Kanadas Premierminister geht mit Notstandsrecht gegen die Trucker-Proteste vor. Justin Trudeau will Bankkonten der Protestteilnehmer*innen einfrieren, ihnen die Lizenzen entziehen und sie hart bestrafen – und beweist damit, wie überfordert er ist.

Höflich, friedliebend, zivilisiert: Das ist das Selbstbild der Kana­dier*innen. Damit ist jetzt Schluss. Premierminister Trudeau packt die eiserne Faust aus und geht mit Notstandsermächtigungen, die noch nie in der Geschichte des Landes eingesetzt wurden, gegen Proteste der Trucker*innen vor, deren zentrale Forderung »Freiheit« ist. Nach fast zwei Jahren massiver Einschränkungen im Namen von Covid reicht es jetzt den Lkw-Fahrer*innen. Sie wollen zurück zur Normalität.

Ihre Trucks haben sie direkt vor dem Parlament in Ottawa abgestellt und damit die Hauptstadt lahm gelegt. Auch die Ambassador Bridge, über die ein Großteil der Handelsgüter zwischen den USA und Kanada transportiert werden, wurde von den Trucks blockiert. Mit enormen wirtschaftlichen Folgen: Ford Motor Company, GM und auch Toyota mussten die Produktion herunterfahren. Keiner der Autogiganten hält sich üppige Warenlager, die notwendigen Teile müssen just-in-time geliefert werden. Ist die Lieferkette unterbrochen, stehen die Werke.

Mit Gewalt will Kanadas Regierung jetzt die Lkw-Fahrer*innen zurück auf die Straße bringen, damit die dringend benötigten Waren wieder ins Rollen kommen. Trudeau glaubt mit Drohungen und Gewalt die Demonstrant*innen, die er als Faschisten und Rassisten beschimpft hat, bezwingen zu können. Aber er unterschätzt die Macht der Trucker*innen.

Ohne sie geht gar nichts! 

Wie heißt es schon im Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (aus dem die SPD hervorging): »Mann der Arbeit aufgewacht! Und erkenne deine Macht. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will« Die Räder stehen still!

In Kanada befördern 324.000 Lkw-Fahrer*innen rund 70 Prozent aller Güter und erwirtschaften damit rund 40 Milliarden Kanadische Dollar (58 Mrd. Euro).Dabei ist die Industrie kleinteilig organisiert. Viele Fahrer*innen sind Einzel­unternehmer*innen, besitzen den LKW, mit dem sie transportieren. 90 Prozent aller Transportunternehmen haben in ihrem Fuhrpark weniger als sechs Trucks. Trudeaus Problem ist also, dass er nicht einige wenige Konzerne unter Kontrolle bringen muss, sondern einen Ameisenhaufen. Chancenlos!
Dieses Kräftemessen hat der Premier schon verloren, er weiß es nur noch nicht.

In seiner Parlamentsrede, in der er den Ausnahmezustand ausgerufen hat, beschimpfte er die Trucker*innen als Gesetzesbrecher. Dabei ist gar nicht klar, wer hier auf der falschen Seite der Verfassung steht. Brian Peckford, ehemaliger Premier von Neufundland und letzter lebender Unterzeichner der Kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten aus 1982 brachte Ende Jänner eine Klage gegen die Regierung ein: Sie habe mit ihren Maßnahmen die verfassungsmäßig garantierten Grund- und Freiheitsrechte verletzt, argumentiert Peckford.

Der Verfassungsgerichtshof wird demnächst über die Legalität der Trudeau'schen Maßnahmen entscheiden. Wie diese Schlacht ausgeht, ist offen. An der Meinungsfront hat der Premiere zumindest in den USA schon verloren: 59 Prozent aller US-amerikanischen Wähler unterstützen den Protest der Trucker*innen. Das ergab eine von Rasmussen am 15. Februar durchgeführte Telefon- und Onlineumfrage.