannte Float-Produkte – wie die Optima Float Tarife von Wien Energie – haben sich mittlerweile etabliert. Diese geben Preisentwicklungen an den Strombörsen an die Kunden weiter und zählen zu den günstigen Angeboten am Markt. Hinzu kommt, dass gerade Österreich im EU-weiten Vergleich einer der wettbewerbs­ intensivsten Märkte ist. Laut dem aktuellen Benchmarkingbericht der Europäischen Kommission haben die drei größten Anbieter auf dem Strommarkt einen kumulierten Anteil von 64 %. Der europaweite Durchschnitt dieses Wertes liegt dem gegenüber bei fast 90 %, in Frankreich sind es 95 %, in Tschechien sogar 98 %. Auch die Wechselraten sind beachtlich – und das nicht erst seit den vergangenen Monaten. Laut E-Control wechselten seit 2001 über eine halbe Million Menschen ihren Versorger. Das entspricht einer Wechselrate von weit mehr als 10 %. Bei den großen Industriekunden mit mehr als 150 Gigawattstunden ist davon auszugehen, dass fast jedes Unternehmen bereits einmal einen alternativen Versorger wählte. Sprechen Kritiker von niedrigen oder jedenfalls ungenügenden Wechselraten, so ist zu beachten, dass diese nicht zuletzt auf die hohe Zufriedenheit der Kunden mit ihren Versorgern zurückzuführen sind.

(+) Plus: Dennoch wird von Verbraucherseite oftmals der hohe Strompreis und der mangelnde Wettbewerb kritisiert.

Grüneis: Noch einmal: Der Wettbewerb in Österreich funktioniert. Leider wird das in der Öffentlichkeit noch nicht mit dem richtigen Augenmaß wahrgenommen. Stattdessen gibt es eine Preisdiskussion, in der suggeriert wird, dass Energie zu teuer ist. Das Gegenteil ist der Fall. Der durchschnittliche Wiener Haushalt gibt – laut den offiziellen Daten der Statistik Austria – lediglich 4 % der monatlichen Haushaltskosten für Energie, das heißt Strom, Heizen und Warmwasser, aus. Ebenso ist bemerkenswert, dass der Strompreis in Wien seit 2008 sogar rückläufig ist und damit die Inflation dämpft. DieStrompreise stiegen im vergangenen Jahrzehnt deutlich langsamer als die Preise aller anderen Energieformen. Auch im vergangenen Jahr war Strom wieder die preisstabilste Energieform und mit einem Plus von 0,8 % um zwei Drittel deutlich unter der allgemeinen Inflationsrate von 2,4 %. In Summe war die Strompreisentwicklung in Österreich zudem deutlich moderater und stabiler als im europäischen Durchschnitt. Das zeigt: Österreich zählt bereits heute im EU-weiten Vergleich zu den wettbewerbsintensivsten Energiemärkten.

(+) Plus: Der Verein für Konsumenteninformation hat mit einer Strompooling-Aktion eine Maßnahme zur Senkung der Energiekosten getroffen. Was halten Sie von solchen Einkaufsgemeinschaften?

Grüneis: Wien Energie begrüßt jegliche Impulse zur Belebung des Energiemarktes in Österreich. Das VKI-Ergebnis hat eines verdeutlicht: Wien Energie bietet derzeit die wettbewerbsfähigsten Stromtarife für Haushaltskunden an. Die beiden Tarife Optima Float und der neue Optima Float Cap nutzen die Preisvorteile an der Börse. Diese Produkte sind eine Neuerung am österreichischen Energiemarkt. Neben Industriebtrieben können auch Haushaltskunden von den schwankenden Kursen an den Großhandelsmärkten profitieren. In der Praxis funktioniert das so: die Preisgestaltung der Float-Tarife orientiert sich am Österreichischen Strompreisindex der Österreichischen Energieagentur. Dieser Index wird monatlich auf Basis der Großhandelspreise an der Leipziger Energiebörse EEX berechnet. Unsere Kunden profitieren damit von den günstigsten Tarifen am österreichischen Energiemarkt. Dazu kommt bei uns ein österreichweit einmaliges Beratungs- und Dienstleistungsangebot von 20.000 jährlichen Energieberatungen sowie einer Energieeffizienzoffensive mit 100-Euro-Förderungen für Kunden. Für Kunden, die weniger risikofreudig sind, bietet Wien Energie auch weiterhin Energieprodukte mit einer langfristigen Preisgarantie.

(+) Plus: Was bieten Sie im Bereich Energieeffizienzlösungen oder Energiedienstleistungen?

