Mittwoch, April 24, 2024

Mitte Juni hat das internationale Beratungsunternehmen refine eine Zelle in Österreich eröffnet. Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklären die beiden Gründer Bülent Yildiz und Claus Nesensohn, warum sie sich grundlegend von anderen Beratern unterscheiden, wie sie mit IPA und Lean Construction die Zusammenarbeit und Wertgenerierung forcieren und nichts weniger als die Baubranche revolutionieren wollen.

Titelbild: »Wir sind überzeugt, dass die Branche jedes Projekt in der Hälfte der Zeit mit gleichen Ressourcen und weniger Geld umsetzen kann«, sagen die refine-Gründer Bülent Yildiz (l.) und Claus Nesensohn. (Credit: refine)

refine ist nicht einfach eine weitere Consulting-Bude, erklären Bülent Yildiz und Claus Nesensohn. »Wir verkaufen nicht Zeit und vermieten keinen Mitarbeiter. Das ist nicht unser Zugang. Unsere Beratung sind Produkte.« refine will ein eigenes Ökosystem aufbauen und vergleicht sich lieber mit Tesla und Apple als mit anderen Beratern. »Wir sehen uns als Community, wo auch andere Unternehmen andocken können, mit dem Ziel die Baubranche zu revolutionieren.«

Wie genau möchten Sie die Baubranche revolutionieren?

Bülent Yildiz: Ein wichtiges Asset von refine ist die Unternehmenskultur. Die ist so ausgeprägt, dass sie Kunden in Form von Produkten aufsaugen. 
Nesensohn: Unser Claim lautet »collaborate and create value«. Die Bauwirtschaft soll die beste Branche in Sachen Zusammenarbeit und Wertgenerierung werden. 

Davon ist sie aktuell noch ein Stück weit entfernt.

Nesensohn: Das ist richtig. Deshalb müssen wir die Kollaborationskultur kultivieren. Dafür steht refine. Deshalb gibt es bei uns auch kein Home-Office. Und zur Wertgenerierung: die Baubranche ist weltweit in fast allen Ländern der größte Wirtschaftszweig, gleichzeitig ist sie auch die unproduktivste Branche und die Branche, die für den größten CO2-Ausstoß verantwortlich ist und für 100 Prozent der Bodenversiegelung. Es gibt ja zahlreiche Studien, die einen Produktivitäts-Gap von 50 Prozent und mehr sehen. Wenn man disruptiv arbeiten will, muss man genau hier ansetzen. Uns ist in Projekten schon eine Produktivitätssteigerung von 40 Prozent gelungen, die 50 werden wir auch noch schaffen. Wir sind überzeugt, dass die Branche jedes Projekt in der Hälfte der Zeit mit gleichen Ressourcen und weniger Geld umsetzen kann.  

Wie genau soll das gehen, welchen Beitrag kann refine leisten?

Yildiz: Hinter dem Ökosystem steckt nicht nur der Managementgedanke mit Lean und integrierter Projektabwicklung, sondern mit der refine VVC (Virtual Value Chain) begleiten wir Unternehmen auch bei der digitalen Transformation. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen setzen wir aber nicht nur auf Methodik. Die braucht es auch, aber viel wichtiger ist der Mensch. Die beste Technologie hilft nichts, wenn sie falsch eingesetzt wird. Es geht um das richtige Team.

Bei der integrierten Projektabwicklung steht das Team im Vordergrund. Die Menschen und Teams sollen sich dem Projekt verantwortlich und zugehörig fühlen und erst in zweiter Linie dem eigenen Unternehmen. Das ist also nicht ganz neu. Reicht das, um sich so vom Mitbewerb zu differenzieren, wie Sie das möchten?

Yildiz: Ich kenne keinen Berater unserer Branche, der so konsequent mit Wirtschafts- und Arbeitspsychologen zusammenarbeitet. Genau das machen wir. Das ist bei der Auswahl der Teams und Mitarbeiter ganz wichtig. Nicht jeder passt überall hin. 
Nesensohn: Sie haben recht, IPA gibt es seit vielen Jahren, ebenso Lean Construction. Aber dennoch hat es noch kein Unternehmen im DACH-Raum geschafft, Lean Construction flächendeckend in der Organisation, der Planung und auf der Baustelle einzusetzen.

