Von Bernd Affenzeller, Herzogenaurach
Ein Schloss, eine Stadtpfarrkirche, ein altes Rathaus und zahlreiche Fachwerkshäuser. Das 20.000-Einwohner-Städtchen Herzogenaurach westlich von Nürnberg ist eine deutsche Kleinstadt wie viele andere – und doch ganz anders. Denn die Größe der Stadt steht in keiner Relation zur wirtschaftlichen Bedeutung von Herzogenaurach. Gleich drei Global Player haben ihre Konzernzentrale in der Stadt. Neben dem Automobilzulieferer Schaeffler sind es vor allem die beiden Sportartikel-Giganten Adidas und Puma, die Herzogenaurach zu einer gewissen Popularität verholfen haben.
Der Grundstein beider Unternehmen wurde im Jahr 1924 gelegt. Damals gründeten die beiden Brüder Rudi und Adi Dassler eine Schuhfabrik, die »Gebrüder Dassler Schuhfabrik«. In den ersten Jahren funktionierte die Partnerschaft noch ganz ordentlich, doch schon bald begann es zu kriseln. Der Rest ist Geschichte. Die Brüder trennen sich, die Firma wird aufgeteilt. Adi bleibt in der ursprünglichen Fabrik und nennt sein Unternehmen Adidas, eine Verkürzung seines Namens. Rudi zieht auf die andere Seite des Flusses und nennt sein Unternehmen Puma. Es beginnt ein ewiges Duell um die Vorherrschaft am Sportartikel-Markt. Mitte der 90er-Jahre scheint das Duell endgültig entschieden. Während Adidas expandiert und mit Reebok die bisherige Nummer drei der Sportartikel-Branche übernimmt, stürzt Puma in eine tiefe Krise. Erst mit einer strategischen Neuausrichtung gelingt der wirtschaftliche Turnaround. Als erste Sportmarke setzte Puma konsequent auf Mode- und Lifestyleprodukte. Mit Erfolg. Heute ist Puma Teil des französischen PPR-Konzerns und erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von 2,5 Milliarden Euro.
Mit den zehn Umsatzmilliarden des großen Bruders kann man zwar nicht mithalten, dafür hat Puma in Sachen Konzernzentrale die Nase vorn. 65 Millionen Euro wurden in ein Gebäudeensemble investiert, bei dem bekannte, bewährte und innovative Technik miteinander verknüpft ist. Heute nimmt Puma für sich in Anspruch, die erste klimaneutrale Unternehmenszentrale der Branche errichtet zu haben. Der Strom für die 35.000 Quadratmeter umfassende, aus drei Gebäudeteilen bestehende Konzernzentrale kommt ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen. Die Grundheizung und Grundkühlung des Hauptgebäudes erfolgt über Betonkerntemperierung (BKT). Ein Teil der Wärme und Kälte wird über zwei Wärmepumpen erzeugt.
Ökostrom, Ausgleichsprojekte und viel Technik
Die selbst auferlegte Klimaneutralität ist Teil des unternehmensinternen Nachhaltigkeitskonzepts »PUMAVision«. Dieses ehrgeizige Ziel erreicht Puma neben dem Bezug von regenerativ erzeugtem Strom des Hamburger Ökostrom-Anbieters Lichtblick AG und einem CO2-Ausgleichsprojekt in Form einer Windparkanlage in der Türkei auch mit einem mehr als 1.000 Quadratmeter großen Photovoltaik-Kraftwerk auf dem Dach und weiteren 140 Quadratmetern Photovoltaik-Modulen in den Fassaden. Eine LED-Anzeige direkt neben dem Eingang zum Outlet-Store macht für alle Besucher transparent, wie viel Strom gerade erzeugt wird.
Wichtigstes Werkzeug zur Aufrechterhaltung eines effizienten und wirtschaftlichen Gebäudebetriebs ist das gewerkeübergreifende Gebäudeautomationssystem Desigo. Geplant und ausgeführt wurde das Automationssystem durch das Nürnberger Systemhaus IPM – Innovatives Projekt Management für Gebäudeleittechnik GmbH, ein Partner der Siemens-Division Building Technologies.
Betonkerntemperierung
Die Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes ist in starkem Maße von der Dimensionierung von Wärme- beziehungsweise Kälteerzeugern, von der Hydraulik, der Aufteilung der Regelkreise sowie von gewerkeübergreifenden Verknüpfungen, beispielsweise zu Beleuchtung und Sonnenschutz, abhängig. Deshalb wurde das Systemhaus IPM frühzeitig in das Projekt eingebunden. Insbesondere bei der Konzeption der Hydraulik war das Know-how der Regelungsspezialisten gefragt, gilt doch die Betonkerntemperierung als hydraulisch und regelungstechnisch sehr anspruchsvoll. Dreh- und Angelpunkt der Wärmeerzeugung sind vier Plattenwärmeübertrager mit zusammen rund 2.000 kW, die so dimensioniert wurden, dass im Sommer ein auf 200 kW Heizleistung reduzierter Wärmeübertrager für die Wärmeversorgung ausreicht. Die Wärme- und Kälteversorgung des Betonkerntemperiersystems übernehmen zwei Wärmepumpen mit je 145 kW Heizleistung beziehungsweise je 225 kW Kühlleistung.
