Das Reich der Mitte galt jahrelang als schwarzes Schaf in Sachen Umwelt. Doch eine überraschende Trendwende ist in vollem Gang.

1,3 Milliarden Einwohner, die »Werkbank der Welt«, ein für Westler paradoxes Staatsgebilde aus autoritärem kommunistischem Staat und kaum gehemmtem Turbokapitalismus, ein Gigant mit zweifelhaftem Ruf: Die Volksrepublik China ist für Ausländer nicht leicht zu verstehen. Was jahrelang allerdings feststand, war eines: Der rasant wachsende asiatische Gigant stellte seine Wirtschaft konsequent vor die Umwelt und sogar seine Bewohner. Berüchtigt sind die Millionen Menschenleben fordernden Wirtschaftsprogramme unter Mao, die menschenverachtenden Zwangsumsiedlungen bei megalomanischen Infrastrukturprojekten wie der Drei-Schluchten-Talsperre und die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei chinesischen Zulieferbetrieben. Und es gab eine weitere Gewissheit: China ist in Bezug auf Kohlendioxidausstoß der weltgrößte Klimasünder.

In Zeiten fallender Temperaturrekorde und zunehmend wahrnehmbarer Auswirkungen des menschenverursachten Klimawandels sind gute Nachrichten eine Seltenheit, doch hier ist eine: Zumindest in Bezug auf seinen Kohlendioxidausstoß zeigt sich in China eine Entwicklung, die Grund zur Freude gibt. Denn wie Ökonomen in einer im Journal Nature Geoscience veröffentlichten Studie herausgefunden haben, hat China den Zenit seines sich zwischen 2003 und 2013 verdreifachenden Kohlekonsums bereits 2014 überschritten – seitdem fällt der Verbrauch des für die CO2-Emissionen hauptverantwortlichen Rohstoffs stetig. »Das könnte ein wirklicher Wendepunkt sein«, meint dazu Lord Nicholas Stern, an der London School of Economics für Forschung zum Wechselspiel zwischen Ökonomie und Klima tätig und Mitautor der von chinesischen Ökonomen erstellten Studie. »Möglicherweise werden Historiker dieses Jahr als wichtiges Ereignis in der Geschichte des Klimas und der Weltwirtschaft würdigen.«

Revolution von oben

Die Gründe für die überraschende gute Nachricht sind vielfältig. Zum einen, so die Studienautoren, seien sowohl die langsamer wachsende Wirtschaft als auch die Abkehr von Schwerindustrie hin zu Hightech- und Dienstleistungssektor verantwortlich. Zum anderen tragen aber auch die Bemühungen der chinesischen Staatsführung bei der Bekämpfung der gravierenden Wasser- und Luftverschmutzung Früchte. Zusammen mit der staatlichen Forcierung erneuerbarer Energiegewinnung und der Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems ist eine massive Modernisierung des chinesischen Energiesektors im Gange.

Die chinesische Führung, dank Einparteiensystem in langfristiger Planung ungefährdet und von keiner störenden Opposition oder unliebsamen Wahlergebnissen belästigt, meint es nicht nur ernst damit, ihre im Vertrag von Paris festgelegten Klimaziele umzusetzen, sondern ist auf dem besten Weg, diese überzuerfüllen: Die von Staatspräsident Xi Jinping eingegangene Verpflichtung, bis 2030 das Wachstum der Gesamtemissionen Chinas nicht nur zu stoppen, sondern sogar umzukehren, könnte bereits Jahre zuvor erreicht werden. Optimisten wie der deutsche Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber sehen sogar die Hoffnung, dass es bereits 2020 so weit sein könnte.

Freilich: Mit der überraschenden Bekehrung des weltgrößten Klimasünders ist es bei weitem nicht getan. »Wenn wir das Ziel, die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu beschränken, ernst nehmen, muss Kohle global verschwinden«, mahnte der deutsche Klimaforscher bereits 2015. Wie es aussieht, geht China diesen Weg voran. (Rainer Sigl)