Da gibt es in Österreich CEOs, die Ihnen jetzt widersprechen würden.

Nesensohn: Ich weiß, aber selbst in diesen Unternehmen ist bei weitem nicht alles lean. Da ist auch viel Marketing dabei. Es stimmt schon, dass vereinzelte Baustellen und Unternehmensbereiche sehr weit sind, nicht aber die Konzerne in ihrer Gesamtstruktur. Auch bei vielen Allianzprojekten in Österreich ist nicht alles Gold, das glänzt. Oftmals wird immer noch auf Werkverträge gesetzt. Man tastet sich heran, bleibt aber in der alten Welt des Silodenkens. Totalunternehmer mit Allianzvertrag geht einfach nicht. Es müssen alle in einem Vertrag vereint sein.

Es eignet sich aber auch nicht jedes Projekt für IPA, oder?

Nesensohn: Das ist mittlerweile widerlegt. Auch wir haben das widerlegt mit unserem eigenen Büroprojekt in Stuttgart. Das ist mit 400.000 Euro und zwölf Wochen Projektzeit das kleinste und schnellste umgesetzte IPA-Projekt Deutschlands. Das wurde mit einem einzigen Vertrag umgesetzt. Das ist möglich und setzt sich auch immer mehr durch. Und diesen Prozess wollen wir ermöglichen und begleiten. Durch unser internationales Netzwerk verarbeitet refine als Katalysator das Wissen der Welt. Unser Kunden bekommen ein auf sie zugeschnittenes Produkt, die passende Kultur, das richtige Team für ein Projekt.

Yildiz: Unsere Vision umfasst eine ganze Branche, nicht nur das eigene Unternehmen. Die Vision, die Branche zu verändern, ist machbar. Wir sehen auch schon die ersten Erfolge. Wir haben Kunden, bei denen diese Vision der Kollaboration nach kürzester Zeit nicht nur bei einem Projekt, sondern im gesamten Unternehmen sichtbar wird. Unternehmen wie diese fungieren als Multiplikatoren unserer Idee. So versuchen wir mit vielen Mitstreitern die Visionen in die Branche zu tragen. Der Rohstoff der Zukunft sind nicht Daten. Die sind auch wichtig und ohne Digitalisierung wird es schwer. Aber der wichtigste Rohstoff der Zukunft ist Vertrauen. Und wo refine drauf steht, ist Vertrauen drinnen, weil wir alle gleich behandeln, unabhängig von der Hierarchie. 

Was waren die Beweggründe, ein Büro in Österreich zu eröffnen?

Nesensohn: Wir arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich mit österreichischen Unternehmen wie Porr, Swietelsky oder Handler. Die haben sich auch nie daran gestört, dass wir aus Deutschland kommen. Aber wenn man so viel Vertrauen bekommt, muss man auch mal etwas zurückgeben. Deshalb haben wir das Büro in Wien eröffnet. Und wir wollen auch in Österreich unseren Teil zur Transformation der Branche beitragen.

Die Kunden, die sie erwähnt haben, sind große Unternehmen. Die Baubranche ist aber sehr kleinteilig. Wie erreichen Sie die kleineren Player?

Nesensohn: Über die Projekte. Wir haben mit Handler 27 Projekte realisiert und bei jedem mit zahlreichen Subunternehmen zusammengearbeitet. So lernen alle in der Wertschöpfungskette unsere Ideen kennen.

Wie sehen Ihre Ziele mit refine Österreich aus? Wenn wir uns in einem Jahr wiedersehen, was muss in diesem Jahr passiert sein, damit Sie von einem erfolgreichen Start in Österreich sprechen?

Nesensohn: Das ist relativ einfach. Wenn wir unsere Stammkunden weiterhin glücklich gemacht und zu Kollaboration und Wertschöpfung geführt haben und wir viel Spaß, und das meine ich genau so, viel Spaß haben mit neuen Kunden. Unsere Mitarbeiter freuen sich auf ihre Teams und ihre Kunden. Es gibt keine Zahlen als Vorgabe, die kommen von selbst, wenn wir die gesteckten Ziele erreichen. Ein weiterer Erfolg wäre, wenn wir an Universitäten, bei Vorträgen und Veranstaltungen merken, dass der Lean-Gedanke weiter um sich greift. Dann können wir von einem rundum geglückten Start in Österreich sprechen.

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