Erste Betriebserfahrungen belegen, dass die BKT-Heizung bereits ab einer Außentemperatur von circa zwölf Grad abschaltet. Das Gebäude heizt sich dann quasi selbst. Um ein individuelles Nachheizen beziehungsweise Nachkühlen über die Einzelraumregelung zu gewährleisten, wird die BKT über die Ermittlung der Raumlasten bedarfsabhängig vom Sommer- zum Winterbetrieb geführt. Nachheizung beziehungsweise Nachkühlung erfolgen getrennt über Heizkörper beziehungsweise Ventilator-Konvektoren.
Orientierung am tatsächlichen Bedarf
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu konventionell betriebenen Gebäuden ist die konsequente Orientierung von Wärme-, Kälte- und Luftbereitstellung nach dem tatsächlichen Bedarf in den Räumen. Alle thermischen Verbraucher sind messtechnisch erfasst und über Desigo-PX-Stationen geregelt. Vorgegebene und berechnete Sollwerte werden an die jeweilige Vorregelgruppe weitergeleitet und dort in die entsprechenden »Bedarfssignale« umgewandelt. Mit einbezogen in die bedarfsabhängige Regelungsstrategie sind die Umwälzpumpen für die Heizgruppen und das Kaltwassersystem. Die benötigten Wassermengen werden bedarfsgerecht berechnet, geregelt und überwacht. Im Grunde wird das Regelungssystem durch umfangreiche Energiemanagementfunktionen überlagert, die von der Raumebene bis zu den Wärme-/Kälteerzeugern reichen und den bedarfsabhängigen Betrieb absichern.
Nach einem ganz ähnlichen Prinzip und mit derselben Steuerung werden auch Beleuchtung und Sonnenschutz geregelt. Ein Großteil der Bürobeleuchtung wird durch Präsenzmelder und Dämmerungsschalter übersteuert, das heißt, bei Nichtbenutzung eines Arbeitsplatzes oder ausreichendem Tageslicht wird das Licht im jeweiligen Raum automatisch abgeschaltet. Sämtliche 430 Einzelraumregler sind über ein Netzwerk miteinander verknüpft.
Besonderheit: Wurfweitenregelung
Das Retail-Gebäude mit Puma-Store, Merchandising-Zentrum und Restaurant sowie das Brand-Center mit Multimediahalle und zahlreichen Veranstaltungsräumen werden über jeweils eigenständige Zentralklimaanlagen belüftet und temperiert. Eine Besonderheit ist die Wurfweitenregulierung der Luftauslässe in der Multimediahalle, die im Kühlfall die konditionierte Luft diffus einbringen, im Heizfall die Wärme direkt von der Decke nach unten blasen. Wegen der hohen inneren Wärmelast in der Halle wird die Grundlüftung durch vier Umluftkühlgeräte unterstützt. Für die unterschiedlichen Nutzungen sind in der Hallenregelung verschiedene Szenarien für »eventgerechtes« Raumklima hinterlegt.
>> ISH-Highlight:
Grünes Blatt. Auf der ISH 2011, der Weltleitmesse für Bad, Gebäude-, Energie-, Klimatechnik und erneuerbare Energien, präsentiert Siemens ein neues Raumbediengerät zur Optimierung des Energieverbrauchs.
Viele Gebäudebetreiber stellen nach einigen Jahren fest, dass die rechnerischen Energiesparziele im realen Betrieb nicht dauerhaft erreicht werden. Ursache ist die oft fehlende Transparenz für den Nutzer, in welcher Konsequenz die von ihm vorgenommenen Sollwertänderungen den Energieverbrauch beeinflussen. Dies gilt insbesondere für klimatisierte Räume, die zusätzlich mit Licht- und Sonnenschutzsteuerungen ausgestattet sind. Vor diesem Hintergrund hat Siemens eine innovative Green-Leaf-Anzeige für Raumbediengeräte der Serie QMX3 entwickelt, die den Nutzer aktiv in das Energiemanagement des Raumes einbezieht: Durch Aufleuchten eines farbigen Blattes im Display wird entweder die energiesparende Betriebsweise bestätigt (grünes Blatt) oder auf unnötigen Energieverbrauch (rotes Blatt) hingewiesen. Mit einem einfachen Druck auf die Anzeige schaltet die Raumregelung in den energieeffizienten Betriebsstatus.