Ein Leuchtturmprojekt nimmt Gestalt an: In Linz bauen voestalpine, Verbund und Siemens an der weltgrößten Elektrolyseanlage, in der aus überschüssigem Strom Wasserstoff erzeugt wird.
Wachsende Energieerzeugung aus Erneuerbaren, Reduktion von klimaschädlichen Gasen und eine nachhaltig agierende Industrie: Neben Elektrizität könnte auch Wasserstoff zu einem wesentlichen Hebel für die Energiewende werden. Wird Wasserstoff aus überschüssigem Strom erzeugt – etwa bei Windparks, die wetterbedingt an manchen Tagen weitaus mehr Strom erzeugen, als gerade im Netz benötigt wird – spricht man von CO2-freiem, »grünen« Wasserstoff.
Der Einsatzbereich umweltfreundlicher Anwendungen für den Energieträger ist groß, etwa als Prozessgas in der Industrie oder als Treibstoff für Brennstoffzellen. Weiters lässt sich grüner Wasserstoff auch zu wertvollen Rohstoffen weiterveredeln, beispielsweise zu Ammoniak für die Düngemittelproduktion oder zu Methanol als Basis-Chemikalie und Treibstoff (siehe Kasten). Bei niedrigem Strompreis lohnt sich sogar eine Speicherung und nachfolgende Rückverstromung über Gas- und Dampfkraftwerke. Damit würde Wasserstoff die große Lücke füllen, die ein tatsächlich ökonomisch und ökologisch effizientes Energiesystem ausbremst. Die Speicherung überschüssiger Energie aus den volatilen Erzeugungsformen Wind- und Solarkraft gilt derzeit noch als »Missing Link«.
Minimale Emissionen
Um den Einsatzbereich Schwerindustrie geht es bei dem Projekt »H2Future« in Linz. Auf dem Werksgelände der voestalpine entsteht die derzeit größte und modernste Elektrolyseanlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Das Projektvolumen beläuft sich auf rund 18 Millionen Euro für sechs Konsortiumspartner – voestalpine, Siemens, Verbund und Austrian Power Grid sowie die wissenschaftlichen Partner K1-MET und ECN – über eine Laufzeit von viereinhalb Jahren. Rund zwölf Millionen Euro davon stammen aus Fördermitteln der Europäischen Kommission, konkret dem »Joint Undertaking für Fuel Cells & Hydrogen (FCH JU)«.
Nach dem Projektstart zu Beginn 2017 schreitet der Bau der Pilotanlage inzwischen zügig voran. Das Fundament steht und die Errichtung der Hallenkonstruktion läuft. In den Sommermonaten werden die Kernkomponenten zur Elektrolyse geliefert und noch binnen Jahresfrist soll die Inbetriebnahme beginnen. Der Start des umfangreichen zweijährigen Versuchsprogramms ist für Frühjahr 2019 geplant.
Bild oben: Mit sechs Megawatt Anschlussleistung ist der Elektrolyseur von Siemens die wirkungsvollste und modernste Anlage ihrer Art. Der Vollbetrieb der Anlage ist für Frühjahr 2019 geplant.
»Mit der Errichtung der neuen Pilotanlage für die Herstellung von CO2-freiem Wasserstoff setzen wir einen weiteren Schritt in Richtung langfristiger Realisierung einer Technologietransformation in der Stahlindustrie. Das Ziel dabei ist es, echte ›Breakthrough-Technologien‹ zu erforschen, die in etwa zwei Jahrzehnten im großtechnischen Stil anwendbar sein könnten«, sagt Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG. Die Zukunftsvision des Technologie- und Industriegüterkonzerns sieht vor, von Kohle beziehungsweise Koks über Brückentechnologien mit Erdgas (zum Beispiel heute schon in der Direktreduktionsanlage in Texas) letztlich zur möglichst umfassenden Anwendung von grünem Wasserstoff zu gelangen. Voraussetzung dafür ist, dass erneuerbare Energie in ausreichendem Umfang und zu konkurrenzfähigen Bedingungen als Basis zur Verfügung steht.
Herzstück mit Wirkungsgrad
»In der Anlage schlägt ein hochtechnologisches Herz von Siemens. Wir spalten mithilfe von grünen Elektronen Wasser in seine Grundkomponenten Wasserstoff und Sauerstoff«, erklärt Wolfgang Hesoun, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG Österreich. Für die Forschungsanlage in Linz hat Siemens das derzeit weltweit größte PEM (»Proton Exchange Membrane«)-Elektrolysemodul entwickelt. Mit einer Anschlussleistung von sechs Megawatt können damit 1.200 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde produziert werden. Bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff wird ein Rekord-Wirkungsgrad von 80 Prozent angestrebt. »Die DNA von Siemens ist saubere Energie: von Erzeugung über Verteilung bis zur Anwendung. Effiziente Technologien sind ein wesentlicher Baustein, um den Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen einzudämmen«, erklärt Hesoun.
Der globale Bedarf für Wasserstoff wird sich bis 2050 auf rund sechs Billionen Kubikmeter verzehnfachen. Siemens selbst hat ehrgeizige Ziele: Bis zum Jahr 2020 soll die CO2-Bilanz des operativen Geschäfts halbiert und bis 2030 klimaneutral sein.
Grünstrom für grünen Wasserstoff
Erst durch die Elektrolyse von Wasser mit Strom aus erneuerbaren Quellen entsteht grüner Wasserstoff. »Um volatile erneuerbare Energie aus Wind- und Sonnenkraft ins Energiesystem integrieren zu können, brauchen wir in Zukunft noch mehr Speichermöglichkeiten. Neben unseren Pumpspeicherkraftwerken in den Alpen und Batteriespeicher-Lösungen unterschiedlicher Dimensionen sehen wir großes Potenzial in der Energiespeicherung mit grünem Wasserstoff«, betont Verbund-CEO Wolfgang Anzengruber. Beim H2Future-Projekt liefert Verbund den Strom aus erneuerbaren Energien und ist zudem für die Entwicklung von netzdienlichen Services verantwortlich. Über Demand-Side-Management wirkt der PEM-Elektrolyseur als dynamische Regellastkomponente, um zum Ausgleich von Schwankungen im zunehmend volatileren Stromnetz beizutragen.
Weiteres Anwendungsgebiet Biotreibstoff
Umweltfreundlicher, grüner Wasserstoff kann nicht nur für die Schwerindustrie, sondern auch direkt als Treibstoff eingesetzt werden. Siemens-Forscher haben einen Reaktor entwickelt, in dem sie besonders effizient aus Wasserstoff Biotreibstoffe wie Methanol erzeugen können – die chemische Verbindung ist ähnlich wie Ethanol geeignet, um Diesel und Benzin im Verkehr Konkurrenz zu machen. Attraktiv ist die Erzeugung von Biotreibstoffen in mehrfacher Hinsicht. Sie werden ein entscheidender Faktor sein, die Energiewende im Verkehr zu realisieren. Dank enormer Kostensenkungen in den letzten Jahren ist kostengünstiger erneuerbarer Strom gut verfügbar. Gleichzeitig besitzen erneuerbar hergestellte Treibstoffe im Kraftstoffsektor bereits heute einen hohen Mehrwert im Vergleich zu fossil-basierten Treibstoffen. Weltweit gibt es bereits 64 Länder mit einer klaren Zielsetzung für CO2-arme oder -neutrale Biokraftstoffe. Auch die EU arbeitet daran, den Anteil von Biokraftstoffen regulativ zu erhöhen.