Mittwoch, April 24, 2024
Stiefkind Tiefbau
»Es ist erfreulich, dass Asfinag und ÖBB neue Wege beschreiten«, sagt Univ.-Prof. Matthias Flora zu Zukunftsperspektiven für BIM im Tiefbau am Beispiel des Koralmtunnels voraus.

BIM wird fast ausschließlich mit Hochbau in Verbindung gebracht, im Tiefbau fristet BIM noch ein Schattendasein. Zu Unrecht, denn das Potenzial ist groß.
(Bild: Auch beim Projekt Koralmtunnel kommt BIM-Technologie zum Einsatz.)

»Ich bin bei Austrian Standards für die BIM-Norm mitverantwortlich. Der Schwerpunkt liegt bisher auf dem Hochbau, für Tiefbau gibt es definitiv noch Aufholbedarf«, berichtet Alfred Wanschou, Geschäftsführer von Allplan Österreich. Tiefbau verlangt aber nach BIM, denn aufgrund der Dimensionen der Bauwerke im Straßen- und z. B. Tunnelbau ist eine analoge Vorgehensweise bei Planung, Arbeitsvorbereitung, Ausführung und Abrechnung oft zu zeitintensiv. Während eine Wand im Hochbau mit den rein numerischen Angaben Länge, Höhe und Dicke bereits recht zutreffend definiert ist, sind Geometrien im Erdbau analog kaum zu beschreiben. Porr sieht hier Potenzial, denn »was in der Vergangenheit bei komplexen Geometrien mit vereinfachten Rechenansätzen händisch ermittelt werden musste, ist heute bereits digital machbar«, betont Generaldirektor Karl Heinz Strauss.

Österreich liegt im Vergleich einiger europäischer Länder, was die Anwendung von BIM im gesamten Baubereich betrifft, auf Platz 6. Einer der Gründe dürfte die fehlende Bereitschaft zu Datenaustausch und Denken in Grenzen sein, mutmaßt ein Bauexperte. 

Hürden für BIM im Tiefbau

»Trotz Bestreben der Bausoftware-Industrie 3D zu bewerben, gibt es in der Praxis noch sehr viele Büros, die ihren Fokus auf 2D legen«, erklärt Wanschou. Bauunternehmen würden die Planung vielfach als Papierausdruck oder statischen PDF-Plan erhalten – obwohl die Planenden z. B. Kanaldaten im digitalen Datenformat ausgeben und Baufirmen diese Planung einfach in ihr System einlesen könnten. Karl Heinz Strauss sieht das Problem in fehlendem Know-how. Viele bestehende Maßnahmen haben sehr großes Potenzial. Man muss aber anerkennen, dass Digitalisierung allein nicht reicht. Sie sei kein Prozess, den man einfach über alles stülpen könne. Mitarbeiter*innen, Teams und Nachunternehmer*innen müssten in diesem Transformationsprozess berücksichtigt werden.

»Hier ist die Aufgabe, sanfte Übergänge zu schaffen, um die rasch realisierbaren Erfolge in Zukunft zu einem Großen und Ganzen kombinieren zu können«, fordert Strauss. Matthias Flora, Stiftungsprofessor für Tunnel Information Modeling an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, sieht weitere Hürden. »BIM im Tiefbau ist ein junges Forschungsfeld und wurde erst um 2017 zum Thema.« Ein Hindernis bildet für ihn der Faktor Baugrund. Im Tiefbau ändern sich Baugrundverhältnisse oft stark, Änderungen treten während des Vortriebs auf. Dadurch werden Transparenz in der Projektabwicklung sowie Kosten- und Terminsicherheit, wofür BIM steht, schwieriger. Und es fehlt an Software.

»Im Forschungsschwerpunkt Tunnel Information Modeling (TIM) verknüpft die Universität Innsbruck Naturwissenschaft und Technik mit Informatik und Tiefbau und entwickelt digitale Werkzeuge für Projekte im Tief- und Untergrundbau«, informiert Stiftungsprofessor Matthias Flora.

