Anlässlich der diesjährigen Verleihung des Staatspreises Architektur und Nachhaltigkeit zieht Robert Lechner, Staatspreis-Jurymitglied und Leiter des Österreichischen Ökologie-Instituts (ÖÖI), eine Bilanz und erklärt, warum es ein „Mehr" an Architektur und Nachhaltigkeit braucht.

15 Jahre und sieben Ausschreibungen, knapp 550 Einreichungen, daraus 83 Nominierungen und insgesamt 37 überreichte Staatspreise. Seit 2006 fünf verschiedene, für diesen Preis verantwortlich zeichnende Minister:innen, ressortmäßig beim Umweltschutz beginnend und jetzt beim umfangreichen Klimaministerium landend, das neben Klima auch die Themen Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie verantwortet. So sieht eine Kurzstatistik zu diesem Staatspreis aus, der im Zusammenspiel von Architektur und Nachhaltigkeit immer eines wollte – mehr.

Mehr von beidem, mehr Architektur und mehr Nachhaltigkeit. Der Hunger nach diesem Mehr ist begründet: Im Jahr 2005 war der Gebäudesektor für 12,7 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich, jetzt sind es noch rund acht Millionen und damit genauso viele zu viel. Dass es deshalb im Jahr 2021 keine Gas- oder Ölgebäude unter den nominierten oder ausgezeichneten Projekten gibt, versteht sich von selbst.

Seit 2005 wurden in Österreich knapp 430.000 Neubauten zu den bereits vorhandenen 2,2 Millionen Gebäuden errichtet, Österreichs Bevölkerung ist im gleichen Zeitraum um 692.000 Menschen gewachsen. Auch wenn 430.000 Neubauten unglaublich viele sind, so ist der Fokus des notwendigen Handelns für Bauschaffende jeglicher Art klar definiert. Er muss in der Bestandsentwicklung liegen. Zumindest dann, wenn wir von den derzeit noch unglaublichen 11,5 Hektar Bodenverbrauch pro Tag wegkommen wollen. Hinzu kommen Versiegelung und ein damit verbundener immenser Ressourcenbedarf. Deshalb freut es sehr, dass heuer unter den nominierten Projekten lediglich zwei echte Neubauten, jedoch zwei Ersatzneubauten am vorher bereits bebauten Grundstück und sechs Bestandsentwicklungen zu finden sind.

Bis spätestens zur Jahrhundertmitte müssen wir treibhausgasneutral leben und wirtschaften. Deshalb wird es auch unumgänglich sein, auf stark regionaler Basis eine Bau- und Grundstoffproduktion zu etablieren, die diesem Anspruch gerecht wird. Dabei wird es nicht den einen Wunderbaustoff geben können. Gefragt ist vielmehr Umweltverträglichkeit in Herstellung und Betrieb für alle Bauformen: für Holz, Beton, Ziegel, alle erdenklichen Mischformen und – ja – auch für Stahl. Dass dabei Wirtschaftlichkeit und soziale Akzeptanz von jeher zu den Grundprinzipien gehören, versteht sich von selbst.

Die Ansprüche an den Staatspreis wurden mit Fortdauer seiner Existenz immer umfangreicher, vielleicht auch ungeduldiger. Das angesprochene „Mehr" besteht aus dem optimalen Zusammenwirken vieler Aspekte. Es geht darum, die exklusive Konzentration auf Einzelnes und lediglich Symbolhaftes zu überwinden. Denn: Für bloße Symbole nachhaltiger Architektur fehlt uns schlichtweg die Zeit.

Der klimaaktiv Standard für nachhaltiges Bauen und Sanieren
Unter den 2021 insgesamt 72 Einreichungen für den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit beschäftigte sich in diesem Jahr rund ein Drittel mit Sanieren, Umbauen, Weiterbauen und Reconstructing. Ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität 2040, denn der Ausstieg aus Öl und Erdgas erfordert ein komplettes Neudenken unserer Baukultur, Stadtplanung und Immobilienwirtschaft. Die Basis für die qualitative Bewertung der eingereichten Projekte bildet neben der architektonischen Analyse der klimaaktiv Standard für nachhaltiges Bauen und Sanieren. Zu den wichtigsten Kriterien dieses im Bereich Klimaschutz wohl anspruchsvollsten Gütesiegels Europas zählen Standort und Infrastruktur, Energie und Versorgung, Baustoffe und Konstruktion sowie Komfort und Raumluftqualität.

Ausführliche Informationen zum Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2021 bietet zudem die umfassende Broschüre „Architektur und Nachhaltigkeit. Staatspreis 2021." Diese steht für Sie unter https://www.klimaaktiv.at/service/publikationen/bauen-sanieren/staatspreis2021.html zum Download bereit.

Über Robert Lechner
Robert Lechner leitet seit 2006 das Österreichische Ökologie-Institut (ÖÖI) und seit 2012 dessen Beratungstochter pulswerk GmbH. Von beiden Organisationen gehen viele Impulse im weiten Themenspektrum Nachhaltiger Entwicklung aus, ein Schwerpunkt ist dabei der Gebäudesektor. Aktuelle Aktivitäten sind beispielsweise BauKarussell, eine Initiative die Kreislaufwirtschaft und verwertungsorientierten Rückbau von Gebäuden forciert und das Holistic Building Program HBP der BIG als umfassendes Nachhaltigkeitsbenchmarksystem. Außerdem ist er u.a. im Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB) und im Advisory Board Wissenschaft Klimarat Wien tätig.

Entgeltliche Einschaltung des Klimaschutzministeriums

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