Samstag, April 20, 2024

Gewerbe, Industrie und Gemeinden auf einem guten Weg der Wärmewende für Gebäude, Prozesse und Anwendungen: von Nahwärme und Nutzung von Abwasser über die Ablöse von Ölheizungen bis zur Kopplung von Solarthermie mit verschiedenen Speicherarten – das zeigen aktuelle Vorzeigeprojekte aus der Steiermark, aus Oberösterreich, Wien und Bayern.

Wien: Energie aus Abwasser

Wien Kanal setzt mit der neuen klimafreundlichen Unternehmenszentrale im Bezirk Liesing einen weiteren Meilenstein im Klimafahrplan der Hauptstadt: Das Gebäude wird zu 100 Prozent aus dem öffentlichen Kanalnetz geheizt und gekühlt. Am neuen Standort heizt und kühlt das Abwasser mehr als 8.000 Quadratmeter Fläche und ist Arbeitsplatz für 240 Mitarbeiter*innen. Dafür wurden insgesamt 185 Meter Wärmetauscher im Kanal verbaut, mit denen mehr als 700 kW Heizleistung und 600 kW Kühlleistung gewonnen werden können. Begleitet wird die innovative Energieanlage durch bauliche Maßnahmen, um erneuerbare Energie effizient einzusetzen und um Kosten zu sparen: Mit einem automatisch einstrahlungsgeregelten, verstellbaren Sonnenschutz. Mit wärmegedämmten Außenwänden und einer Bauteilaktivierung, mit der die Betondecke zur Temperaturregelung genutzt wird. Mit Kräutern und Gräsern auf dem Dach, um die oberste Geschossdecke zu kühlen. Und mit einer Photovoltaikanlage auf dem benachbarten Werkstattgebäude, die jährlich bis zu 150.000 kWh Strom produziert.



Investor: Stadt Wien
Was wurde umgesetzt: Wien Kanal nutzt das Abwasser in der Großmarktstraße 5 zum Heizen und Kühlen des Gebäudes – in Österreichs erster Anlage zur Energierückgewinnung in einem Abwassernetz.
Besonderheit: Das Abwasser im 2.500 Kilometer langen Kanalnetz ­Wiens hat im Jahresschnitt eine Temperatur von 16 Grad Celsius. Auch im Winter wird ein Wert von 11 Grad nicht unterschritten.

Steiermark: Nahwärme für St. Ruprecht an der Raab

Der Solarthermie-Spezialist Gasokol hat das bio-solare Nahwärmenetz St. Ruprecht an der Raab mit 1.587 Quadratmeter Sonnenkollektoren aus der eigenen Produktion erweitert. Die thermische Solaranlage ist so ausgelegt, dass die Wärme in den Sommermonaten zu 100 Prozent ohne Betrieb der Biomassekessel zur Verfügung gestellt werden kann. Möglich macht das die Solaranlage mit den beiden Pufferspeichern sowie eine ausgeklügelte Regelung der Anlage. Bei dem nachträglichen Monitoring konnte ein Mehrertrag von 45 Prozent gegenüber der Prognose erzielt werden. Im Jahr 2020 wurden durch die thermische Solaranlage insgesamt 876.000 kWh in das Netz eingespeist. Das Nahwärmenetz St. Ruprecht beliefert rund 100 Kunden, darunter Gemeindeamt, Schulen, Feuerwehr sowie mehrere Wohnhäuser, Hotels und Gasthäuser. Diese Erweiterung des Nahwärme-Angebots wurde 2021 mit dem Österreichischen Solarpreis ausgezeichnet.



Betreibergesellschaft: nah Wärme St. Ruprecht GmbH
Was wurde umgesetzt: Ergänzung des Biomasse-Heizkraftwerks mit Sonnenkollektoren und Pufferspeicher.
Details: Netzrücklauftemperaturen von 42 °C im Sommer (Mai bis September) und 46 °C im Winter (Oktober bis April) unterstützen die optimale Nutzung der Solaranlage.