Schwachstelle Software

»Der Tiefbau ist sehr umfassend wegen seiner speziellen Anforderungen. Eine allumfassende Softwarelösung wird für Softwarehersteller sehr komplex zu liefern sein, um die jeweiligen unterschiedlichen Anforderungen der Unternehmen zu bedienen«, betont CAD-Softwareexperte Wanschou und vergleicht: »Es gibt nicht nur einen Bagger, sondern Schaufelbagger, Muldenkipper, Grader und viele mehr.« Bei BIM sei es ähnlich. »Um eine Felswand zu modellieren und zu sichern arbeiten wir mit vier oder fünf kostspieligen Programmen, die oft nicht kompatibel sind. Dadurch verliert man das Interesse an BIM«, berichtet Johann Dobrezberger, Bereichsleiter Spezialtiefbau bei Swietelsky.

»Beim Projekt Koralmtunnel generieren wir die BIM-Basisdaten aus vorangegangenen Phasen, um den Tunnelausbau durch BIM-unterstützte Prozesse zu begleiten, aber auch, um neue Technologien mit unserem ARGE-Partner zu erproben. In Rumänien konnten im Straßenbauprojekt Sibiu-Pitesti mit der Nutzung der BIM-Daten Maschinensteuerungs- aber auch Vermessungsprozesse entwickelt und zur Praxisreife gebracht werden«, berichtet Karl Heinz Strauss von erfolgreichen Projekten bei Porr.

Strauss nennt die Lösung von Porr: Hier wird im Straßenbau der Fokus auf die Softwarelösungen Civil3D in Kombination mit CDEs wie BIM360 und Trimble Connect gelegt. Für FCP hat sich die BIM-Software in den letzten Jahren entwickelt, vor allem im Brückenbau. »Im Vergleich zum Hochbau steckt sie aber noch in den Kinderschuhen«, bestätigt BIM-Manager Tiefbau René Holzer. Es gibt viel Luft nach oben. Letztstand der IFC-Schnittstelle ist IFC 4, Elemente für den Tiefbau sind aber nicht mitimplementiert. Damit ist der standardisierte offene Datenaustausch laut Holzer de facto nur schwer möglich. Die Leopold-Franzens-Uni Innsbruck arbeitet an einer Lösung, damit Daten verschiedener Softwareversionen und verschiedener Formate ausgetauscht werden können.

Tiefbau braucht umfassende Daten, daher wird digital mit Messungsmethoden gearbeitet, z. B. mit Drohnen und Laserscan. »Wenn ich mit einer Drohne ein Gebiet vermesse, erhalte ich Milliarden an Punkten«, nennt Wanschou als ein weiteres Problem. Die Lösung von Allplan Österreich ist die Vereinfachung der Datenmenge mit der Software Scalypso.

Allplan Bridge ist speziell auf die Anforderungen im Brückenbau zugeschnitten. (Grubentalbrücke, Deutschland)

BIM voran

Einzelne Unternehmen, Planer*innen, Ausführende aber auch Auftraggeber*innen setzen sich laut Porr bereits sehr intensiv mit BIM auseinander. »Viele Standardisierungsmaßnahmen im Bereich der Modellierung, der Merkmale aber auch der Prozesse sind in Österreich derzeit in Bearbeitung, sodass wir davon ausgehen, dass im Tiefbau BIM mittelfristig über den Pilotstatus hinauswachsen wird«, erwartet Karl Heinz Strauss. Dafür müssten alle Kräfte mitarbeiten, Auftragnehmer*innen wie Auftraggeber*innen.

