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Innovatoren in Aktion

Software für 17.000 Arbeitsplätze, virtuelle Werksabnahmen und die Erweiterung von Produktpaletten: Wie Technologiedienstleister zu Sparringpartnern für Effizienz, neue Services und Geschäftsmodelle werden.

Tatsächlich hat es im vergangenen Jahr Digitalisierungsprojekte gegeben, deren Auslöser auf ­»C-Level« nicht »Covid« war. Zum Beispiel im Zuge eines Tauschgeschäfts der deutschen Energieriesen RWE und Eon: RWE übernahm Erzeugungskapazitäten von Eon und Innogy, zugleich wanderten Netz- und Vertriebsbereiche von Innogy an Eon. Und RWE setzte gleich eine neue Office-Infrastruktur darauf.

Eine moderne Arbeitsplatzumgebung heißt: Software für die Office-Automation, für die Zusammenarbeit quer über Teams und Standorte hinweg und eine resiliente Cloud-Infrastruktur. Partner bei dem ambitionierten Projekt für 17.000 Arbeitsplätze ist Avanade, ein IT-Dienstleister und »Innovator« im Ökosystem von Microsoft.

Bild oben: Norbert Zehetner, Siemens: »Eine virtuelle ­Session mit dem Kunden hilft, ein gemeinsames Verständnis herzustellen.«

 

Avanade arbeitet eng mit seiner Muttergesellschaft Accenture zusammen, um die Office-Umgebungen – PCs, Laptops sowie das Active Directory, der Windows-Verzeichnisdienst zur Systemverwaltung – in die Microsoft-Cloud Azure zu überführen. Den Beginn haben die Standorte Deutschland, UK und Niederlande gemacht, USA und Australien folgen. Vorausgegangen war eine Analyse des IT-Betriebsmodells durch ein Advisory-Team von Avanade.

Edward Bouwmans, Head of Infrastructure RWE, sagt beim Start des gemeinsamen Projekts: »Wir benötigen ein neues Betriebskonzept für die IT. Wir brauchen außerdem eine zeitgemäße, cloud-basierte Architektur, um unser künftiges Wachstum in einem hochgradig durch Wettbewerb gekennzeichneten Markt bestreiten zu können. Schnell sein und schnell handeln können, sind dabei unabdingbar. Voraussetzung dafür ist eine flexible Umgebung, wie wir sie jetzt dank dem Wechsel der Arbeitsplätze in die Cloud geschaffen haben.«

Bild oben: Simon El Dib, Capgemini Invent: »Die großen Skaleneffekte entstehen oft erst in der ­Zusammenarbeit mit Dritten.«

 

Avanade hatte davor bereits Fusionen und Übernahmen erfolgreich begleitet – ein entscheidender Faktor bei der Auswahl durch RWE, das bereits die Dienste von Avanade bei der Integration von Microsoft-Plattformen genutzt hatte. Bei der neuen Umstellung wurden konkret »Active Directory 2016« und Office 365 mit Exchange 2016 als Hybrid-Lösung – ein Mix aus Vor-Ort-IT»on premises« und Cloud-Infrastruktur – zum Einsatz gebracht.

Darüber hinaus wird SharePoint 2016 ebenfalls als hybride Variante verwendet und die User erhalten Zugriff auf den Speicher OneDrive sowie die Office-Suite Pro Plus 2016. Auch Lösungen zur sicheren Einbindung von privaten Geräten von Mitarbeiter*innen sind Bestandteil des Projekts, ebenso wie eine Verschlüsselungslösung für alle 7.000 Laptops. Zudem wurden im Zuge der Arbeiten rund 20.000 Installationen von Windows 10 durchgeführt. Last, but not least: Ein Gerätemanager lässt die IT-Abteilung von RWE die Clients zentral einfach verwalten.

