Montag, Oktober 07, 2024
»Ohne ESG geht es in der Bau- und  Immobilienbranche nicht mehr«

ESG (Environment, Social, Governance) boomt. Viele Unternehmen haben bereits ausführliche ESG-Strategien ausgearbeitet. Ehrgeizig und erfolgreich ist die Branche vor allem beim Thema »Umwelt«. Schwieriger sind die Bereiche »Soziales« und »Unternehmensführung«.

Bau- und Immobilienunternehmen sind wohl nicht die ersten, die einem in den Sinn kommen, wenn man an Umwelt- und Klimaschutz sowie Soziales denkt. Bodenversiegelung, hoher Energieverbrauch und CO2-Emissionen sind schon eher die Begriffe, die man mit diesen Unternehmen verbindet.

Doch wer glaubt, die Branche ignoriere diese Themen gänzlich, irrt gewaltig. Fragt man die Großen unter den Bau- und Immobiliengesellschaften, begleiten Umwelt- und Sozialaspekte deren Geschäftstätigkeit seit vielen Jahren. Nicht erst seit 2020, als der Begriff ESG (Environment, Social, Governance; also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) in der Wirtschaft Fuß fasste, sind die Grundideen von ESG in den Bau- und Immobilienkonzernen verankert.

»Die Buwog hat sich Klimazielen bereits verschrieben, als der Begriff gerade einmal einer Handvoll Experten geläufig war«, erklärt Daniel Riedl, Buwog-Aufsichtsratschef und Vorstand Entwicklung bei Vonovia. Auch bei UBM war »ESG schon immer ein Thema«, wie Christoph Rainer, zuständig für Investor Relations bei UBM, betont. »Es war aber nicht als ESG betitelt, sondern als CSR (Corporate Social Responsibility, Anm.)«. Bei der Immofinanz ist Nachhaltigkeit sogar »Teil der DNA des Unternehmens«. Die Immo-Gesellschaft beschäftige sich im Rahmen ihres Portfolios seit Jahren mit nachhaltigen Trends, wie Immofinanz-Sprecherin Bettina Schragl hervorhebt.

Bild: Viele Unternehmen haben bereits eigene ESG-Teams aufgestellt und neue Unternehmensbereiche geschaffen.

Auch bei der Strabag hat das Thema Tradition. Es sei allerdings in den vergangenen eineinhalb Jahren intensiviert und in die komplette Unternehmensstrategie integriert worden, unterstreicht Katharina Aspalter, ESG-Expertin der Strabag.
Dies hat handfeste ökonomische Gründe: Bauprojekte mit schlechter Energieeffizienz oder fehlenden Umweltstandards sind schwerer zu verkaufen. Und Investoren schauen darauf, ob die Unternehmen ESG-Strategien einhalten. Wer keine derartige Strategie hat, fällt in der Gunst der Käufer und Anleger zurück.

Denn in der Finanzbranche dominiert das Thema Umwelt- und Klimaschutz sowie Soziales mittlerweile viele Anlagestrategien. »Green Investments« sind der Hit. Für börsennotierte Bau- und Immobiliengesellschaften ist ESG daher ein Muss geworden. Porr-Chef Karl Heinz Strauss spricht gar davon, dass »ohne ESG in der Bau- und Immobilienbranche nichts mehr geht«.

Das Thema boomt so richtig. Zumindest die börsennotierten Unternehmen der Branche haben mittlerweile umfangreiche ESG-Strategien ausgearbeitet, eigene ESG-Zuständigkeiten geschaffen und alle Konzernbereiche den im ESG-Plan aufgestellten Zielen unterworfen. Generell scheint es, als würden die Konzerne unter ESG vor allem »Umwelt- und Klimaschutz« verstehen. Dafür wurden neue Teams aufgestellt und Unternehmensbereiche geschaffen. Das »S« in ESG obliegt meist der Personalabteilung, das »G« dem Rechtsbereich.

Klima steht im Vordergrund

Klimaschutz nimmt in allen ESG-Strategien der Bau- und Immobilienbranche eine zentrale Rolle ein. Die Verringerung von CO2-Emissionen wird in konkreten Schritten festgeschrieben. Immerhin ist die Branche für 40 Prozent der CO2-Emissionen in Europa verantwortlich, wie die Immofinanz in ihrem Nachhaltigkeitsbericht schreibt. Dies umfasst sowohl die Emissionen an Treibhausgasen beim Bau als auch jene aus dem Beheizen der Gebäude. Kein Wunder also, dass die Verringerung der Emissionen in den ESG-Plänen der Branche eine große Rolle spielt.

Die Strabag etwa hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie dazu verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu sein. Erarbeitet wurde das Konzept vom Sustainability-Team der Strabag, das im Bereich Innovation und Development unter Klemens Haselsteiner angesiedelt ist. Im Frühjahr 2021 hat der Vorstand des Baukonzerns die Strategie bewilligt. »Das ist ein mutiger Schritt. Wir sind stolz darauf«, sagt Aspalter.