»Diesbezüglich sind wir mit Institutionen wie dem ÖBV, der VIBÖ aber auch der FSV, in denen Vertreter*innen aus allen Bereichen teilnehmen, sehr gut aufgestellt«, betont er zufrieden. Univ.-Prof. Matthias Flora sieht den Ball vor allem beim Auftraggeber. »Der Bauherr muss Transparenz einfordern, denn sonst kommen von den einzelnen Gewerken nur partielle, wenig effiziente Teillösungen.«


Automatisierte Vermessung mit Sodex

Mit SDX-4DVision hat das Vorarlberger Startup Sodex Innovations GmbH ein Assistenzsystem entwickelt, das direkt auf dem Bagger montiert die Vermessung, Dokumentation und Abrechnung eines jeden Aushubs automatisiert.

Das System mit einer Kombination aus Laser- und Kamerasensoren verspricht eine ähnliche Genauigkeit wie bei derzeitigen Vermessungsgeräten, allerdings mit einem sehr hohen Detaillierungsgrad. Mit mehr als 38 Millionen Messpunkten rekonstruiert die Software das ursprüngliche Gelände als 3D-Modell vollautomatisch. »Dadurch wird das manuelle Vermessen des Urgeländes mit SDX-4DVision komplett eliminiert«, erklärt Sodex-Geschäftsführer Ralf Pfefferkorn.

Mit Sodex SDX-4DVision kann der Maschinenführer mit einem Klick auswählen, welches Material gerade bewegt wird.

Vorteile verspricht die Lösung auch im Bereich der Dokumentation und Abrechnung. Für die Nachvollziehbarkeit der Dokumentation können Benutzer*innen sogenannte »Snapshots« verwenden. Für die Abrechnung können die Maschinenführer*innen mit einem Klick auswählen, welches Material gerade bewegt wird. Das System ermittelt folgend das bewegte Volumen und bietet damit eine Liste des bewegten Volumens pro Materialklasse. Auch die Stunden und bewegten Kubikmeter pro Anbaugerät lassen sich damit ermitteln.

Um die Daten anschließend weiterverarbeiten zu können, bietet das SDX-4DVision die Möglichkeit die 3D-Modelle in den herkömmlichen Formaten zu exportieren. Leistungsaufstellungen können ebenfalls in verschiedensten Dateien gespeichert werden, um eine einfache Weiterverarbeitung zu ermöglichen. SDX-4DVision kann auf jedem Bagger unabhängig von Größe und Marke ohne großen Umbauarbeiten nachgerüstet werden.


BIM bei ÖBB und Asfinag


Andreas Fromm ist Geschäftsführer der Asfinag.

Andreas Fromm, Geschäftsführer Asfinag Bau Management: »Die öffentlichen Auftraggeber sind durch umfangreiche BIM-Aktivitäten sehr gut miteinander vernetzt. Das Ziel gemeinsamer BIM-Standards zur Stärkung des Marktes unterstützen wir vollumfänglich durch die Leitung expliziter Arbeitsgruppen. Wir haben derzeit einige Infrastrukturprojekte mit BIM in Umsetzung, z. B. den Sicherheitsausbau auf der S 31 Burgenland Schnellstraße, die A 26 Linzer Autobahn oder den Vollausbau des Lötztunnels auf der S 16 Arlberg Schnellstraße.«

Reinhold Hödl, Leiter Projektumsetzung bei der ÖBB-Infrastruktur: »Ein Wandel unserer Prozesse Richtung BIM findet bereits statt, wir planen daher, BIM mittel- bis langfristig schrittweise in unsere Kernprozesse zu integrieren. Dieser Integrationsprozess findet stufenweise statt und soll voraussichtlich im Jahr 2025 durchgehend ausgerollt werden. Aktuell betreiben die ÖBB ca. 20 Pilotprojekte in unterschiedlichen Phasen von der Entwurfsplanung bis hin zum Bau mit BIM, darunter die Tunnelkette Granitztal, Bahnhöfe wie Micheldorf, Gramatneusiedl und Himberg oder die Elektrifizierung zwischen Klagenfurt und Weizelsdorf.«

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