Grüneis: Energie – in welcher Form auch immer – muss zum unterscheidbaren Qualitätsprodukt werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der technischen Qualität, die für eine hochentwickelte Industrie notwendig ist, als auch hinsichtlich der bereits genannten ökologischen Qualität. Die meisten österreichischen Energieunternehmen haben bereits entsprechend spezialisierte Tochterfirmen gegründet, die zertifizierten Ökostrom anbieten. Das strenge und international vorbildhafte österreichische Stromkennzeichnungsregime, das in den kommenden Jahren weiter verschärft wird, unterstützt diese Vorreiterrolle.
Seit Dezember 2012 bietet die Wiener Strombörse EXAA als erste in Europa den gemeinsamen Handel von Strom und Herkunftsnachweisen an. Somit ist es nunmehr auch möglich, auch »grüne« Ausgleichsenergie zu beschaffen und den Endkunden damit lückenlos zertifizierte Ökostromprodukte anzubieten. Immer mehr Energieunternehmen ermöglichen ihren Kunden auch, sich an Erzeugungseinheiten zu beteiligen. Beispiel: die Bürgersolarkraftwerke von Wien Energie. Zusätzlich ist Energieeffizienz als neues Geschäftsfeld aufzubauen und bis auf die Kleinkundenebene zu etablieren. Auch diesbezüglich kann Wien Energie bereits auf funktionierende Modelle verweisen, etwa im Bereich von Smart-Home-Lösungen. Wir bieten bereits ein solches Produkt an. Dabei können Kunden Raumtemperatur, Lampen sowie Elektrogeräte einfach über das Internet oder ein Smartphone steuern und auf diese Weise jederzeit und von jedem Ort aus den Energieverbrauch optimieren. Eine klassische Win-win-Situation, bei der der Kunde Energiekosten spart und der Versorger Erträge aus der von ihm angebotenen Dienstleis­tung lukriert.

(+) Plus: Blicken wir in die Zukunft und reden wir über den Anpassungsbedarf bei Wien Energie. Wie groß sind die Herausforderungen in den nächsten Jahren für ein arriviertes Energieunternehmen?

Grüneis: Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich dramatisch geändert. Ein Hauptgrund für den Wandel ist der starke Ausbau und die Nutzung von erneuerbarer Energie in Deutschland. Seit Fukushima ist an den Strombörsen ein kontinuierlicher Verfall des Strompreises zu beobachten. Gleichzeitig stieg der Gaspreis an beziehungsweise stagniert er trotz Wirtschaftsflaute auf hohem Niveau. Das wachsende Auseinanderklaffen zwischen Gas- und Strompreis stellt alle Energieversorger – so auch Wien Energie – vor enorme Herausforderungen. Es wird schwieriger, mit dem Kerngeschäft aus Strom, Gas und Fernwärme Geld zu verdienen. Der Kosten- und Konkurrenzdruck steigt. Dem müssen wir uns als Unternehmen stellen. Es wird in Zukunft nicht mehr genügen, bloß Kilowattstunden zu erzeugen und zu verkaufen. Energie muss als Dienstleistung so vielfältig werden wie Angebote aus der Unterhaltungselektronik. Die Energiewende und Wien als wachsende Metropole sind aber für Wien Energie eine Chance, ausgetrampelte Pfade zu verlassen und innovativ zu sein. Die bestehende Energieversorgung aus Gaskraftwerken wird es in Zukunft weiterhin geben. Die Praxis zeigt ja, dass wir mit der Wiener Energieeffizienzstrategie zu den Vorreitern sauberer Energieproduktion zählen und überall auf der Welt dafür bewundert werden. Gleichzeitig wird die Ausrichtung in den nächsten Jahren immer mehr darauf hinauslaufen, vom Versorger zum umfassend orientierten Dienstleister zu werden. Dank Unternehmensgröße und Know-how zählen wir zu Österreichs kundenstärksten und innovativsten  Energiedienstleistungsunternehmen.
Der Vorteil gegenüber anderen ist, dass Wien unser Heimmarkt ist. Wien wächst und wird in naher Zukunft zwei Millionen Einwohner haben. So werden die Möglichkeiten mehr und nicht weniger. Hier liegt auch die Chance für Wien Energie sowie  ein Wachstums- und Innovationspotenzial für unsere verschiedenen Strom-, Wärme- und Kälteprodukte. Zu guter Letzt fordern wir aber auch, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Politik und Regulator sind gefordert, die Energieunternehmen zu unterstützen und nicht zu behindern. Nur so kann anstelle des »Wettbewerbs der Billigsten« der »Wettbewerb der Besten« treten. Und Wien Energie sehe ich daraus gestärkt hervorgehen.

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