Originell virtuell

Auch bei Siemens haben Digitalisierungsthemen bereits in den Jahren vor Corona einen hohen Stellenwert eingenommen. Das trifft auch auf die Konzerneinheit in Österreich zu, die sich unter anderem mit Energieautomatisierung beschäftigt und Schaltschränke und Leittechnik für industrielle Anwendungen weltweit liefert. Speziell mit dem Thema »Digital Services« setzt man sich intensiv auseinander. Am Beginn vor rund zwei Jahren stand die Entwicklung von Angeboten für »Assisted Reality«: Kund*innen aus dem Bereich Stromnetze wurden Datenbrillen zur Verfügung gestellt, über die im Störungsfall Siemens-Techniker*innen gemeinsam mit Kundenmitarbeiter*innen Fehler orten und beheben konnten. »Dabei reicht es aber nicht, eine einfache Video-Session zu eröffnen.

Wir hatten es hier mit besonderen Anforderungen zu tun, wie zum Beispiel Auflösung, Security, Abhörsicherheit, Handsfree, Einblenden von Dokumenten oder Videos, Pointer-Darstellungen in der Datenbrille, Sprachsteuerung, Ausfiltern von Umgebungsgeräuschen, Fotodokumentation und noch vieles mehr«, erinnert sich Norbert Zehetner, Leiter der Digital-Grid-Einheit Energieautomatisierung von Siemens Smart Infrastructure.

Die Vorgehensweise, den Kunden virtuell einzubinden, hat sich auch im Bereich Schaltschränke für Schutz- und Leittechnikanlagen bewährt. »So eine fokussierte virtuelle Session mit dem Kunden hilft dabei, ein gemeinsames Verständnis herzustellen und Missverständnisse von Beginn an auszuschalten. So können Dinge frühzeitig geklärt werden, die sonst oft erst bei der Werksabnahme zum Vorschein kommen würden. Dadurch entfallen auch nicht geplante Mehraufwände durch nachträglich notwendige Änderungen«, erläutert Zehetner.

In weiterer Folge machte sich das Siemens-Team an die Weiterentwicklung und Erweiterung des Angebots in Richtung virtuelle Werksabnahme. Dabei wird die gesamte Leittechnikanlage im Prüfraum auf dem Gelände der Siemens City in Wien aufgebaut, wie bei einer Vorort-Abnahme auch. Tests, Prüfungen und Dokumentationen vor der Freigabe der Lieferung durch den Kunden finden aber zum Teil virtuell statt. Bei der Abnahme gibt es nicht nur eine Videoquelle, die Datenbrille, die dem Kunden zur Ansicht gebracht werden muss, sondern bis zu neun verschiedene. Außerdem müssen zusätzliche Kameras, die Geräte abfilmen sowie Monitorbilder von Rechnersystemen eingebunden werden.

Zur ersten Pilotanwendung kam es im Zuge eines Refurbishment-Projekts mit der APG. Für einen Abzweig einer Höchstspannungsschaltanlage wurde ein virtueller »Factory Acceptance«-Test mit dem Aufbau der notwendigen Technologien in der Siemens City und der Remote-Einbindung des Kunden zu Testzwecken unter realen Bedingungen durchgeführt. Fazit der Projektpartner: Persönliche Treffen wird es immer wieder geben, das gehört zu einer Kundenbeziehung einfach dazu. Aber es ist gut, auch brauchbare virtuelle Alternativen zu schaffen und weiterzuentwickeln – auch wenn diese aktuell noch aufwendig sind.

Abkehr von alten Modellen

Nicht nur bei bestehenden Technologieprozessen ist Digitalisierung das Zauberwort für Optimierungen und neues Geschäft. Simon El Dib unterstützt als Leiter der Strategie- und Managementberatung bei Capgemini Österreich (Capgemini Invent) beim Finden und Umsetzen von datenbasierten Geschäftsmöglichkeiten. Dass dies nicht immer leicht ist, bestätigen seine Erfahrungen in den verschiedensten Kundensegmenten.

