Donnerstag, April 25, 2024
»Gerade für den Anfang sind eigene Erzeugungsanlagen in Österreich wesentlich«
Michaela Leonhardt: »Mittel- und langfristig wird man auf Importe zugreifen müssen.« (Fotos: Wien Energie/Michael Horak)

Zunächst in der Mobilität, in einem weiteren Schritt in der Industrie: Der Einsatz von Wasserstoff soll die Energiewende auch abseits des Strombereichs massiv vorantreiben. Michaela Leonhardt, neue Leiterin des Teams Wasserstoff bei Wien Energie, spricht über den beginnenden Bau einer Infrastruktur für Erzeugung und Anwendungen und über Erwartungen an einen sauberen Energieträger.

Report: Warum ist für Sie das Thema Wasserstoff wichtig für die Energiewende in Österreich?

Michaela Leonhardt: Bei der Energiewende wird sehr viel über den Stromsektor gesprochen. Nun ist die Stromerzeugung in Österreich bereits zu 75 % erneuerbar, die Sektoren Wärme und Verkehr sind dies noch bei weitem nicht. In der Mobilität sind es aktuell nur 10 %. Wenn wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft dekarbonisieren wollen und auch Wien bis zum Jahr 2040 klimaneutral sein soll, müssen wir auch über den Mobilitätssektor sprechen. Hier kann Wasserstoff als alternative Technologie den Markt verändern.

Report: In welchen Bereichen ist Wien Energie dazu aktiv? Was sind Ihre Ziele als Teamleiterin für den Bereich Wasserstoff?

Leonhardt:
Wir haben bei Wien Energie und bei den Wiener Stadtwerke das große Ziel, Wasserstoffpartner Nummer eins in Wien und im Osten Österreichs zu werden. Im Dezember haben wir die erste Wasserstofftankstelle für Busse und Lkws im Wiener Raum in Betrieb genommen. Um die Region künftig mit grünem Wasserstoff beliefern zu können, bauen wir unsere erste Elektrolyseanlage. Sie ist derzeit in der Planung und Ausschreibung und wird mit einer Leistung von 2,5 MW ab Mitte 2023 Wasserstoff »made in Vienna« aus erneuerbaren Quellen erzeugen. Der Baustart ist in der zweiten Jahreshälfte 2022 geplant. Doch die Elektrolyse ist gleichzeitig nur eines von mehreren Verfahren, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Daher ist uns auch die Forschung an unterschiedlichen Produktions- und Einsatzmöglichkeiten sehr wichtig.

Report: 2,5 MW sind als Pilot ein zarter Anfang. Welchen Bedarf für Wasserstoff sehen Sie denn generell für Wien?

Leonhardt: Das wird von den künftigen Einsatzbereichen abhängen. Wenn man von grünem Wasserstoff als Schlüssel zu Klimaschutz und Klimaneutralität ausgeht, wird dieser vor allem in den Bereichen Industrie und Mobilität eine starke Rolle spielen. Wir haben im Osten Österreichs eher weniger Großindustrie, aber natürlich einen Riesenbedarf für Anwendungen auf der Straße. Dort wird man sich auf den Schwerverkehr konzentrieren: Busse und Lkws.

In einer Studie von Compass Lexecon im Auftrag von Wien Energie wird der Endenergiebedarf in Wien für Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe bis 2040 auf etwa 0,8 TWh geschätzt. Man muss trotzdem betonen, dass derzeit nur grobe Prognosen möglich sind. Wenn ich mit Vertreter*innen der Logistikbranche spreche, sehe ich, dass diese bereits 2030 vollständig umgestellt sein könnten – wenn die Infrastruktur sowie Brennstofffahrzeuge schnell genug verfügbar wären. Es hängt also auch stark von den Rahmenbedingungen ab.

Report: Rückblickend hat es in der Elektromobilität Jahrzehnte gedauert, bis der Ausbau der Infrastruktur und das Angebot der Autohersteller jenes Momentum erreicht haben, das wir heute sehen. Welche Erwartungen haben Sie hier bei Wasserstoff?

Leonhardt: Das Henne-Ei-Problem ist hier gleich und auch für eine Wasserstoff-Infrastruktur können wir als Wien Energie und Wiener Stadtwerke hier in Vorleistung gehen. Die im Dezember eröffnete Wasserstoff-Tankstelle ist für uns ein erster Meilenstein dazu. Wir haben damit im Konzern künftig mit Wien Energie die Erzeugung, mit den Wiener Netzen einen erfahrenen Partner, der die Infrastruktur baut, Wasserstoff speichert und verteilt, und mit den Wiener Linien auch den ersten Nutzer. Ein Teil der Flotte soll in einem Dekarbonisierungsprogramm auf Wasserstoff umgestellt werden und es gibt bereits erfolgreiche Tests von Wasserstoffbussen. Ein erstes Modell kann nun auch im Fahrbetrieb an der Tankstelle betankt werden, ein zweites soll im kommenden Jahr folgen – wir sehen also auch hier einer Kurve nach oben entgegen.