Oberösterreich: Fernwärme für SSI Schäfer Shop

Das Betriebsgebäude des Büroartikel-Großhändlers SSI Schäfer Shop wurde an das Welser Fernwärmenetz der eww angeschlossen. Zuvor wurden das zweigeschossige Bürogebäude sowie die beiden Lagerbereiche von drei ölbefeuerten Heizkesseln beheizt, der Verbrauch betrug pro Jahr rund 48.000 Liter Heizöl. Im September wurden die Heizkessel durch eine Fernwärmestation und einen Wärmetauscher ersetzt, außerdem wurden die Pumpen und Ventile erneuert und eine neue Mess-, Steuer- und Regeltechnik aufgebaut. Die Finanzierungskosten für den Fernwärmeanschluss amortisieren sich nach wenigen Jahren, wobei Einsparungen durch die weiteren Optimierungen – wie etwa die Heizungsregelung – noch gar nicht berücksichtigt wurden. Die Welser Fernwärme kommt im Normalbetrieb vollständig aus erneuerbaren Quellen, daher reduziert SSI Schäfer Shop durch den Ausstieg aus fossilen Energieträgern den CO2-Ausstoß um zirka 83 Prozent oder 124 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr.



Technologiepartner: eww ag und eww Anlagentechnik GmbH
Größe: Ersatz von drei Öl Heizkesseln durch einen Fernwärme-Anschluss, die voraussichtliche Nutzenergie mit Fernwärme beträgt mehr als 400.000 kWh.
Effekte: Reduktion des CO2-Ausstoßes um gut 83 % respektive 124 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. 

Steiermark: Solare Prozesswärme für die Industrie

Mit solarer Prozesswärme und -kälte können Betriebe aus der Lebensmittel-, Chemie- und Textilindustrie sowie zahlreichen weiteren Branchen heißes und kaltes Wasser mit erneuerbarer Solarwärme produzieren, fossile CO2-Emissionen eliminieren und dabei ein hohes Potenzial an Energieeinsparung realisieren. Über ein Monitoringsystem kann entschieden werden, wann und wo Wärme oder Kälte gerade gebraucht werden. Für das renommierte Grazer Unternehmen AVL List hat SOLID Solar Energy Systems die bis dato größte solarthermische Prozesswärme- und kälteanlage in Europa realisiert. Die Anlage besteht aus einer solarthermisch gespeisten Prozesswärmeanlage in Kombination mit einer Absorptionskältemaschine und einem hocheffizienten Rückkühlsystem. Der Solarpufferspeicher kann auch vom konventionellen Versorgungssystem als Lastmanagement genutzt werden.



Technologiepartner: SOLID Solar Energy Systems
Was wurde umgesetzt: 3.463 m² solarthermische Kollektorfläche mit einer Leistung von 2,4 MW, einer Kühlkapazität von 650 kW und einem Solarpufferspeichervolumen von 70 m³.
Effekte: Einsparungen von 320 Tonnen CO2 pro Jahr.

Bayern: Konzept für klimaneutrales Gewerbegebiet

Als Wegbereiter für eine klimaneutrale Immobilienwirtschaft hat Ampeers Energy gemeinsam mit Green H2, einer Tochterfirma der GreenRock Firmengruppe, im ersten Halbjahr 2022 ein bedarfsgerechtes Energiekonzept eines Gewerbegebiets in Bayern entwickelt. Dabei wurden anhand von Simulationsanalysen die optimale Wärmeversorgung ermittelt sowie Nutzungsszenarien für lokal produzierte Stromüberschüsse aufgezeigt – um dabei auch die Potenziale von Wasserstoff zu bewerten. Gebäude nach Effizienzhaus-Stufe 40 EE, großflächige Aufdach-Photovoltaikanlagen, eine smarte Nutzung und Kombination von Energiequellen und -senken: Jedes Gebäude verfügt über eine eigene Luftwärmepumpe und ist wärmeseitig nicht mit den anderen Gebäuden verbunden. Damit lassen sich einzelne Liegenschaften zeitlich versetzt besser vermarkten. Die PV-Anlagen werden im Jahr über sieben GWh Strom erzeugen. Die Mieter*innen profitieren vom günstigen Preis des lokal erzeugten grünen Stroms. Für Wasserstoff gibt es im Gewerbequartier mehrere Nutzungsmöglichkeiten: eine stationäre Brennstoffzelle zur Rückverstromung im Winter und Nutzung der Abwärme, zum anderen die direkte Nutzung zur Wärmegewinnung über Wasserstoff-Dunkelstrahler oder für Mobilitätsanwendungen.



