Ein Interview mit Torsten Boch, Senior Product Manager bei Matrix42.

Herr Boch, das Thema Lizenzmanagement gehörte lange Zeit nicht zu den Top-Prioritäten der meisten Unternehmen. Hat sich durch die Audits der Softwarehersteller daran etwas geändert?

Davon muss man in jedem Fall ausgehen. Es ist eine allgemeine Lebenserfahrung, dass man erst aus Schaden klug wird. So ist es wohl auch bei Unternehmen, die bislang gehofft hatten, dieser Kelch würde irgendwie an ihnen vorbei gehen. Die großen Hersteller auditieren inzwischen mehr als zwei Drittel ihrer Kunden und generieren daraus einen erklecklichen Teil ihres Jahresumsatzes. Das bringt Unternehmen natürlich zum Nach- und Umdenken.

Was sind die Herausforderungen, vor denen die Unternehmen in Sachen Lizenzmanagement momentan stehen?

Ich sehe das größte Problem für Unternehmen darin, dass sie die Aufgabenstellung nachhaltig und umfassend angehen. Viel zu oft muss ich beobachten, dass sie versuchen, sich durchzumogeln. Mit Anschaffung und Implementierung eines SAM Tools sieht man sich schon am Ziel und vergisst, die IT-Organisation umfassend darauf einzustellen. Lizenzmanagement ist eine Querschnittsfunktion. Das wird gerne ignoriert. Dazu kommt, dass die Alleinverantwortung meistens in der IT angesiedelt wird. Ich halte das für ein Problem.

Denn die stark technisch ausgerichteten Menschen der IT tun sich schwer, Prozesse nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu restrukturieren. Aber genau das ist erforderlich für ein effektives Lizenzmanagement – es nichts weniger als die „Buchhaltung der IT“. Diese generelle organisatorische Problematik wird aktuell speziell auch dadurch verschärft, dass Bereitstellung und Verwendung von Software heterogener und komplexer geworden ist. Mobile Geräte und Cloud sind nur sehr unzureichend in strukturierte technische Abläufe gekleidet, so dass ein vertraglicher Abgleich enorm schwierig wird.

Welche Entwicklungen sehen Sie auf Seiten der Softwarehersteller? Was haben Unternehmen in den nächsten Jahren zu erwarten?

Hersteller von Standardsoftware bewegen bereits sich sehr stark „in die Cloud“. Microsoft, Adobe, Oracle machen es vor, andere folgen. Die Lizenzierung wird dadurch nicht einfacher, sondern komplexer. Unternehmen scheinen das zu verkennen. Fast hat man das Gefühl, es gilt „aus den Augen, aus dem Sinn“. Jede Software, die außerhalb des Unternehmens läuft, wird vermeintlich als problemlos in Bezug auf die Lizenzierung betrachtet.

Doch das ist mit Sicherheit nicht so. Gartner Research hat vor kurzem die Top-10-Liste der auditierenden Hersteller aktualisiert und – siehe da – Google ist als Neueinsteiger auf Position 9! Ein ganz starkes Indiz dafür, dass es auch in der Cloud Fallsticke für finanzielle Risiken gibt. Von Kostenverschwendung ganz abgesehen.

Wofür sollten Lizenzmanager in nächster Zeit gerüstet sein, sich vorbereiten, ausbilden?

Verantwortliche für das Lizenzmanagement sollten sich in jedem Fall um eine strategische Positionierung im Unternehmen kümmern. Die Lizenzbilanz „im Hinterzimmer“ zu bearbeiten ist nicht ausreichend, um sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Vielmehr müssen IT Prozesse – technisch wie kaufmännisch – mit dem Lizenzmanagement effektiv, aber auch effizient verzahnt werden.

Das gilt vor allem für mobile Geräte sowie die Cloud. Smartphones werden üblicherweise in einer isolierten Silofunktion verwaltet, wenn überhaupt. Gerade private Geräte von Mitarbeitern müssen mit erfasst und lizenzrechtlich berücksichtigt werden. Von der öffentlichen Cloud ganz zu schweigen. Diese wird fast immer stiefmütterlich behandelt. Viele SaaS-Anwendungen werden von Fachabteilungen an der IT vorbei eingeführt und in der Konsequenz nicht in die Gesamtsteuerung der im Unternehmen verwendeten Software einbezogen. Es braucht holistisch ausgerichtete Tools und prozessorientierte Lösungen, um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

Welchen Reifegrad hat das Lizenzmanagement mittlerweile erreicht? In welche Richtung wird sich das Lizenzmanagement/der Lizenzmanagement-Markt generell in den nächsten Jahren entwickeln?