Report: Welche Chancen sehen Sie zusammengefasst bei der Nutzung von Wasserstoff im Verkehr und in der Industrie? Wo werden wir Anwendungsbereiche sehen?

Leonhardt: Wir glauben, und das sagen auch viele Studien, dass sich im Bereich Pkws und leichte Nutzfahrzeuge die reine Elektromobilität durchsetzen wird. Das ist im Moment einfach die beste und effizienteste Lösung. Doch je schwerer die Fahrzeuge, je länger die Strecken und schwieriger das Terrain, desto mehr eignet sich Wasserstoff als Energieträger. Batterien würden ansonsten viel zu groß und schwer werden, die Ladezeiten können mit Tanken von Wasserstoff nicht mithalten.

Im Bereich Industrie stehen oft Stahlindustrie, chemische Industrie oder Raffinerien im Fokus – im Raum Wien sind für Wien Energie die künftigen Abnehmer aber vor allem unsere KWK-Anlagen (Anm. Kraft-Wärme-Kopplung). Auch wenn der Anteil der KWK an der Strom- und Wärmeerzeugung insgesamt zurückgehen wird, werden wir ihre stabilisierende Funktion in den Netzen weiterhin dringend benötigen. Wenn nun die Strom- und Wärmeversorgung aus diesen Kraftwerken ebenfalls dekarbonisiert werden soll, könnte dem Erdgas grüner Wasserstoff beigemischt werden.

Das wollen wir auch mit dem weltweit ersten Praxistest an einer »heavy duty gas turbine« im Kraftwerk Donaustadt erforschen. Nach der Umrüstung der Turbine im nächsten Jahr soll die Beimischung von Wasserstoff 2023 erfolgen. Von diesem Praxistest erwarten wir uns gemeinsam mit unseren Projektpartnern RheinEnergie, Siemens Energy und Verbund Erkenntnisse und Daten zur Effizienz und den Emissionen der Wasserstoffmitverbrennung.

Report: Wo wird der Wasserstoff herkommen? Es heißt, dass für die Abdeckung des Bedarfs in Europa weiterhin auch ein Import aus Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien notwendig sein wird.

Leonhardt: Mittel- und langfristig wird man auch in Österreich auf Importe zugreifen müssen. Ich bin aber überzeugt, dass gerade für den Anfang, die ersten Schritte und den Durchbruch eigene Erzeugungsanlagen in Österreich wesentlich sind. Die Transportwege sind noch nicht da und der Aufbau einer europaweiten Wasserstoffinfrastruktur wird noch einige Zeit dauern – denn einfach nur Wasserstoff durch die bestehenden Leitungen zu führen, wird nicht möglich sein. Hier sind noch viel Forschung und Arbeit notwendig. Auch die Wiener Netze prüfen ihre Leitungen auf Wasserstofftauglichkeit. Eine Herausforderung sind etwa die Verunreinigungen in den Rohren, die beim Erdgas nicht stören, aber Brennstoffzellen-Fahrzeuge schädigen würden. Gerade Mobilitätsanwendungen benötigen sehr reinen Wasserstoff mit extrem hoher Qualität. Man spricht dort von Wasserstoff 5.0, was eine Reinheit von 99,999 % bedeutet. Einige Industrieanwendungen wiederum benötigen eine Reinheit von nur 3.7, also 99,97 %. Das spiegelt sich auch beim Wasserstofftransport, bei  Verfahren und Materialien wider.

Report: Haben wir die richtigen Rahmenbedingungen für die Wasserstoffwende in Österreich?

Leonhardt: Worüber ich mich immer freue, sind die positiven Signale, die die Branche von der Politik erhält. Es gibt ambitionierte Ziele und man hat nicht nur einmal gehört, dass Österreich zu einem Wasserstoff-Vorreiter werden soll. Das braucht auch die passenden Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene, die dann auf nationales Recht heruntergebrochen werden müssen. Die Branche fordert hier noch viel Klarheit, beginnend bei Diskussionen der Farblehre – ob wir von grünem, klimaneutralem Wasserstoff sprechen oder auch andere Farben zulässig werden. Für uns ist absolut klar, dass wir zu 100 % auf grünen Wasserstoff setzen. Aber man wird auch Förderungen brauchen – das war auch bei anderen Technologien nicht anders.

Report: Welche Bereiche sehen Sie hier mit Föderbedarf?

Leonhardt: Um den Durchbruch so rasch wie möglich zu schaffen, benötigt es Förderungen in allen Bereichen der Infrastruktur – bei der Erzeugung angefangen über die Verteilung bis zur Tankinfrastruktur für die Mobilität, aber auch die Nutzerseite. Der Wille bei den Nutzer*innen ist bereits da, aber man wird auch die Wirtschaftlichkeit eines Fahrzeugankaufs mit entsprechenden Maßnahmen unterstützen müssen. Wasserstoffbetriebene Lkws und Busse kosten heute noch das Dreifache bis Vierfache im Vergleich zu Dieselfahrzeugen. Viele Hersteller sind auch noch nicht in Serienproduktion – ein weiteres Henne-Ei-Problem. Je größer der Markt, desto leichter werden sich die Hersteller tun, und desto eher werden sich die Fahrzeugpreise senken. Das kann ab einem bestimmten Punkt dann sehr schnell gehen, wie man gerade in der Elektromobilität sieht oder wir es bereits im Photovoltaik-Markt hatten.