Technologiepartner: Ampeers Energy, Green H2
Was wurde umgesetzt: Erstellung und Simulation eines Energiekonzepts sowie mögliche nachgelagerte Services in der Betriebsführung und Abrechnung des lokal erzeugten Stroms.
Effizienz: Laut Simulationen steigt der Eigenverbrauch von 38 auf 47 Prozent, wenn an der größten PV-Anlage im Quartier ein Elektrolyseur angeschlossen wird. 

Oberösterreich: Null-Emissions-Fabrik

Die Firma Trotec, ein international führender Entwickler und Hersteller von Lasermaschinen mit weltweit 60 Standorten, hat breits 2013 in Marchtrenk in Oberösterreich eine Null-Emissions-Fabrik errichtet. Die 5.200 m² Nutzfläche mit Büro, Produktion und Lager werden von einer Solaranlage und einer Wärmepumpe beheizt, die Wärmeverteilung erfolgt über Bauteilaktivierung im Fundament. Die 140 kW starke Solaranlage mit 200 m² Kollektorfläche deckt 40 Prozent des Energiebedarfs für Warmwasser und Heizung im Firmengebäude. Ein 5.000 m³ großer Erdspeicher und ein 270 m³ fassender Löschtank dienen als Wärmespeicher. Im Sommer wird das Gebäude über Grundwasser gekühlt. Die Errichtungskosten des Gebäudes, das mit dem Green Building-Zertifikat ausgezeichnet wurde, lagen nur geringfügig über denen eines konventionellen Gebäudes. 



Investor: Trotec Laser GmbH 
Was wurde umgesetzt: Null-Emissions-Fabrik mit Solaranlage und Wärmepumpe.
Effekte: Einsparungen von 80.000 kWh und 20 Tonnen CO2 pro Jahr.

Wien: Heizen und Kühlen im Logistikzentrum

Das Unternehmen IKEA Österreich, ein Tochterunternehmen des schwedischen Einrichtungshauses, installierte im Zuge der Errichtung eines Logistikzentrums im Norden Wiens im Jahr 2019 eine große Solaranlage am Dach. Die Wärme der 172 Solar-Luft-Kollektoren mit insgesamt 73 km Rohrlänge wird in einen 1,5 Millionen Liter Wasser fassenden Eisspeicher geleitet. Der Eisspeicher ist der bisher größte in Europa und dient als Wärmequelle für die 1 MW starke Wärmepumpe, die das 50.000 m² große Logistikzentrum heizt und kühlt. Das Prinzip: Erstarren 126 Liter Wasser zu Eis, wird eine Energiemenge frei, die einem Liter Heizöl entspricht. Im Gegensatz zu Öl kann der Vorgang der Energiegewinnung beliebig oft wiederholt werden. Der Eisspeicher dient auch der Kühlung des Gebäudes im Sommer, was die Arbeitsbedingungen für die Lagerarbeiter*innen deutlich verbessert.



Investor: IKEA Österreich 
Was wurde umgesetzt: Solare Heizung in Kombination mit Eisspeicher und Wärmepumpe.
Effekte: Einsparungen von 100.000 m³ Erdgas und 200 Tonnen CO2 pro Jahr.

(Bilder (in dieser Reihenfolge): PID/Votava, Matzer, SSI Schäfer Shop, Christian Holter, GreenRock, trotec, Martin Pechal)

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