Bild: Die Strabag hat sich in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie dazu verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu sein. Erreicht werden soll das ehrgeizige Ziel in klar definierte Fünf-Jahres-Schritten, erklärt Katharina Aspalter, ESG-Expertin der Strabag.

In konkreten Teilzielen in jeweils Fünf-Jahres-Schritten soll diese Klimaneutralität umgesetzt werden. Die Baustellen zum Beispiel sollen bis 2030 klimaneutral werden. Drei Faktoren sollen dies gewährleisten: hohe Energieeffizienz, Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und Kompensation schwer vermeidbarer Emissionen. Abgerundet wird das Konzept durch Abfallvermeidung und Recycling, wo immer möglich.

Die Buwog, die seit rund einem Jahr Mitglied des Klimaaktiv-Pakts ist, hat sich vorgenommen, die Klimaziele des Pakts zu übertreffen. Statt der Minus 50 Prozent CO2-Emissionen im Zeitraum 2005 bis 2030 will die Buwog ihren Treibhausgasausstoß um 55 Prozent verringern. Mittlerweile würden alle Projekte routinemäßig auf Möglichkeiten durchforstet, aktiv zum Klimaschutz beizutragen, betont Riedl. Energieeffizienz, nachhaltige Energiequellen wie Fotovoltaik und Geothermie, E-Ladestellen und Radstellplätze stünden dabei ganz oben auf der Klima-Liste.

Die Konzernmutter Vonovia hat einen umfangreichen Katalog an Umwelt- und Nachhaltigkeitszielen für alle Tochterunternehmen erstellt. Wie wichtig das Thema für die Buwog ist, zeigt auch, dass Managementboni an die Erreichung der Sustainability Goals geknüpft sind. Auch beim Kauf von Objekten finden diese Ziele Beachtung. Immobilien mit schlechter Energieeffizienz scheiden dabei aus. »Das ist ein klares Signal dafür, dass ESG für uns kein Lippenbekenntnis, sondern Teil unseres Geschäftsmodells ist«, sagt Riedl.

In der UBM hat ESG Einzug in die Unternehmensorganisation gefunden. »Wir waren das erste Unternehmen, das einen ESG-Ausschuss – ähnlich wie einen Prüfungsausschuss auf Aufsichtsratsebene – eingeführt hat«, sagt Investor-Relations-Chef Christoph Rainer. Zudem hat die UBM ein ESG-Rating der international auf dieses Thema spezialisierten Ratingagentur ISS ESG erhalten.

Bild: »Die UBM war das erste Unternehmen, das einen ESG-Ausschuss – ähnlich wie einen Prüfungsausschuss auf Aufsichtsratsebene – eingeführt hat«, sagt Investor-Relations-Chef Christoph Rainer.


Auf den »Prime Status«, mit dem ISS ESG die UBM beurteilt hat, sei man stolz. Denn immerhin zähle die UBM damit zu den besten Unternehmen der Immobilienbranche in Deutschland und Österreich. In ihren Bauprojekten setze die UBM stark auf umweltfreundliche Energiesysteme wie Geothermie und Holzbau. Auch in der Organisation hat ESG bei UBM ihren Niederschlag gefunden. Die Stabstelle »Green Building« ist direkt unter der Führungsetage angesiedelt. Seien früher nur Hotelprojekte zertifiziert worden, werde jetzt jedes Projekt, egal ob Wohnen oder Büro, zertifiziert.

Auch der Baukonzern Porr hat sich im Bereich Energieeffizienz hohe Ziele gesteckt. Bis 2030 soll der Primärenergieverbrauch um 35 Prozent unter das Niveau von 2020 gesenkt werden. Und die Treibhausgas­emissionen der gesamten Gruppe sollen im selben Zeitraum um 55 Prozent fallen. Im Bauprozess selbst wird eine Dekarbonisierung um 21 Prozent gegenüber 2014 angestrebt. 40 Prozent der Energie, die die Gruppe benötigt, sollen 2030 aus erneuerbaren Quellen stammen.

Neben Klimaschutz haben Unternehmen wie die Buwog auch Biodiversität und Minimierung des Bodenverbrauchs in ihren ESG-Konzepten niedergeschrieben. Am Dach des Kunden- und Veranstaltungszentrums in Wien hat die Buwog Platz für Bienenstöcke geschaffen. Damit werde das Ziel unterstützt, in Österreich bis 2028 die Anzahl der Bienen um zehn Prozent zu steigern. Zudem sei bei einer Reihe von Bauprojekten auf Bepflanzungen und Nistplätze geachtet worden, unterstreicht die Buwog.