Report: Was sind die nächsten Schritte in der Wasserstoff-Roadmap? Was kommt nach der ersten Elektrolyseanlage?

Leonhardt: Bereits fix ist der Bau einer zweiten Wasserstofftankstelle in Simmering. Wir werden auch weitere Anlagen wie einen Elektrolyseur bauen, allerdings brauchen wir dafür auch die Kund*innen. Wir sind mit einigen Unternehmen dazu bereits in Gesprächen. Unser Ziel ist, unsere wachsende Infra­struktur stets so auszulasten, damit wir in Vorleistung für den weiteren Ausbau gehen können.

Report: Begleitet Sie das Thema Wasserstoff schon sehr lange?

Leonhardt: Nun, das Thema hat sich erst in den letzten Jahren etabliert, aber ich war in meiner Karriere immer an Punkten, wo es um erneuerbare Energie und Technologien dazu geht. Damit war dann auch der Schritt zu Wien Energie als Teamleiterin Wasserstoff der richtige und er fühlt sich für mich ganz natürlich an (lacht).


Zur Person
Michaela Leonhardt ist seit Juli 2021 Leiterin des Teams Wasserstoff bei Wien ­Energie. Davor war die promovierte Mathematikerin beim Übertragungsnetzbetreiber ­Austrian Power Grid AG im Bereich Stromversorgungssicherheit und erneuerbare Energie tätig und hat Projekte mit dem Schwerpunkt auf Stabilität des Stromsystems und Integration von erneuerbaren Energieträgern verantwortet. Sie ist Mitglied des Vorstandes im OVE Österreichischen Verband für Elektrotechnik und Vorsitzende der »OVE Fem«-Plattform für Fachexpertinnen und weibliche Führungskräfte in der Technik und Energiewirtschaft.


Die Wasserstoff-Strategien Österreichs und der EU

Bundesregierung:
Bis 2030 sollen laut Regierungsabkommen 5 TWh grünes Gas (unter anderem Wasserstoff) in das Gasnetz eingespeist werden.
Dazu soll eine heimische Wasserstoffwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufgebaut werden – mit 1 bis 2 GW installierter Elektrolyseleistung in den nächsten Jahren. Bis 2025 sollen mindestens 200 MW errichtet sein.

EU:
In der EU-Wasserstoffstrategie ist das Ziel verankert, bis 2024 eine Million Tonnen erneuerbaren Wasserstoff mit 6 GW Elektrolyseleistung zu produzieren. Bis 2030 soll erneuerbarer Wasserstoff fester Bestandteil des Energiesystems sein. Dann sollen 10 Mio. Tonnen erneuerbarer Wasserstoff (40 GW installierte Elektrolyseleistung) produziert werden.


Tankstelle und Strategie



Im Dezember hat Wien Energie ihre erste Wasserstoff-Tankstelle für Busse und Lkws in Betrieb genommen. Die von den Wiener Netzen errichtete Tankstelle steht auf dem Gelände der Betriebsgarage der Wiener Linien im Bezirk Floridsdorf. Die Wiener Linien sind mit einem Wasserstoff-Bus bereits zu internen Testzwecken und ab 10. Jänner 2022 im Fahrgast-Testbetrieb unterwegs. Getankt werden kann in zwei Druckstufen, 350 und 700 bar. Bis 2024 sollen insgesamt zehn Brennstoffzellen-Fahrzeuge auf der Linie 39A zum Einsatz kommen. Sowohl Tankstelle als auch Bus sind Teil der Wasserstoff-Strategie der Wiener Stadtwerke, Wien bis 2030 zur zentralen Wasserstoff-Drehscheibe im Osten Österreichs zu gestalten.


Wasserstoff-Farbenlehre

Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen CO2 bei der Entstehung jedoch abgeschieden und gespeichert wird (»Carbon Capture and Storage«).

Brauner Wasserstoff entsteht aus der Vergasung von Kohle.

Gelber Wasserstoff wird mit dem allgemeinen Strommix gewonnen.

Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. In der Regel wird bei der Herstellung Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt (Dampfreformierung).

Grüner Wasserstoff wird durch Wasser-Elektrolyse mittels Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt.

Roter, rosa oder auch violetter Wasserstoff wird aus Atomstrom-Elektrolyse gewonnen.

Oranger Wasserstoff entsteht durch Verfahren aus organischen Stoffen wie Biomasse, Biogas und Biomethan.

Schwarzer Wasserstoff wird mit Steinkohle gewonnen.

Türkiser Wasserstoff wird über die thermische Spaltung von Methan (Methanpyrolyse) hergestellt. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff.

Weißer Wasserstoff ist Wasserstoff der natürlich vorkommt sowie Wasserstoff, der bei bestimmten Prozessen in Chemieanlagen als Nebenprodukt anfällt.

Quelle: Informationsportal SOLARIFY, www.solarify.eu

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