Lizenzmanagement hat von Seiten der SAM Tools in den Kernfunktionen einen signifikanten Reifegrad erreicht. Allerdings gibt es nur wenige gesamtheitliche Lösungen, die mit einer nahtlosen Integration dem Charakter einer Querschnittsfunktion wirklich gerecht werden. Ich gehe davon aus, dass sich die Toolanbieter in den nächsten Jahren vermehrt Gedanken machen müssen, wie dies bewerkstelligt werden kann.

Ihre Kunden müssen hier ebenfalls umdenken und durch Schärfung ihrer Anforderungen entsprechenden Druck auf den Markt ausüben. Dies setzt natürlich voraus, dass sie auch bereit sind, ihr IT-Management durchgängiger aufzustellen. Es gilt, Medienbrüche zu vermeiden und alle Informationen in einer Lösung zusammen zu ziehen. Nur dann ist gewährleistet, dass alle wesentlichen Aspekte berücksichtigt werden können, die es braucht, um den erhofften Nutzen wirklich zu realisieren. Ein Patchwork verschiedenster Lösungen mit einem anfälligen Geflecht aus Schnittstellen ist kontraproduktiv.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei Hot-Topics in Sachen Lizenzmanagement im kommenden Jahr?

Heiße Themen werden mit Sicherheit „Mobile Geräte“ sowie die „Cloud“ sein. Weshalb ich das so sehe, habe ich bereits erläutert. Daneben gibt es aus aktuellem Anlass die „Oracle auf VMware“ Problematik, die Unternehmen aktiv angehen müssen. Der Einsatz von vCenter 6.0 kann unter Umständen hinausgezögert werden, aber irgendwann müssen die Kunden eine Entscheidung treffen. Wer sich darauf eingelassen hat, Oracle mit VMware zu virtualisieren sitzt mittlerweile auf einem dünnen Ast.

Es braucht zunächst eine leistungsfähige Lösung, um den technischen Bestand sauber und valide zu bestimmen. Auf dieser Basis müssen sich die Experten für Oracle-Lizenzverträge sowie für die Server- und Anwendungstechnik an einen Tisch setzen und sich intensive Gedanken um eine tragbare Lösung machen.

Welche Unternehmen werden langfristig beim Lizenzmanagement die Nase vorn haben und warum? Was sind in Zukunft die Winner-Strategien?

Langfristiger Erfolg braucht Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit erfordert auf Grund der neuen Paradigmen im Zusammenhang mit der Bereitstellung und Nutzung von Software ein fundamentales Verständnis für die veränderte Rolle der IT Organisation. Die Welt der Informationsverarbeitung und Kommunikation hat sich in letzter Zeit dramatisch verändert.

Dies zu ignorieren ist keine Lösung. Gewinnen wird, wer bereit ist, die Veränderungen zu akzeptieren und sich so aufstellt, dass er sie unterstützt. Organisatorisch, prozessual und auch und vor allem technisch. Verhindern kann er den Wandel mit Sicherheit nicht.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten – was würden Sie sich in Sachen Lizenzmanagement wünschen?

Es scheint verlockend, sich die „Lizenzbilanz auf dem Bierdeckel“ zu wünschen. Doch das wäre realitätsfremd. Die Herausforderungen im Lizenzmanagement sind das Produkt aus technischer und vertraglicher Komplexität. Ich sehe kein Indiz, welches die Hoffnung rechtfertigen würde, dass diese verschwinden. Daher wäre mein Wunsch, dass alle für Lizenzmanagement verantwortlichen Personen ihr Grundverständnis schärfen: Der Abgleich zwischen gesetzlichen, vertraglichen und technischen Fakten entspricht einer fachgerechten Buchhaltung. Sie ist kein automatischer Algorithmus.

Vielleicht hilft es ja, wenn man sich die Arbeitsweise der eigenen internen Finanzbuchhaltung erklären lässt. Dann wird man schnell begreifen, warum SAP als zentrales System eine derartige Erfolgsgeschichte geschrieben hat. Viele Insellösungen sind für eine effektive, prozessgestützte Steuerung von Unternehmen einer gewissen Größe einfach ungeeignet. Warum sollte es für das Lizenzmanagement in einer IT-Organisation anders sein?