Noch zu wenig Platz für Frauen und Vielfalt

Soziale Verantwortung – das »S« in ESG – ist in der Bau- und Immo-Branche stark mit Gleichstellung und Diversity verbunden: Gleichstellung vor allem von Frauen, die im Bauwesen jedenfalls nach wie vor in der Minderheit sind. Die Buwog hat sich dieses Thema in ihrer ESG-Strategie ganz bewusst auf ihre Fahnen geschrieben. Der Frauenanteil in Führungspositionen liegt aktuell bei 40 Prozent. Durch flexibles Arbeiten, Teilzeitmodelle und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll Frauen in der Buwog der Aufstieg in Spitzenpositionen erleichtert werden.

»Wir wirken der Teilzeitfalle entgegen, indem wir Frauen die Türen für hochrangige Positionen öffnen, unabhängig davon, ob sie Vollzeit oder Teilzeit beschäftigt sind«, erläutert Valerija Karsai, Geschäftsführerin der Buwog Group GmbH. Höher als im Baubereich sei die Frauenquote in der Immobiliensparte der Buwog, die den Anteil ihrer weiblichen Mitarbeiter mit 60 Prozent beziffert.

Für die Porr steht unter dem Begriff »Soziales« die Chancengleichheit und Gleichbehandlung aller Mitarbeiter im Fokus. Und zwar unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Nationalität oder Herkunft sowie etwaiger Behinderung. Die 20.000 Beschäftigten der Gruppe stammen aus 87 Nationen. Diese Vielfalt soll im Konzern genutzt werden, betont man bei Porr. Der Frauenanteil im Bereich der Nachwuchsführungskräfteschulungen soll bis 2025 auf ein Viertel angehoben werden.

In der Immofinanz versteht man unter dem Aspekt »Soziales« interessanterweise das Bauen von »leistbaren Wohnungen«. Das Konzept »Top on Stop« konzentriert sich auf genau diesen Bereich, indem die Fachmarktzentren namens Stop Shop mit Wohnungen überbaut werden und damit »nachhaltiger und kostengünstiger Wohnraum geschaffen wird«, wie Immofinanz-Vorstand Dietmar Reindl hervorhebt. Mit Europas größtem Netz an Retail Parks besitze die Immofinanz eine gewaltige Ressource. Reindl sieht darin »einen großen Beitrag zur Reduktion des Bodenverbrauchs und gegen die Wohnkostenexplosion«.

Regional und ethisch

Das »G« aus ESG ist wohl jener Bereich, den die Unternehmen breit und sehr unterschiedlich interpretieren. Für die UBM ist die Governance klar im Rechtsbereich angesiedelt. Dort geht es um Einhaltung aller Gesetze, um Compliance und Anti-Korruptionsmaßnahmen. Der Österreichische Corporate Governance Kodex ist für alle Großen in der Baubranche ein Regelwerk, an das man sich freiwillig hält. Kompetenzen und Verantwortung des Vorstands, Regeln für Interessenskonflikte und Eigengeschäfte der Chefs sowie Transparenz der Unternehmensdaten sind dort festgeschrieben.

Die Porr aber versteht unter Governance noch viel mehr. »Wir wollen einen Beitrag zur lokalen Wirtschaft, zur Regionalität leisten«, sagt Unternehmenssprecherin Milena Ioveva. Das heißt: Möglichst regionale Lieferketten, damit die wirtschaftlichen Entwicklungen der Regionen unterstützt werden. Unter dem Titel »Ethik und Compliance« hat der Baukonzern zudem ein Anti-Korruptionsmanagement aufgebaut, das sogar ISO-zertifiziert ist. Governance wird in den meisten Unternehmenspräsentationen mit Gemeinplätzen wie »Verantwortungsvolles Unternehmen«, »Dem Wohl der Gesellschaft dienen« oder »Arbeiten fair und transparent« übersetzt. Es ist wohl ein Thema, das schwerer zu konkretisieren ist als Klima- oder Umweltschutz. Die Beschreibung von Governance rutscht daher eher in den Bereich Eigenwerbung ab.

Bild: »Mit regionalen Lieferketten will die Porr einen Beitrag zur Regionalität leisten«, sagt Unternehmenssprecherin Milena Ioveva.


Der klimafreundliche Steinbruch der Strabag

Beim Diabas-Steinbruch, der auf 1.500 Metern Seehöhe bei Saalfelden liegt, hat sich die Strabag einiges einfallen lassen, um umwelt- und klimaschonend zu agieren. Statt der üblichen Abtransporte des Gesteins mit Lastwagen wird das Material in diesem Fall über einen drei Kilometer langen Tunnel auf einem Förderband vom Steinbruch ins Tal gebracht.

Der Höhenunterschied von 700 Metern und das Gewicht des Gesteins wird genutzt, um einen Generator anzutreiben, der das Förderband bremst und auf diese Weise Strom erzeugt. Die Leistung von 500 bis 550 kW steht für den Betrieb der Aufbereitungsanlage zur Verfügung. Überschüssiger Strom wird ins Netz eingespeist.

Bild: Beim Diabas-Steinbruch erfolgt der Abtransport des Gesteins über ein Förderband. 

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