»Big Data hat als Begriff die Branche die letzten zehn bis 15 Jahre stark geprägt. Trotzdem ist die wohl größte Herausforderung für Unternehmen, ihre Daten zu verstehen, einzuordnen und sinnvoll zu nutzen«, sagt der Experte. El Dib hilft mit seinem Team Kunden im öffentlichen Bereich, in der Finanzwirtschaft oder in der Industrie, neue Geschäftsmodelle umzusetzen. Die »Use cases« sind mannigfaltig. Doch sind die Unternehmen auch in der Lage, diese umzusetzen? Seine Antwort: oftmals nein. »Meist muss erst einmal eine technische und organisatorische Basis geschaffen werden.«

Als zentrale Stoßrichtung sieht der Berater die Abkehr von fixen Produktpreisen hin zu »consumerbased pricing«. In diesen Modellen werden die Nutzer*innen und ihr individuelles Verhalten in den Vordergrund gerückt und der Preis entsprechend gepasst, wie etwa der Vorreiter Amazon zeigt. Auch für den B2B-Markt erwartet Simon El Dib einen Paradigmenwechsel: »Man hinterfragt bereits im Manufacturing-Bereich die Art und Weise, wie Services erbracht und verrechnet werden – und ob man dem Kunden nicht alternative Angebote macht, die besser auf das Unternehmen und die jeweilige Situation eingehen.«

Capgemini hat im deutschsprachigen Raum einige neue Geschäftsmodelle für die Finanzwirtschaft, für Banken und Versicherungen umgesetzt. Mit dem Begriff »beyond banking« werden von Finanzdienstleistern nun Leistungen vertrieben, die eigentlich nicht zu ihrem traditionellen Kerngeschäft zählen. »Die Firmen haben eine riesengroße Kundenbasis, der weit mehr als Bankenprodukte angeboten werden kann. Die Unternehmen bauen einen digitalen Marktplatz auf und kooperieren mit industrienahen und auch industriefernen Partnern – für Produktbündel, die für die Kund*innen interessant sind«, sagt El Dib.

Auch in der erzeugenden Industrie und in der Energiewirtschaft bemühen sich immer mehr Unternehmen, auf neue, skalierbare Geschäftsmodelle umzusteigen. Es ist vielerorts ein Spagat – mit über viele Jahre aufgebaute Technologien im Kern, die nun für flexiblere Systeme geöffnet werden.

Auch Telekommunikationsunternehmen sortieren sich neu und bieten am Consumermarkt Produkte abseits von Telefonie und Internet. Als derzeit größte Erfolgsgeschichte in Europa sieht der Capgemini-Manager die Orange Bank in Frankreich. Mit Hilfe von Capgemini wurde eine digitale Bank aufgebaut, die Telco-Kund*innen heute eine breite Palette innovativer Produkte bietet.

Es gibt auch in der Industrie und in der Energiewirtschaft viele Ideen, die Capgemini gemeinsam mit den Kund*innen auf Machbarkeit und Umsetzung prüft. Für El Dib ist der Knackpunkt für den Erfolg allerdings nur selten die eingesetzte Technologie. »Am Ende des Tages muss ich mir überlegen, ob meine Organisation überhaupt fähig ist, die notwendigen Veränderungen zu unterstützen und zu leisten. Auch eine brandneue, millionenteure Infrastruktur ist nur so viel wert, wie sie tatsächlich genutzt wird.« Er empfiehlt genau zu prüfen, was von Unternehmen selbst geleistet werden sollte und welche Bereiche vielleicht auch bei Projektpartnern gut aufgehoben sind – bis hin zu engeren Kooperationen über Joint-Ventures. »Auch im Bereich der Digitalisierung ist es nur bedingt sinnvoll, alles allein zu machen. Die großen Skaleneffekte entstehen oft erst in der Zusammenarbeit mit Dritten.«

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